Grüne-Jugend-Chefin in ACAB-Pullover: All Cops Are berechtigt kritisierbar
Die Chefin der Grünen Jugend trägt die Buchstaben ACAB auf einem Hoodie und erntet Kritik: zu platt, zu radikal. Dabei steckt hinter ACAB legitime Kritik.

D ie deutsche Woche startet wieder mal mit einer aufgeheizten Polizeidebatte. Die Polemik hat diesmal Jette Nietzard, die Vorsitzende der Grünen Jugend, angestoßen. Sie hatte auf Instagram ein Selfie von sich gepostet. Auf ihrem Sweatshirt ist klein das Akronym ACAB zu lesen. Es steht für „All Cops Are Bastards“.
Es dauerte nicht lange, da meldete sich die routinierte Polizeilobby. Rainer Wendt, Polizeigewerkschaftler und TV-Persönlichkeit, sparte nicht mit harten Worten: Leute wie Nietzard seien ein „wohlstandsverwahrloster Haufen von Linksextremisten, dem alles Potenzial für demokratisches Bewusstsein fehlt“. Wie koordiniert pushte Bild die Aussage von Wendt als Schlagzeile am Montagmorgen.
Wenn Polizeigewerkschafter Wendt und Springer dagegen sind, kann ACAB doch eigentlich nur berechtigt sein, möchte man denken. Doch ACAB ist nicht deswegen legitim – sondern weil hinter dem umstrittenen Akronym eine grundsätzliche und fundierte Kritik an gewalttätigen Verhältnissen steckt.
Ein Blick in die Geschichte klärt auf: Seinen Ursprung hat das Akronym im England der 1920er bis 1940er Jahre. Damals nutzten es streikende Arbeiter*innen als Widerstandsformel gegen die Polizei, die ihren Protest für mehr Arbeitsschutz und Menschenwürde brutal niederschlug.
Nicht differenziert genug?
In den Jahrzehnten darauf ließen sich Menschen in aller Welt die Abkürzung ACAB als Tattoo stechen, bauten sie in Rap-Songs ein oder sprühten ACAB groß auf Züge. So ging das Akronym in eine Symbolik ein, die viele über Sprachbarrieren hinweg verstehen, auch abgewandelt als Zahlenfolge 1312, gemäß den Buchstaben und ihrer Platzierungen im Alphabet.
Daran gibt es auch Kritik aus progressiven Kreisen. Vor allem das Wort „Bastard“ sei belastet und negativ konnotiert. Allerdings haben sich ACAB und 1312 in einer urban geprägten Kritik längst verselbstständigt.
Hinter den Buchstaben und Ziffern steckt eine Analyse systematischer Staatsgewalt, die Menschen in Gefahr bringt, sie das Leben kostet, Meinungsfreiheit aktiv einschränkt und sich im Anschluss dafür noch selbst feiert.
Aus konservativ-bürgerlicher Sicht, die sich tief in alt-linke Kreise gefressen hat, schlummert die Gegenkritik in einer Frage: Können alle Polizist*innen über einen Kamm geschert werden? Ist das nicht niveaulos?
Gewaltmonopol oft missbraucht
Es ist eher Zufall, dass diese sehr deutsche Debatte am fünften Jahrestag nach dem Lynchmord an George Floyd stattfindet, nur wenige Wochen nachdem Lorenz A. in Oldenburg mit mehreren Schüssen in den Rücken von einem Polizisten niedergestreckt wurde.
Mehrere Menschen verlieren jeden Monat in Deutschland ihr Leben aufgrund von Polizeigewalt, die theoretisch alle treffen kann. Besonders aber psychisch Erkrankte, von Rassismus Betroffene und Schutzsuchende. 1312, so kann man es in den meisten Kontexten lesen, zielt genau auf dieses System hinter der Polizeigewalt.
Polizist*innen sind Menschen, das stimmt. Es sind aber auch Menschen, die sich (selbst-)bewusst in den Dienst einer Institution stellen, die das ihr anvertraute Gewaltmonopol zu oft missbraucht.
Weil Polizist*innen und Behörden in der Vergangenheit gegen die Urheber*innen von ACAB-Transparenten fleißig und fragil klagten, haben sich deutsche Gerichte ausgiebig damit beschäftigt. So auch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2016. Es urteilte: ACAB-Parolen seien nicht ohne Weiteres als Kollektivbeleidigung strafbar. Die Aussage müsse im Kontext betrachtet werden und sei oft mit einer Kritik an den Strukturen der Polizei verknüpft.
ACAB ist absolut berechtigt
Sie ziele – in den konkreten Fällen, die dem Gericht vorlagen – nicht auf eine abgeschlossene Gruppe von Menschen, sondern auf ein System. ACAB ist demnach in den meisten Fällen eine von der Meinungsfreiheit abgedeckte Ausdrucksweise von Kritik am Polizeiproblem.
Nietzard hat sich auf Druck ein wenig von ihrem Sweatshirt distanziert: Sie besitze es als Privatperson, ließ sie wissen. An der grundsätzlichen Polizeikritik hält sie – anders als ihre Mutterpartei – allerdings fest.
Und selbst die Polizei selbst hat sich schon mal auf ACAB bezogen. Anfang 2023 warb die Bundespolizei für sich mit dem Akronym. Leicht abgewandelt mit der Erläuterung: „All Cops Are Beautiful“. Spätestens seit dieser Plakataktion, die viel Spott auf sich zog, hat 1312 seine absolute Berechtigung im kritischen Polizeidiskurs bekommen.
Alles halb so wild, solange über das eigentliche Problem diskutiert wird: All Copsystems Are Brutal.
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