Israels Palästinenser-Politik: Human Rights Watch wagt das A-Wort
Die Menschenrechtsorganisation hat die Lage in den palästinensischen Gebieten „Apartheid“ genannt. Israel spricht von „Fiktion“.
![Palästinenser halten an einem Grenz-Checkpoint in Jerusalem ihre Pässe bereit - bewaffnete israelische Soldaten auf der gegenüberliegenden Seite Palästinenser halten an einem Grenz-Checkpoint in Jerusalem ihre Pässe bereit - bewaffnete israelische Soldaten auf der gegenüberliegenden Seite](https://taz.de/picture/4824396/14/israel-palaestina-apartheid-1.jpeg)
HRW legt in dem Bericht die Definition des Begriffs „Apartheid“ zugrunde, wie sie 1973 von der UN-Vollversammlung in der „Internationalen Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“ beschlossen wurde. Mit dem Römischen Statut 1998, dem Gründungsdokument des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, wurde das Apartheidsverbrechen der Zuständigkeit dieses Gerichts unterworfen. Ursprünglich war der Begriff für die Rassentrennung in Südafrika verwendet worden.
Im Römischem Statut werden alle jene inhumanen Akte als Apartheid definiert, die mit dem Ziel ausgeführt werden, die Herrschaft einer rassischen Personengruppe über irgendeine andere rassische Personengruppe herzustellen und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken. Entsprechend dieser Definition schlüsselt der Bericht die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen auf – sowohl innerhalb Israels als auch im Westjordanland.
Auf Basis jahrelanger Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, Analysen israelischer Gesetze, Planungsdokumenten und Aussagen von Beamt*innen legt der Bericht etwa eine Fragmentierung der palästinensischen Bevölkerung dar und eine systematische Diskriminierung durch die Wohnungsbaupolitik oder die unterschiedliche Bereitstellung von Infrastruktur im Westjordanland für Palästinenser*innen und jüdische Israelis.
Israels Außenministerium
„Mit dem Bericht möchten wir vor allem eine Rechtsdiskussion eröffnen“, sagt Wolfgang Büttner, Pressereferent von Human Rights Watch, gegenüber der taz, „und einen Beitrag dazu leisten, dass nicht nur der stockende Friedensprozess, sondern auch die Menschenrechtssituation in Israel und den besetzten Gebieten stärker in die internationale Arena kommt.“
Gleichzeitig sieht Büttner auch, dass der Begriff „Apartheid“ im öffentlichen Diskurs stark mit Südafrika verbunden wird und auch von Gruppen verwendet werde, mit denen Human Rights Watch nichts zu tun haben wolle: „Wir distanzieren uns eindeutig von denjenigen, die sich gegen das Existenzrecht Israels ausdrücken, die deutsche Vergangenheit leugnen oder antisemitische Ziele verfolgen.“
HRW ruft die internationale Gemeinschaft auf, ihre Haltung gegenüber Israel und Palästina neu zu bewerten. „Nach 54 Jahren“, heißt es im Bericht, „sollten die Staaten aufhören, die Situation durch das Prisma zu beurteilen, was passieren könnte, wenn der schwächelnde Friedensprozess eines Tages wiederbelebt wird, und sich stattdessen auf die seit Langem bestehende Realität vor Ort konzentrieren.“
Den Internationalen Strafgerichtshof, der im März Ermittlungen zu Israel und Palästina eingeleitet hat, fordert HRW auf, auch Personen strafrechtlich zu verfolgen, die glaubhaft in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt sind.
„Anti-israelische Agenda“
Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums nannte den Bericht „Fiktion“ und bezeichnete die Behauptungen als absurd und falsch: „Human Rights Watch ist dafür bekannt, eine langjährige antiisraelische Agenda zu haben, und versucht seit Jahren aktiv, Boykotte gegen Israel zu fördern.“
Die palästinensische Autonomiebehörde begrüßte den Bericht und bezeichnete ihn als „bemerkenswerte Ergänzung zu früheren internationalen Berichten und Gerichtsurteilen“.
Im Januar hatte die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen erstmals als Apartheidsregime bezeichnet. Sie begrüßte den HRW-Bericht als „dringenden Weckruf“.
Israel ist nicht das einzige Land, dessen Politik HRW als Apartheid bezeichnet. Auch die Verfolgung der ethnischen Minderheit der Rohingya in Myanmar definiert die NGO als Apartheid.
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