Unglück bei religiösem Fest: Tote durch Massenpanik in Israel

Ein Unglück an einer jüdischen Pilgerstätte fordert mindestens 44 Todesopfer. Ein Polizeikommandant übernimmt die Verantwortung.

Orthodoxer Jude hält den Hut eines Opfers

Am Morgen danach: ultraorthodoxer Jude neben persönlichen Gegenständen von Opfern der Massenpanik Foto: Sebastian Scheiner/ap

TEL AVIV taz | „Für unsere haredische Gemeinschaft ist dies eine besondere Tragödie, und dies ausgerechnet am glücklichsten Feiertag im Judentum“, sagt Yakov Plevinsky aus der ultraorthodox geprägten Stadt Bnei Brak in der Nähe von Tel Aviv am Telefon der taz. In der Nacht auf Freitag wurden bei Massenfeierlichkeiten ultraorthodoxer Jüdinnen und Juden am Berg Meron im Norden Israels mindestens 44 Menschen zu Tode gequetscht.

Mehr als 150 wurden verletzt. Es ist wohl eine der größten Katastrophen, die sich zu Friedenszeiten in Israel ereignet haben. Polizeiangaben zufolge brach die Massenpanik aus, nachdem einige Feiernde dicht aneinander gedrängt auf den Stufen ausrutschten, die zum Grab Bar Jochais führen, und so einen Dominoeffekt auslösten.

Plevinsky selbst war, anders als in vergangenen Jahren, in diesem Jahr nicht dort, jedoch viele seiner Familienmitglieder und Freunde. Über seinen Cousin werde gesagt, dass er sich unter den Todesopfern befindet. Doch noch hat Plevinsky Hoffnung, dass es sich lediglich um ein Gerücht handelt.

Viele der Toten sind durch die Quetschungen nur schwer zu identifizieren. Zahlreiche Familien waren am Freitagvormittag noch nicht über den Tod von Angehörigen informiert.

Die Handys der Toten klingeln

Am Grab des Rabbis Schimon Bar Jochai, wo normalerweise an diesem Tag Zehntausende ultraorthodoxer Jüdinnen und Juden beten und tanzen und des Bar-Kochba-Aufstands gegen die Römer im zweiten Jahrhundert nach Christus gedenken, herrscht nun gähnende Leere.

Am Freitagvormittag wurde das Gelände vollständig evakuiert. In der Nacht jedoch herrschte dort großes Chaos. Eltern suchten ihre Kinder. Das Telefonnetz war überlastet, zumal viele der koscheren Handys, die Ultraorthodoxe häufig benutzen, besonders schlechten Empfang haben. Gleichzeitig klingelten ununterbrochen die Telefone der Toten mit Anrufen von Verwandten, berichtet der Sprecher der Zaka-Hilfsorganisation.

Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen, um den Vorfall zu untersuchen. Viele kritisieren die Entscheidung der Polizei, als Coronavirus-Schutzmaßnahme einen der Zugänge zu der Grabstätte geschlossen zu haben.

Während die Polizei die Vorwürfe zurückwies, übernahm der zuständige Polizeikommandant, Shimon Lavi, am Freitagmorgen die Verantwortung für die Katastrophe.

Regierung war wegen Corona uneins über das Massenevent

Die Versammlung am Berg Meron war die größte Veranstaltung in Israel seit dem Ausbruch der Coronapandemie im vergangenen Jahr.

Im Vorfeld hatte es Unstimmigkeiten darüber gegeben, ob die Festivitäten erlaubt werden sollten. Die Regierung hatte sich nicht darüber einigen können, ob die Feierlichkeiten eingeschränkt werden sollten. Kri­ti­ke­r*in­nen warfen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, seine ultraorthodoxen Bündnispartner nicht mit Einschränkungen verärgern zu wollen.

Beamte des Gesundheitsministeriums hatten dazu aufgefordert, nicht zum Berg Meron zu reisen, da sie befürchteten, die Feierlichkeiten könnten zu einer massenhaften Ansteckung mit dem Coronavirus führen.

Netanjahu nannte den Vorfall „eine schreckliche Katastrophe“ und reiste in den Norden. Auch Gesundheitsminister Juli Edelstein reiste in das Krankenhaus der Stadt Safed, eine der vielen heiligen Städte des Judentums, unweit von Meron.

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas äußerte sein Beileid: „Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.“

An Plevinskis Wohnung in Bnei Brak fahren derweil, wie er berichtet, ununterbrochen Fahrzeuge mit Lautsprechern vorbei, um für die Genesung der Kranken zu beten: „Es ist eine Katastrophe, an die man sich wohl noch viele Jahre erinnern wird.“

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