Inflation und Preissteigerung: Die #Dönerflation ist überfällig

Der Dönerpreis steigt rasant. In Frankfurt wurde die 10-Euro-Schallmauer durchbrochen. Bisher wurde der Döner allerdings weit unter Wert verkauft.

Eine Person isst einen Döner Kebap

Lecker Döner! Foto: Jens Gyarmaty/laif

Der Döner kostet jetzt in Frankfurt am Main 10 Euro. In Worten: zehn Euro! Das berichtet die Frankfurter Neue Presse am Mittwoch mit Verweis auf ein beliebtes Kebabhaus in der Innenstadt der Mainmetropole.

Es geht da nicht etwa um ei­ne Bankenviertel-Luxusversion mit Trüffelsoße und aus bestem Biofleisch, sondern um den Döner populare, sprich irgendetwas vom Tier mit Soße und Salat, Zwiebeln und Tomate im Fladenbrot. Und das auf die Hand, zum Essen im Stehen. Noch zu Beginn des Jahres kostete das durchschnittlich 5 Euro. Mit der Inflation wurden es schnell vielerorts 6, 7 oder 8 Euro – die Dönerpreise stiegen weit schneller noch als die durchschnittliche Teuerungsrate. Die massiven Preissteigerungen, die man beim Döner in kürzester Zeit beobachten konnte, sind für viele Deutsche eine enorme Belastung.

10 Euro, diese Zahl stellt vieles infrage, was über Jahrzehnte selbstverständlich schien, nicht zuletzt, dass Mi­gran­t*in­nen in Deutschland für billiges Essen sorgen und sicherstellen, dass sich auch die, die wenig haben, den Bauch mit einer vollwertigen Mahlzeit vollschlagen können.

Das sagenhafte Preis-Leistungs-Verhältnis des Döners im Brot war über Jahrzehnte ein relevanter Beitrag der türkischen Community zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens hierzulande. Dafür wurde der Döner im Laufe seiner nunmehr 50-jährigen Geschichte zum beliebtesten Fastfood der Deutschen – weit abgeschlagen die Brat- oder Currywurst.

Volksgericht Nummer eins

In Deutschland werden täglich bis zu 550 Tonnen Dönerfleisch konsumiert, also rund 200.000 Tonnen im Jahr. Jede/r Deutscher/r isst im statistischen Mittel damit 16 Döner im Jahr. Versorgt werden die Deutschen von rund 18.500 Dönerimbissen mit 80.000 Beschäftigten, was nichts anderes bedeutet, als dass auf je 4.500 Einwohner ein Dönerimbiss kommt. Und diese Dönerimbisse machen mehr Umsatz als die zehn größten Player der Systemgastronomie in Deutschland zusammen, also zum Beispiel McDonald’s, Burger King, die Nordsee GmbH, Ikea Deutschland, Starbucks oder Mövenpick.

Und weil der Döner das Volksgericht Nummer eins in Deutschland ist, wird der Inflationsindex heute nicht mehr daran gemessen, was ein Kilogramm Schweinefleisch kostet oder ein Pfund Butter, sondern daran, wie lange heute für einen Döner gearbeitet werden muss.

Und wenn Elon Musk auf die Frage, was sein Lieblingsessen in Deutschland sei, antwortet: „Der Döner!“, dann ist klar: Der Döner gehört inzwischen zur deutschen Identität. Wie das geschehen konnte, ist schnell erklärt: Die Deutschen lieben es billig, und sie lieben Riesenportionen von Fleisch. Der Döner bietet beides.

Bislang.

Natürlich hat die Preissteigerung zum Teil damit zu tun, dass die Dönerbranche von den steigenden Energiepreisen über Gebühr betroffen ist. Die Kühlkette von der Produktion bis hin zur Zubereitung am Grill verbraucht Gas, sehr viel Gas, welches nun knapp und teuer wird.

Die Wahrheit ist jedoch auch: Der 5-Euro-Döner war all die Jahre viel zu billig. Zu billig für ein Gericht, das gewöhnlich aus sechs bis acht Komponenten besteht und etwa 150 bis 200 Gramm Fleisch enthält.

Dönergastro als Ausweg

Der Döner verdankt seinen Erfolg keiner hippen und coolen Marketingstrategie, sondern schweißtreibender, knallharter Arbeit für kleines Geld. Über Jahrzehnte bot die Branche den Döner zur Freude der Kon­su­men­t*in­nen weit unter Wert an. Das alles war nur aufgrund einer enormen Ausbeutung, meist Selbstausbeutung, in den kleinen Familienbetrieben, den Dönerproduktionsstätten und den Bäckereien für das Fladenbrot möglich. Hier wurde weit unter den üblichen gewerkschaftlichen Standards gearbeitet und bezahlt. Über Jahrzehnte funk­tio­nierte dieses System, weil die Dönerbranche oft die einzig verbleibende Überlebensstrategie war, um Arbeitslosigkeit, dem Verlust des Aufenthaltsstatus, der Abschiebung oder dem Rassismus in den Betrieben zu entgehen. Das galt von den siebziger Jahren bis weit in die nuller Jahre hinein.

Inzwischen hat sich vieles verändert. Viele Tür­k*in­nen sind nun Deutsche, viele Kinder und Kindeskinder der Gründergeneration sind auch dank des in der Dönerbranche akkumulierten Kapitals sozial aufgestiegen und verdienen ihr Geld heute als Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, Café- und Club­be­trei­be­r*in­nen und vieles andere mehr.

Jenen wiederum, die den Bildungs- und den sozialen Aufstieg nicht geschafft haben, stehen mit der allgemeinen Ausweitung des Niedriglohnsektors in den zehner und zwanziger Jahren Alternativen zur körperlich äußerst harten Arbeit in der Imbissbude zur Verfügung – sei es bei Amazon oder irgendeinem der anderen Lieferservices.

Die Dönerbranche steht heute unter enormen Kostendruck. Auch Dö­ner­un­ter­neh­me­r*in­nen müssen den Mindestlohn bezahlen und um die knapper werdenden Arbeitskräfte konkurrieren. Dönerproduktionsstätten werden zunehmend aus Deutschland nach Polen verlagert, wo der Mindestlohn unter 4 Euro liegt. Und viele Imbissbuden finden längst keine Mitarbeiter aus der türkischen Community mehr – und keine Fachkräfte, die mit dem berühmten langen Dönermesser umgehen können.

Ein Mysterium bleibt unentschlüsselt

Das ist der Grund, weshalb wir vor den Dönerspießen immer mehr Personen, darunter zunehmend Frauen, antreffen, die mit dem elektrischen Dönermesser hantieren. Heute arbeiten in vielen Dönerbuden Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien oder anderen Ländern, die sich am unteren Ende in das System einfädeln müssen.

Ein Mysterium der inflationären Preisentwicklung ist allerdings noch nicht zur Gänze entschlüsselt: Während der ­Döner preislich galoppiert, lassen es die arabische Variante Schawarma sowie Gyros, die griechische Schwester des Döners aus Schweinefleisch, gemächlicher angehen. Gyros gibt es heute vielerorts noch für 5 oder 6 Euro und ebenso Schawarma.

Eberhard Seidel ist Autor des Buchs „Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ (März Verlag, Berlin 2022). Zu sehen und zu hören ist Seidel am Sonntag in Berlin: „Die große Stadt der kleinen Leute: Döner, eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“, Veranstaltung um 11 Uhr im Kurt Mühlenhaupt Museum, Fidicinstraße 40, Berlin-Kreuzberg

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