Gedicht von Rammsteins Till Lindemann: Vergewaltigungen sind keine Poesie
Bei Kiepenheuer & Witsch erscheint ein Text von „Rammstein“-Sänger Till Lindemann, der Vergewaltigung veherrlicht. Der Verlag verteidigt das.
Mit Gedichten ist das ja so eine Sache. Der Interpretationsspielraum ist meist groß; was der oder die Verfasser*in wirklich sagen will, ist häufig nicht eindeutig auszumachen. Man erinnere sich an das „Avenidas“-Gedicht von Eugen Gomringer an der Hauswand der Alice-Salomon-Hochschule. Deutlich beeindruckender als das Gedicht an sich war die Debatte darum, die kurz nach dem Aufkommen von #MeToo entstand.
In der Hochschule und in den Medien wurde wochenlang darüber diskutiert, ob das Gedicht sexistisch ist, weil Frauen darin nur als Objekte vorkommen. Schlussendlich wurde es nach Initiative der Student*innen an der Hauswand der Hochschule übermalt und tauchte an anderer Stelle wieder auf.
Aktuell wird in sozialen Netzwerken in Deutschland wieder über ein sexistisches Gedicht diskutiert, doch dieses Mal braucht es keine tiefgreifende Interpretation. Statt um Blumen, Frauen und Fassaden, geht es hier nämlich um Vergewaltigungsfantasie. Unter dem Titel „Wenn du schläfst“ schildert Till Lindemann, der Sänger von Rammstein, explizit sexualisierte Gewalt, die unter Einfluss von Drogen vollzogen wird. Die Vergewaltigung wird jedoch nicht nur beschrieben, sondern auch verherrlicht: „Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß)“ und weiter „Es ist ein Segen“, schreibt er.
Das kurze Gedicht ist Anfang März in Lindemanns Band „100 Gedichte“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) erschienen, herausgegeben von Alexander Gorkow, dem Leiter des „Seite 3“-Ressorts der Süddeutschen Zeitung. Bisher hat es wenig Beachtung gefunden. Doch in den letzten Stunden wurde in sozialen Netzwerken immer mehr Kritik an Lindemanns Gedicht laut.
Mehr als nur billige Provokation
Lindemann provoziert gerne und liebt es Grenzen zu überschreiten. Das weiß, wer die Texte der Band Rammstein kennt. Dass aber ein etablierter Verlag und ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung denken, diesem gewaltverherrlichendem Text zu großer Öffentlichkeit verhelfen zu müssen, ist enttäuschend. Nach der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden #MeToo-Bewegung hätte man sich gewünscht, man wäre gesellschaftlich schon weiter.
Um das Verherrlichen von Vergewaltigungen als reine Provokation hinzunehmen, dafür ist die Problematik zu real. Allein in Deutschland erfährt jede siebte Frau im Laufe ihres Lebens strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt. Und laut der Eurobarometer-Umfrage von 2016 fanden 27 Prozent der befragten Europäer*innen, dass „nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr in bestimmten Situationen vertretbar ist“. Während viele Nutzer*innen bei Twitter Lindemann sowie den Verlag für ihre Entscheidung kritisieren, bügeln andere die Kritik an dem Gedicht als Zensur ab.
Doch das Gedicht nicht zu veröffentlichen oder es nun im Nachhinein aus dem Band zu entfernen, käme keiner Zensur gleich, denn es ginge hier ja nicht um von staatlicher Stelle angeordnete Kontrolle. Ebensowenig ist mit der Kritik pauschal gesagt, dass sexualisierte Gewalt nicht popkulturell verarbeitet werden darf.
In einer Vielzahl von Filmen und Büchern werden Vergewaltigung dargestellt oder nacherzählt. Doch die Frage ist dabei: Wie wird sie kontextualisiert? Wird sie problematisiert oder wie in diesem Fall verherrlicht? Wer kommt zu Wort und wer nicht?
Lyrisches Ich vs. Autor
Herausgeber Alexander Gorkow war für die taz am Freitag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Der KiWi-Verlag reagierte via Twitter mit dem Verweis auf die Unterscheidung von Lyrischem Ich und Autor – und auf die Kunstfreiheit.
Nur hat ja in der Debatte niemand Till Lindemann vorgeworfen, er würde gerne Frauen vergewaltigen. Kritisiert wird die Darstellung der Vergewaltigung in seiner Poesie. Auch ein Lyrisches Ich kann die Täterperspektive feiern, Gewalt verharmlosen oder rechtfertigen und mögliche reale Täter animieren – dafür muss es nicht deckungsgleich mit einer realen Person sein. Auch die Gedanken eines Lyrischen Ichs können Betroffene sexualisierter Gewalt triggern.
Das scheint im KiWi-Verlag nur leider keine*r mitgedacht zu haben. Schade, denn 2020 sollten gewaltverherrlichende und menschenverachtende Texte nicht mehr unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit verteidigt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“