Ganz große Koalition für „Veteranentag“: Comeback des Heldengedenkens
SPD, Grüne und FDP haben sich mit der Union auf einen nationalen „Veteranentag“ geeinigt. Am Donnerstag berät der Bundestag ihren gemeinsamen Antrag.
Die Diskussion über einen „Veteranentag“ ist tatsächlich schon etwas älter. Zur Erhöhung der Akzeptanz der deutschen Beteiligung am desaströsen Afghanistan-Krieg der USA hatte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bereits 2012 einen ersten Vorstoß unternommen, war damit aber nicht nur bei der Linkspartei, sondern auch bei SPD und Grünen auf Ablehnung gestoßen. In den Zeiten der „Zeitenwende“ hat sich das inzwischen geändert.
Mit dem neuen „Veteranentag“ solle „das Verständnis und Bewusstsein in der Gesellschaft für die Leistungen, Entbehrungen und Opfer, die mit dem Militärdienst verbunden sind“, gefördert werden, heißt es nun in dem Antrag, den Arlt am Mittwochmorgen gemeinsam mit seinen Kolleg:innen aus dem Verteidigungsausschuss Kerstin Vieregge (CDU/CSU), Merle Spellerberg (Grüne) und Christian Sauter (FDP) in Berlin präsentierte. Es gehe darum, „den Dienst, den Einsatz und die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die im Einsatz stehen und standen, angemessen zu würdigen“.
Als Datum haben sich die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU den 15. Juni ausgeguckt. An diesem Tag, beziehungsweise dem Wochenende davor oder danach, soll von nun an jährlich eine zentrale Veranstaltung mit „Volksfestcharakter“ in der Nähe des Berliner Reichstags stattfinden. „Wir wollen die Menschen mit ihren Geschichten an diesem Tag in den Mittelpunkt stellen“, sagte die Grüne Spellerberg. Die Schirmherrschaft soll in diesem und dem nächsten Jahr Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) übernehmen.
Weitreichender Veteran:innenbegriff
Die Definition, wer sich als Veteran oder Veteranin betrachten kann, ist eine recht umfassende – die „weiteste innerhalb der Nato“, wie SPD-Mann Arlt betonte. „Unser Veteranenbegriff umfasst alle Soldaten, die Dienst leisten oder Dienst geleistet haben und mindestens sechs Monate Dienst in der Bundeswehr getan haben“, sagte der frühere Berufssoldat. Angehörige der Wehrmacht oder der NVA sind allerdings nur inbegriffen, wenn sie ihre militärische Karriere anschließend in der Bundeswehr fortgesetzt haben.
Egal ist hingegen, ob sich die Betreffenden freiwillig zur Armee gemeldet haben oder zu Zeiten der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht zwangseingezogen wurden. Das ergibt dann insgesamt etwa 10 Millionen Veteran:innen in Deutschland. Damit folgt der Bundestagsantrag einem Tagesbefehl der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) aus dem Jahr 2018, der auch die Grundlage ist für das ein Jahr später erstmalig verliehene „Veteranenabzeichen“.
Außen vor bleiben einstige Zivildienstleistende, die zu Wehrpflichtzeiten lieber zum Beispiel im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen oder im Altersheim notleidenden Menschen geholfen haben, anstatt in der Kaserne zu saufen. Auch ihnen Respekt und Anerkennung zu zollen, lag nicht in der Intention der Antragsteller:innen. „Sie sprechen gerade mit vier Mitgliedern des Verteidigungsausschusses und insofern haben wir uns in unserer Arbeit tatsächlich jetzt wirklich auf die Frage der Militärangehörigen konzentriert“, sagte dazu Grünenpolitikerin Spellerberg.
Scharfe Kritik von der Linkspartei
Anders als bei SPD und Grünen stößt der „Veteranentag“ bei der Linkspartei weiterhin auf keine Begeisterung. „Diese Form der Heldengedenktage, wie sie vom NS-Regime genannt wurden, treiben eine Militarisierung der Gesellschaft voran“, sagte Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert der taz.
Sie erinnerte an die Folgen der Auslandseinsätze in Afghanistan und anderswo: Viele der eingesetzten Soldat:innen litten unter Angstzuständen, Depressionen und zerbrochenen Beziehungen sowie der Unfähigkeit, ein normales Leben zu führen. „Statt solche Gedenktage zu feiern, sollte man lieber planbare und verlässliche finanzielle Mittel bereitstellen, um Soldaten eine angemessene medizinische Versorgung zu bieten“, forderte Schubert.
Die Linken-Gruppe im Bundestag wird denn auch laut einem Sprecher den Antrag der Ampelparteien und der Union am Donnerstag ablehnen. Er sei nichts anderes als „Schaufensterpolitik“, die zu nichts nutze wäre. Die BSW-Gruppe und die AfD-Fraktion ließen bis Redaktionsschluss Anfragen zu ihrem Abstimmungsverhalten unbeantwortet.
Wenig begeistert zeigt sich auch die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). „Eine Überhöhung des Soldatentums hatten wir in Deutschland schon häufiger und die Folgen waren immer übel“, sagte deren politischer Geschäftsführer Michael Schulze von Glaßer der taz. „Statt eines ‚Veteranentags‘ für Soldat:innen fordern wir einen Ehrentag für Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen, die uns durch die Corona-Krise geführt haben.“ Schulze von Glaßer kündigte an, dass die DFG-VK den „Veteranentag“ zu einem „Protesttag gegen Militarismus“ machen werde.
„8. Mai muss Feiertag werden!“
Nicht minder deutlich äußerte sich Willi van Ooyen, der Vorsitzende der Frankfurter Friedens- und Zukunftswerkstatt. „Für mich ist die Einführung des ‚Veteranentages‘ eine Bestätigung dafür, dass Militarismus und Krieg wieder Grundlage deutscher Politik geworden sind“, sagte der langjährige Ostermarschorganisator der taz. Es gehe darum, „dass der Zusammenhang von ‚Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg‘ aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt“ wird. „Die Friedensbewegung muss eine breite Aufklärungsfront gegen die selbstmörderische Kriegstüchtigkeit wiederbeleben“, forderte van Ooyen.
Ebenso grundsätzlich fällt die Kritik der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) aus. Mit dem Bundeswehrslogan „Mach, was wirklich zählt“ werde seit Jahren die Ausbildung zum Töten und Sterben zur Sinnstiftung verklärt, beklagt deren Bundesvorsitzende Cornelia Kerth. Jetzt käme auch noch ein „Veteranentag“ dazu. „Wir setzen dagegen: Der 8. Mai muss Feiertag werden!“, sagte sie der taz. Denn das sei „ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime und vom deutschen Militarismus gefeiert werden kann“.
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