Fleischkonsum und Männlichkeit: Männer schlecht für Tier und Umwelt
Männer essen doppelt so viel Fleisch wie Frauen – und reproduzieren so Klischees über körperliche und kulturelle Dominanz.
Rinderfilet, Rumpsteak, T-Bone – das Kochmagazin Beef titelt fast ausschließlich mit Bildern von rohem, rotem Fleisch. Es ist das erste Kochmagazin, das sich explizit an Männer richtet. Und was essen Männer? Fleisch. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) berechnete: 1,1 Kilogramm pro Woche, doppelt so viel wie Frauen.
Was wir essen, sagt viel über uns aus. Wie wir aufgewachsen sind, wie viel Geld wir haben, wo wir leben – und welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen. Laut DGE ernähren sich Männer und Frauen tatsächlich anders: Männer eher rotes Fleisch, Nudeln und Käse, Frauen dafür mehr Gemüse, Geflügelfleisch und Quark. Klingt stereotyp, ist es auch.
Unsere Essgewohnheiten sind sehr gegendert“, sagt Nora Bouazzouni. Die französische Journalistin und Autorin setzt sich in ihrem Buch „Steaksisme“ mit dem Verhältnis von Männlichkeit und Fleischkonsum auseinander. „Aber sie sind veränderlich. Es ist ein Mythos, dass Männer von Natur aus Fleischesser sind und Frauen auf Gemüse stehen“.
Martin Winter ist Soziologe und forscht an der TU Darmstadt über Ernährung und Geschlecht. Für ihn spielt Fleisch in der Konstruktion von Männlichkeit eine große Rolle, insbesondere rotes Fleisch wie Rind und Schwein. „Durch das Essen formen wir unsere Körper. Eine größere Menge Fleisch wirkt sich auch auf die körperliche Statur aus“, sagt er, „dazu kommt Fleisch als Symbol der Dominanz über die Natur.“
Fleisch sei an sich nicht männlich konnotiert, so Winter, aber es werde kulturell mit Männlichkeit verbunden. Für ihn liegt der Ursprung der Fleischverteilung in der bürgerlichen Sphärentrennung: Männer in der Produktion und Frauen in der Reproduktion.
Misogyne Thesen von Aristoteles
„Zur Zeit der Industrialisierung war noch ein Bild vorherrschend, dass der Mensch wie eine Maschine funktioniert. Das Protein war dann quasi der ‚Brennstoff‘, der für harte körperliche Arbeit notwendig war und deshalb Männern zustand.“ Deshalb werde Fleisch heute noch mit körperlicher Stärke verbunden.
Für Nora Bouazzouni hat diese Differenzierung schon in der griechischen Antike begonnen. „Bei Frauen-Skeletten in Rom wurden Anzeichen für Eisenmangel entdeckt, nicht aber bei Männer-Skeletten. Der Beweis für eine differenzierte Ernährung zu Ungunsten der Frauen“, sagt sie. Diese beruhe auf den misogynen Thesen von Aristoteles und seinen Zeitgenossen.
In ihrem Weltbild waren Frauen minderwertig und weniger leistungsfähig. Daher stand ihnen laut Bouazzouni weniger Fleisch zu. „Es herrscht sehr viel Desinformation über den Fleischkonsum“, bedauert sie. Immer wieder werden biologische Argumente herangezogen, um den vermeintlich höheren Bedarf an Fleisch von Männern zu rechtfertigen. Glaubt man Fitness-Foren, müssten sie mehr davon essen, weil sie mehr Protein bräuchten. Dafür gibt es aber keine wissenschaftlichen Belege.
Die DGE empfiehlt maximal 67 Gramm Protein pro Tag, je nach Gewicht – nicht nach Geschlecht. Diese Menge könne mit proteinreichen Lebensmitteln erreicht werden, allen voran Hülsenfrüchte und Soja. „Wir sprechen uns eindeutig für eine fleischärmere, abwechslungsreichere und auf pflanzlichen Lebensmitteln wie Gemüse und Obst sowie Vollkorn basierende Kost aus“, heißt es von der DGE auf taz-Anfrage.
Für den Verzehr von Fleisch und Wurst empfiehlt die DGE zwischen 300 und 600 Gramm pro Woche – die Hälfte von dem, was Männer aktuell konsumieren.
Dabei warnen Wissenschaftler:innen vor den gesundheitlichen Schäden eines Fleisch-Überkonsums. Aus einer internationalen Studie in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet geht hervor, dass jährlich weltweit 11 Millionen Menschen an den Folgen einer unausgewogenen Ernährung sterben.
Erhöhtes Risiko für Krankheiten
US-Studien deuten darauf hin, dass viel Protein langfristig unter anderem Nierenschäden verursachen kann. „Wer viel rotes Fleisch und Wurst isst, hat ein höheres Risiko für Darmkrebs“, erläutert zudem die DGE. Außerdem könne es das Risiko für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
Auch die Umwelt leidet stark unter dem Überkonsum von Fleisch. Allein in Deutschland ist die Landwirtschaft laut Umwelt-Bundesamt für 7 Prozent der gesamten jährlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Hauptverursacher sind die Methan-Emissionen aus der Tierhaltung, die fast vollständig auf die Rinder- und Milchkuhhaltung zurückzuführen sind.
Mittlerweile wird laut dem UN-Umweltprogramm (Unep) fast 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für Tierhaltung genutzt. Außerdem werden bei der Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch etwa 15.000 Liter Wasser verbraucht, deutlich mehr als für andere proteinhaltige Lebensmittel.
Frauen schützen durch ihre Ernährung die Umwelt mehr als Männer, schlussfolgert eine Forschungsgruppe der Martin-Luther-Universität in Halle. Sie hat berechnet: Wenn alle Männer sich so ernähren würden wie Frauen – also weniger Fleisch, mehr Gemüse und Getreideprodukte –, würde eine Fläche so groß wie Schleswig-Holstein im In- und Ausland frei und 15 Millionen Tonnen Treibhausgase würden eingespart werden.
„Gerade, weil Fleisch mit vielen negativen Konsequenzen verbunden ist, drückt dessen Konsum auch eine gewisse Macht aus“, sagt Soziologe Winter. „Es gilt als Stärke, ungesunde Dinge mit seinem Körper zu tun – egal ob gefährliche Sportarten, schnelles Autofahren, rauchen und Alkohol trinken.“ Das sei rücksichtslos – gegenüber einem selbst sowie gegenüber anderen und wird häufig als „toxische Männlichkeit“ beschrieben, so Winter.
Das findet auch Bouazzouni: „Die Auswirkungen ihres Verhaltens interessieren sie nicht. Das Wichtigste ist ihre Freiheit“, kritisiert die Journalistin. Neben der Betonung der Männlichkeit, wodurch bewusst viel Fleisch konsumiert wird, beobachtet Winter aber auch eine gegenläufige Tendenz. „Körperliche Attraktivität wird für Männer immer wichtiger. In vielen Milieus ist es für Männer wichtiger geworden, auf den eigenen Körper zu achten“, so Winter. Dadurch werde es legitimer, die Ernährung umzustellen, um eine Gewichtzunahme zu verhindern.
Hoher Fleischkonsum korreliert mit rechten Einstellungen
Zwar isst Mann gerne Fleisch, meistens kocht aber die Frau. Bei der traditionellen Rollenverteilung gibt es aber eine Ausnahme: das Barbecue. „Es wird hauptsächlich Fleisch zubereitet und mit Feuer hantiert. Damit wird die Vorstellung einer Ur-Küche transportiert“, erklärt Bouazzouni, warum Grillen männlich konnotiert ist. Fleisch auf dem Grill gibt es beim Kochmagazin Beef en masse. „Die Zeitschrift zelebriert den Fleischkonsum“, sagt Winter. Sie sei ein Sinnbild derjenigen, die Fleischkonsum verteidigen. Für ein Gespräch mit der taz stand die Redaktion auf Anfrage nicht zur Verfügung.
Weil Fleisch mit Stärke verbunden sei, gelten Männer als unmännlich, die ihren Fleischkonsum reduzieren oder sich gar vegetarisch ernähren, stellt Soziologe Winter fest. Das belegt auch eine Studie aus den USA. Demnach sind Männer grundsätzlich weniger offen dafür, sich vegetarisch zu ernähren, vor allem diejenigen, die eher traditionellen Rollenbildern zustimmen. Das untermauert auch eine neue Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts Ifop:
Große Fleischkonsumenten würden sexistischen Aussagen eher zustimmen als Männer, die weniger Fleisch essen. Davon ist Winter nicht überrascht. „Fleisch symbolisiert nicht nur die Herrschaft des Menschen über die Natur, sondern auch die patriarchale Herrschaft des Mannes über die Frau“, sagt er.
Fleischessen wird als Kulturgut verstanden, das von seinen Konsumenten in emotionalen Debatten vehement verteidigt wird. „Fleisch unter anderem wird als Waffe genutzt im Widerstand gegen das ‚politisch Korrekte‘ und die ‚vegan-feministische Diktatur‘ “, beobachtet Bouazzouni.
Der Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts zufolge gibt es auch eine Korrelation zwischen Fleischkonsum und politischer Orientierung: Die Hälfte der Männer, die sich stark über Fleischkonsum identifizieren, verorten sich eher im rechten oder im rechtsextremen Lager, heißt es.
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