Neues Männermagazin „Esquire“: Letzte Hoffnung Fleisch
In der ersten Ausgabe von „Esquire“ wird Männlichkeit kritisch reflektiert. Das gelingt kaum, gibt aber trotzdem Hoffnung auf Veränderung.
A ls Kind habe ich gerne die Frauenmagazine meiner Oma durchgeblättert. Darin schien alles so einfach. Es gab nur schön oder hässlich, glücklich oder traurig, Liebe oder Hass. Doch die mystische Parallelwelt von Brigitte bis Bunte war nicht nur binär – sie schrieb Frauen auch bestimmte Merkmale zu: stets gut und möglichst abwechslungsreich gekleidet, heterosexuell, schlank, konsumfreudig, vorwiegend weiß, immerzu lächelnd. Sie schufen ein Genre, dessen Ideal immer unerreichbar war – und deshalb bis heute Sexismus und bodyshaming befördert.
Über das andere Geschlecht, jenes, das mir per Geburt angedichtet wurde, erfuhr ich damals kaum etwas. In der Schule lernte ich nur, dass ich keine Emotionen und kein Modebewusstsein haben, nur aus Notwendigkeit konsumieren wollen soll.
In den wenigen Zeitschriften für Hetero-Männer, die gemessen an ihren Pendants sehr kleine Auflagen hatten, schien sich Männlichkeit meistens nur darüber zu definieren, was sie nicht ist – verletzlich, unentschlossen, sensibel – oder biologisch, mit freundlicher Unterstützung Charles Darwins, der die Überlegenheit des Mannes und die Unterlegenheit der Frau evolutionistisch herbeifantasierte.
Rund 20 Jahre später ahne ich, warum Männer bis heute so undefiniert sind. Viele, hierzulande weiße heterosexuelle Exemplare, haben es nie nötig gehabt, sich zu fragen, wer sie sind. Jene Cis-Männer, also alle, deren Geschlechtsidentität mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zusammenfällt, konnten einfach sein, wer sie sind. Was übrigens auch ein Grund dafür sein könnte, warum jene Männer die für marginalisierte Subgenres wie Migrant*innen oder LGBTIQ so wichtige Identitätspolitik nicht verstehen und ablehnen.
Ist das heute, in einer Zeit, in der Männermagazine trenden, anders? Kürzlich erschien, mitten in der pandemiebedingten Wirtschaftskrise, die auch den Anzeigenmarkt trifft, die erste deutsche Ausgabe der renommierten US-Männerzeitschrift Esquire. Das Magazin, das hierzulande bereits zwischen 1975 und 1992 auf dem Markt war, soll viermal jährlich in einer Auflage von 120.000 Exemplaren erscheinen. In den USA ist es legendär.
Kein Platz für ausgefeilte Texte
1951 war darin das erste Foto von Marilyn Monroe zu sehen, in den 1960er Jahren wurde es für die Texte von Schriftstellern wie Tom Wolfe berühmt, einem Mitbegründer des „New Journalism“, der radikal subjektiv und literarisch vorging, aber auf Fakten basierte.
Ob der deutschen Ausgabe der Spagat zwischen literarischer Qualität und Lifestyle gelingt, ist ohnehin keine Frage. Denn deutsche Mainstream-Magazine hatten noch nie Platz für ausgefeiltere Texte, ganz im Gegensatz zu US-amerikanischen wie dem GQ, in dem neben plakativen Wellness-Tipps auch kritische Reportagen und Essays erscheinen.
Wie erwartet springt der Leser*in im deutschen Esquire statt kritischem Journalismus ein überdrehter Mix aus Hochglanzfotos und Werbung entgegen, oder: Werbung, die aussieht wie ein Artikel, und Artikel, die aussehen wie Werbung. Das Design und die Schriften sind schön kantig und klar, doch das Layout wirkt wie ein schlecht aufgeräumter Instagramfeed. Aber nicht nur Social Media, auch die direkte Konkurrenz ist groß – muss Esquire doch mit auflagenstarken Playern wie Playboy (101.800), GQ (63.000) oder deutschen Formaten wie Business Punk (35.000) oder Beef (50.000) konkurrieren.
Die Zielgruppe von Esquire, das im Titel den Hollywood-Schauspieler Matthew McConaughey zeigt, sind laut der Selbstbeschreibung auf der Webseite des Münchener Burda-Verlags „weltoffene Männer ab 30 Jahren, die einen nachhaltigen Lebensstil pflegen, kulturell interessiert und modebewusst sind und sich für die schönen Dinge des Lebens begeistern“.
Auch wenn es in den drei Rubriken „News“, „Life“ und „Style“ etwa knappe Musik- und Serien-Kritiken, ein Interview mit McConaughey sowie einen längeren Text zum Thema „50 Jahre Gummigeschosse“ gibt, scheint sich „weltoffen“ eher auf die Selbstreflexion von Männlichkeit zu beziehen. Die aber erweist sich als Alibi.
So möchte etwa ein Text darauf hinweisen, wie die Popkultur „neue Gegenentwürfe zur toxischen Männlichkeit“ schafft: „Ein Typ, der sich Concealer unter die Augen streicht, kann genauso hetero sein wie einer, der im Gym bis zum Kollaps pumpt“. Mag sein, aber sind der Schauspieler Timothée Chalamet und der Sänger Harry Styles wirklich die besten Beispiele für ein fluides Genderbild, abgesehen davon, dass sich Marilyn Manson oder Prince schon vor 20 Jahren schminkten? Und warum wird „pumpen“ dann doch irgendwie als genuin männliches Attribut gefeiert?
Toxische Männlichkeit
Ähnlich Merkwürdiges ist in der Rubrik „Secretly Asked Questions“ zu lesen. Der Untertitel lautet „Antworten auf Fragen, die sich laut keiner zu stellen traut“ – aber besteht toxische Männlichkeit nicht auch wesentlich in der Unfähigkeit, Fragen zu stellen, Unsicherheit zu zeigen?
„Esquire“ erscheint viermal im Jahr, die erste Ausgabe gibt es seit dem 29. Oktober mit 172 Seiten. Preis: 6 Euro.
Der erste Satz der Antwort auf die Frage „Wie sensibel darf ich mich in der Arbeit zeigen, ohne an Respekt zu verlieren?“ lautet jedenfalls: „Die meisten Männer denken bei dem Wort sensibel immer noch an ein heulendes Elend, das sich in der Klokabine versteckt“. Noch seltsamer ist die Rubrik „Frauen, die wir lieben“, in der das R&B-Duo Chloe x Halle porträtiert wird und fragen lässt: Warum können sie nicht für sich selbst stehen, sondern werden an ihrem Frausein gemessen?
Die Überaffirmation der Frau wirkt ein bisschen wie jener vorauseilender Entschuldigungsmodus, mit dem manche Männer um die 30 ihr Dominanzgebaren unter einem pseudofemininen Dutt zu verstecken versuchen. Dabei ist es mit toxischer Männlichkeit ähnlich wie mit Rassismus. Dessen perfidere, weil subtilere Form sind die alltäglichen Mikroaggressionen, wie sie die Schwarze US-Dichterin Claudia Rankine in ihrem Buch „Citizen“ beschreibt. Zu behaupten, Frauen zu lieben, Hautunreinheiten zu verbergen oder weinen derart negativ zu konnotieren, ist jedenfalls kein Mittel gegen Machtmissbrauch und Misogynie.
Im Vergleich zu anderen Publikationen aus dem Genre ist Esquire mit der subtilen Selbstkritik jedoch nahezu progressiv. So begegnet der Leser*in des Magazins Beef der Mann als willenloser Fleischfresser, in BP als „Fuck“-sagender Start-up-Schnösel und als muskulöser Schönling in GQ. Verwegene Whiskytrinker kommen überall vor. Im aktuellen Beef erfahren Leser*innen außerdem, wie Koalabären schmecken, warum sie Pick-ups fahren sollen und warum Grillen toll ist – als wäre übermäßiger Verzehr von Fleisch die letzte Hoffnung für eine untergehende Männlichkeit.
Die Angst davor versteckt sich nämlich, wenn auch subtil, in allen Zeitschriften, und es scheint, als müsste sie mit Konsum kompensiert werden, jedoch nur mit den „schönen Dingen des Lebens“ (Esquire), die Männern schon in meiner Kindheit zugeschrieben wurde: In der Esquire wimmelt es nur von Autos (24 Fotos) und Uhren (25 Fotos). „Es gibt immer etwas zu tun, immer etwas zu erschaffen“, sagt ein unverschämt gut aussehender Giorgio Armani – nicht in einer Werbung, sondern im Interview.
Hyperliberale Businnes-Logik
Der Satz steht exemplarisch für das propagierte Ethos des dauerschuftendes Arbeitstiers, das in BP, das übrigens von einer Frau mitgeleitet wird und kein reines Männermagazin ist, auf die Spitze getrieben wird. Dort heißt es im November-Editorial bezüglich der behaupteten Tendenz zur „Rückbesinnung auf wahre Werte“ voll frech: „Besinnung – nicht unser Ding. Weckt uns, wenn die Menschen Machen wieder geil finden“. Nebem dem sozialdarwinistischen Sound tummeln sich auch hier protzige SUVs zwischen Interviews mit Unternehmern, die Nachhaltigkeit predigen und Claims wie: „warum es sinnvoll sein kann, im Lead auch mal Schwäche zu zeigen“.
Mal abgesehen davon, welch militärisch-chauvinistisches Verständnis von „Führung“ diesem Satz zugrunde liegt, scheint der hier gezeichnete Mann immerhin nicht mehr einfach so sein zu können, wie er ist. Mir kommt es vor, als sei das Genre weniger biologisch begründet, dafür aber umso ideologischer.
So folgt auch in Esquire auf das schüchterne Bekenntnis zur Selbstkritik eine hyperliberale Business-Logik, nach der Männer sich im Beruf bei Bedarf ein bisschen mit der Frauenquote beschäftigen, aber privat weiter herumgiften. Es scheint, als stecke in jedem zweiten Typen mit goldener Uhr ein kleiner, machtsüchtiger Trump oder Putin. Ein echtes kritisches Hinterfragen des Genres Mann scheint jedenfalls auch 2020 nur in woken oder queeren Kreisen stattzufinden. Angenommen, Printmedien prägen auch in Zeiten von Social Media noch Gender-Subjektivitäten, so steckt vielleicht dort Potential.
Lieferten die Frauenmagazine meiner Oma dem Feminismus schließlich nicht ein Negativbeispiel eines binären, sexistischen Genderdiskurses, das zu einem kritischeren Blick auf das Genre Frau – und dann zu einer Gegenerzählung führte? Der Anblick dieser seltsamen, homogenen, putzig vor sich hin stammelnden Männer könnte auch eine Steilvorlage sein für eine Entgiftung des Genres Mann.
Vielleicht ließen sich die wettbewerbslustigen Typen im zwangslockeren Business-Dress mit einer neuen Erzählung ködern. Denn mit den menschlichen verhält es sich wie mit musikalischen Genres: Die interessantesten Vertreter*innen sind jene, die dazwischen stehen.
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