Eurovision Song Contest: Es haben die Richtigen gesiegt
Mit JJ hat ein queerer Sänger aus Österreich den ESC gewonnen. Eine gute Wahl, denn ein Sieg Israels hätte den ESC 2026 sprengen können.

E s stimmt zufrieden, dass ein offen queerer Sänger aus Österreich den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen hat: JJ, so sein Name, zeigte mit seiner Performance an, dass das eurovisionäre Europa es weiterhin nicht mit Kulturkämpfen nach dem Gusto Donald Trumps, Wladimir Putins oder Viktor Orbáns hält.
Aber er hätte nicht gewonnen, wenn nicht zugleich die israelische Sängerin Yuval Raphael durch die meisten Jurys, also die Profis der Musikwirtschaft, mit beschämend wenigen Punkten bedacht worden wäre.
Die Überlebende des 7. Oktober darf sich zu Recht freuen, dass sie vom Publikum beim Televoting mit Abstand die meisten Punkte erhielt. Dies war kein Resultat einer zionistischen Kampagne, wie Mäkelmenschen einwenden, denn der Druck auf das eurovisionäre Publikum (in mehr als drei Dutzend Ländern), ebendiese Künstlerin nicht zu mögen, war viel größer, als ein proisraelisches Campaigning aktuell überhaupt sein könnte.
Dennoch ist es gut, dass JJ aus Österreich am Ende vorne lag – denn ein israelischer Sieg hätte das europäische Kulturprojekt ESC, das politisch seit 1956 alle nur möglichen Ambivalenzen politischer Art zu balancieren hatte, buchstäblich zerstört. Nicht nur, dass es in den meisten europäischen Ländern Boykottaufrufe gegeben hätte.
Tradition jüdischen Überlebens
Vielmehr hätte ein israelischer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu alles unternommen, um den ESC unter sein gastgebendes Patronat zu bringen, in etwa wie die Antisemitismuskonferenz neulich in Israel, die skandalöserweise unter Mitwirkung rechtester Kräfte abgehalten wurde.
Yuval Raphael sang ihr Lied in der Tradition jüdischen Überlebens, des Aufstehens nach antisemitischen Tragödien, des Willens, ein friedliches Miteinander, arabische Nachbarschaft eingeschlossen, anzustreben. Nicht um die in jeder Hinsicht verfehlte, weil tödliche Politik wider die Hamas zu beschönigen. „New Day Will Rise“, so ihre musikalische Hymne, galt den noch in den Händen der Hamas befindlichen Geiseln – nicht der Regierungspolitik ihres Landes.
Um diese Differenzierung zu begreifen, empfiehlt es sich, auch die Ängste und Nöte israelischer BürgerInnen ernstzunehmen – nicht ein Land als solches zu dämonisieren. Das Ziel könnte bleiben: Ein eigener palästinensischer Staat, der, mit einem eigenen öffentlich-rechtlichen Sender am ESC teilnehmen könnte. Die allermeisten israelischen ESC-KünstlerInnen seit 1973 würde dies mit Freude begrüßen.
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