Ermittlungen gegen die Letzte Generation: Kriminalisierter Klimaschutz
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Elf Hausdurchsuchungen soll es gegeben haben.
„Wir haben heute morgen ab 6 Uhr verteilt über die gesamte Bundesrepublik Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgericht Neuruppin gegen Mitglieder der Letzten Generation vollstreckt“, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin der taz. Ermittelt würde gegen die Aktivist:innen auch nach Paragraf 316b wegen Störung öffentlicher Betriebe. Im Frühjahr hatten Aktivist:innen wiederholt Pipelines der PCK-Raffinerie in Schwedt zugedreht, um gegen weitere Investitionen in fossile Infrastruktur zu protestieren. Diese Aktionsform gehört seitdem jedoch nicht mehr zum Repertoire der Gruppe.
Nach Angabe der Letzten Generation richteten sich die Durchsuchungen gegen elf Personen in Leipzig, München und weiteren bayerischen Städten. Vier der Betroffenen sitzen derzeit im bayerischen Präventivgewahrsam. Auch sollen Razzien in Elternhäusern von Aktivist:innen stattgefunden haben. „Wir gehen ganz klar davon aus, dass wir eingeschüchtert werden sollen“, so Lilly Schubert, Sprecherin der Letzten Generation, gegenüber der taz.
In einer Mitteilung kritisiert die Gruppe die Ermittlungen wegen Paragraf 129 scharf. „Während der Staat durch fehlenden Klimaschutz unser Grundgesetz missachtet, durchsucht die Polizei die Wohnungen jener, die alles friedlich Mögliche versuchen, dies offenzulegen“, heißt es da. Die Durchsuchungen seien ein „neues Niveau“ der Einschüchterungsversuche des Staates. Wenn friedlicher Widerstand kriminalisiert würde, bedrohe das „die demokratischen Grundfesten“ der Bundesrepublik.
Das Protest-Quartett
Betroffen ist auch Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der Gruppe: Sie schrieb auf Twitter: „Heute Morgen wurde meine Wohnung durchsucht.“ Sie schrieb weiter, es sei „beängstigend, wenn die Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt. Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden?“
Auf Unverständnis stoßen die Maßnahmen insbesondere deshalb, weil alle Personen, bei denen Durchsuchungen stattfanden, „mit ihrem Namen und ihrem Gesicht zu ihren Taten“ stünden, so Schubert. Zwei Personen seien bereits zum zweiten Mal von Hausdurchsuchungen betroffen.
Pipeline-Aktionen im Fokus
Juristisch ist umstritten, ob die Gruppe dem Straftatbestand einer kriminellen Vereinigung überhaupt entsprechen kann. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatte diese Frage Ende November verneint. Diese Einschätzung sei auch „bislang unverändert“, sagte Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner auf taz-Anfrage. Man überprüfe die eigenen Auffassungen aber fortlaufend.
Laut Büchner müssten für eine Einstufung als kriminelle Organisation die möglicherweise strafrechtlich relevanten Aktionen der Gruppe eine gewisse Erheblichkeit überschreiten – bisher sei das in Berlin nicht auszumachen. Vorgeworfen wird den Aktivist:innen in Berlin und auch München zumeist Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt – in beiden Vorwürfen kann von einer besonderen Erheblichkeit kaum die Rede sein.
Möglicherweise hat deshalb auch nicht Bayern die Federführung bei der Strafverfolgung übernommen – obwohl die bayrische CSU-Regierung stets am rabiatesten gegen die Aktivist:innen vorgegangen ist, etwa durch die Verhängung eines 30-tägigen Präventivgewahrsams. Denn mit der Störung öffentlicher Betriebe in der PCK-Raffinerie in Schwedt liegt ein nicht unerheblicher Vorwurf vor. Äußern wollte sich das zuständige Justizministerium in Brandenburg auf taz-Nachfrage nicht. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin verwies lediglich darauf, dass es sich bei den Ermittlungen bezüglich Paragraf 129 um einen Anfangsverdacht handle. Auf die Frage, woraus sich dieser speise, verwies der Sprecher auf die straffe Organisation und Rollenverteilung in der Gruppe.
Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte auf Anfrage mit, dass bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) „mehrere Anzeigen zur Prüfung des § 129 StGB im Zusammenhang mit der ‚Letzten Generation‘ vorliegen“. Die Prüfung dieser Anzeigen dauere derzeit an.
Die Innenminister von Bund und Ländern hatten Anfang Dezember beschlossen, ein Lagebild über die Gruppe erstellen zu lassen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte sich dabei für Ermittlungen wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung ausgesprochen. „Aus meiner Sicht spricht vieles dafür“, sagte Stübgen: „Sie sind organisiert, haben entsprechende Trainingsplätze und verabreden sich zu kriminellen Aktionen.“
Zuvor hatte sich Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, gegen eine Einstufung der Gruppe als extremistisch ausgesprochen. Das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“, sagte er. Von einer „Klima-RAF“ zu sprechen, wie dies etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt getan hatte, sei „Nonsens“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid