Einigung in der EU-Flüchtlingspolitik: Nicht historisch, sondern wertlos
Selbst wenn man alle menschenrechtlichen Bedenken beiseite wischt, bleibt die Einigung in der Flüchtlingspolitik ein schlechtes Ergebnis.
H aftlager an den EU-Außengrenzen, Geflüchtete, die in nur vermeintlich sichere Drittstaaten zurückgebracht werden: Aus menschenrechtlicher Sicht ist das, worauf sich die EU-Innenminister*innen am Donnerstagabend verständig haben, eine Katastrophe. Das Elend der Flüchtlinge dürfte sich noch vergrößern.
Aber selbst wenn man die menschenrechtlichen Bedenken beiseitewischt, so wie es SPD und Teile der Grünen-Spitze tun, bleibt die Einigung vom Donnerstagabend ein schlechtes Ergebnis. Denn das, was Europas Flüchtlingspolitik so dringend fehlt – auch aus unterkühlt funktionaler Sicht –, stand in Luxemburg nicht einmal zur Debatte: ein umfassender und verbindlicher Mechanismus zur Verteilung von Geflüchteten auf alle EU-Staaten, der die überforderten Länder an den Außengrenzen wirklich entlastet. Stattdessen einigten sich die EU-Innenminister*innen auf einen Solidaritätsmechanismus, bei dem die Aufnahme weiter freiwillig bleibt. Das funktioniert bisher nicht und wird auch in Zukunft nicht funktionieren.
Dass Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, künftig 20.000 Euro pro Nicht-Aufnahme zahlen sollen oder sich am Außengrenzschutz beteiligen sollen, ändert kaum etwas. Zum einen ist unklar, ob solche Staaten die Zahlung nicht einfach verweigern. Polens Europaminister Szymon Szynkowski sagte am Freitag schon mal: „Wir werden nicht akzeptieren, dass uns absurde Ideen aufgezwungen werden.“ Weil Polen aber ohnehin schon Beamt*innen für Frontex stellt, könnte es diese Leistungen wohl auch einfach umdeklarieren und argumentieren, seinen Beitrag zu leisten.
Die Probleme der Außengrenzenstaaten aber wohl auch dann weiter bestehen, wenn Nichtaufnahmestaaten künftig tatsächlich etwas Geld abdrücken. Schon in der Vergangenheit nahm Griechenland ihm zustehende EU-Gelder für die Flüchtlingsaufnahme vielfach gar nicht in Anspruch. Und auch die neuen Regelungen für beschleunigte Grenzverfahren sind nicht mal ein zynischer Ersatz für einen Verteilmechanismus. Sie sollen ja nur wenige Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ und Ländern mit niedrigen Schutzquoten betreffen. Dass die neue Drittstaatenregelung in ihrer Menschenfeindlichkeit für Entlastung sorgt, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Staaten wie die Türkei dürften sich in den dafür nötigen Deals teuer bezahlen lassen, Verhandlungen werden sich lange ziehen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kann die Einigung vom Donnerstagabend also noch so oft „historisch“ nennen, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) noch so viel von einem „schwierigen“, aber „richtigen Kompromiss“ sprechen. Ohne verbindlichen Verteilmechanismus bleibt die Einigung der EU-Innenminister*innen wertlos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen