Ei-Wurf auf Franziska Giffey am 1. Mai: Die Extreme nicht gewähren lassen
Bei der Attacke auf die Regierungschefin erschreckt nicht nur der Angriff selbst, sondern dass Umstehende die Gewalt tolerierten. Ein Wochenkommentar.
E s hätte auch ein Stein sein können, der am 1. Mai bei der DGB-Kundgebung auf sie zuflog, oder ein Farbbeutel, sinnierte Franziska Giffey dieser Woche im taz-Interview. Doch auch das Ei, das ein Sicherheitsbeamter mit einem Regenschirm noch wie ein Baseball-Spieler abwehren konnte, hätte Berlins Regierungschefin von der SPD verletzten, etwa ein Auge beschädigen können.
Irgendwer gewichtete das – sofern es überhaupt geschah – offenbar anders. Ihr oder ihm war ein Ausdruck des Protests gegen Giffey und deren ablehnende Haltung zu Enteignungen wichtiger als die Gesundheit der Berliner SPD-Chefin. Allein das kann nur Bestürzung auslösen.
Schon die in anderen Fällen, etwa bei Brandanschlägen gegen teure Autos, zu hörende Argumentation, Gewalt gegen Sachen sei hinzunehmen, ist eine rechtlich wie gesellschaftlich nicht hinzunehmende Selbstermächtigung. Aber noch einen Schritt weiter zu gehen und Politiker auf diese Weise zu attackieren? Bei denen nicht nur die Person selbst, sondern auch das Amt oder Mandat und im Falle Giffey sogar ein Verfassungsorgan Ziel der Attacke ist?
Deutschandweit sind Politiker, quer durch das politische Spektrum, Angriffen ausgesetzt, von Hassattacken im Netz bis zu persönlicher Bedrohung. Jemanden zu bewerfen, wie es bei Giffey geschah, ist glücklicherweise eher selten.
Überregional am bekanntesten wurden Vorfälle wie die Farbbeutel-Attacke auf den damaligen Außenminister Joschka Fischer 1999 beim Grünen-Bundesparteitag, der ihm das Trommelfell zerriss – ausgerechnet aus dem Kreis von Menschen, die ihn wegen der deutschen Kriegsbeteiligung im Kosovo kritisierten.
Dass der CDU-Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl 2001, Frank Steffel, bei einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz gleichfalls beworfen wurde, blieb mehr deshalb in Erinnerung, weil Steffel sich wegzuducken schien hinter den neben ihm stehenden CSU-Chef Edmund Stoiber. Doch solcher Spott wird dem Vorfall nicht gerecht: Auch das war ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit eines Menschen.
Schlimmer aber noch als die Tatsache, dass Einzelne auf diese Weise gewalttätig wurden und werden, ist etwas anderes: Dass sich diese Einzelnen offenbar sicher fühlen können. Sicher in dem Sinne, dass ihnen von den Umstehenden weder jemand in den Arm fällt noch sie anschließend in einem Akt der Nothilfe festhält, bis die Polizei kommt. Wer solche Taten in dieser Form toleriert, macht sich zum Mittäter oder zur Mittäterin.
SPD-Vizechef Andreas Geisel hat in der vergangenen Wahlperiode, als er noch nicht Stadtentwicklungs-, sondern Innensenator war, im Parlament sinngemäß Folgendes gesagt: Ihm würde weniger der Extremismus an der Rändern Sorgen machen, sondern die Trägheit in der Mitte der Gesellschaft. Bei anderer Gelegenheit befürchtete er Verhältnisse wie in der Weimarer Republik, wo die NSDAP von rechtsaußen und die KPD von linksaußen die Demokratie bekämpften und die Mitte dem zu wenig entgegen zu setzen hatte.
Denn was ist auch an diesem 1. Mai bei der DGB-Demonstration vor dem Eierwurf passiert? Ein Block hatte den traditionellen Aufzug des Gewerkschaftsbunds mehr oder minder gekapert, sich an die Spitze gesetzt und dann am Brandenburger Tor versucht, Giffey als Gastrednerin nieder zu brüllen.
Warum formierte sich da kein Gegenchor und skandierte „Seid ruhig“ oder „Wir wollen zuhören“? Um klar zu machen: Laut sein können wir auch, und wir lassen nicht zu, dass eine Minderheit eine große Mehrheit dominiert. Solange sich solcher Widerstand aber nicht formiert, können sich extreme Kräfte nur ermuntert fühlen, weiter aggressiv aufzutreten.
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