Drama um Mélenchon: Zittern wie Gott in Frankreich
Die Stimmungsmache gegen das Linksbündnis ist verkappte Angst vor radikaler Umverteilung. Doch die braucht es, um den Rechtsextremismus aufzuhalten.
D ieses Aufatmen, es will einem im Hals stecken bleiben. Da es aber ohnehin zu viele schlechte Nachrichten gibt, bitte kurz feiern: Die Linke in Frankreich hat es trotz erheblicher Differenzen geschafft, sich im Nu parteiübergreifend zusammenzuschließen, auf ein progressives, sozialpolitisches Programm zu einigen, um damit den Rechtsextremen den Kampf anzusagen.
Und ist bei den Parlamentswahlen am 7. Juli unerwartet stärkste Kraft geworden. Da geht noch was! Höhere Mindestlöhne, Preisdeckelung von Lebensmitteln, Wiederaufbau des öffentlichen Sektors und insbesondere der Krankenhäuser waren Kernpunkte des gemeinsamen Programms. Der rechtsextreme Rassemblement National bekam keine absolute Mehrheit, Parteivorsitzender Jordan Bardella ist nicht Premierminister geworden. Gut so.
Und jetzt zu den Problemen. Erstens: Die Rechtsextremen haben trotz allem so viele Sitze im französischen Parlament erhalten wie nie zuvor. Der Wahlausgang ist höchstens eine kurze Atempause im Kampf gegen rechts. Und zweitens: Mit 182 von 577 Sitzen im Parlament wird das Sozialprogramm des Linksbündnisses kaum durchzusetzen sein. Dabei wäre es das einzig langfristig wirksame Mittel gegen den Rechtsextremismus.
Wie fast überall auf der Welt waren die letzten Jahre in Frankreich geprägt von Privatisierungen, dem Kaputtsparen öffentlicher Infrastruktur und dem erbarmungslosen Auspressen der Mittel- und Unterschichten durch Kürzungen. Damit einher geht eine steuerliche Entlastung oder gar finanzielle Unterstützung von Großkonzernen mit Superprofiten. Diese Politik der „extremen Mitte“, wie sie in Frankreich zu recht benannt wird, befeuert den Reflex, nach unten zu treten, rechts zu wählen.
Auch wenn Kritik berechtigt ist…
Um die Bekämpfung dieser menschenfeindlichen Wirtschaftspolitik geht es also. Wenn nun gutbürgerliche Kräfte Angst gegen das Linksbündnis schüren, ist das nichts anderes als schlecht verkappte Panik vor realer Umverteilung. So wird nicht nur in Frankreich das Schreckgespenst Jean-Luc Mélenchon von der Partei France Insoumise (LFI) bemüht, um zu verdeutlichen, wie ach so furchtbar die „Neue Volksfront“ werden könne.
Was die Personalie betrifft: Klar ist Mélenchon in vielerlei Hinsicht kritisch zu sehen. Er ist autoritär: Abgeordnete, die ihn kritisierten, durften zuletzt nicht erneut als Parlamentarier*innen antreten. Auch schrieb er in einem Blogartikel, Antisemitismus sei in Frankreich nur noch ein „Überbleibsel“, was eine bodenlose Verharmlosung ist. Kritik ist angebracht, wie es auch ein Zurückziehen Mélenchons wäre. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass seine Partei bei diesem Thema teilweise Desinformationskampagnen zum Opfer fiel.
Das rote Dreieck etwa, das manche LFI-Abgeordneten als Pin am Revers tragen, ist kein Hamas-Symbol, sondern wird von ihnen schon seit vielen Jahren als Erinnerung an NS-deportierte Kommunisten und Sozialisten getragen.
Nichts da mit „Pest und Cholera“
Dass die Parteivorsitzende Mathilde Panot die Hamas-Anschläge vom 7. Oktober als „Kriegsverbrechen“ bezeichnete, wurde ihr als Antisemitismus ausgelegt. Es hätte bitteschön „Terrorismus“ heißen müssen. Die LFI wegen solcher Debatten gleichzusetzen mit einer rechtsextremen Partei, die sich Ausgrenzung ins Programm geschrieben hat, ist unlauter und unangebracht. Nichts da mit „Pest und Cholera“.
Und – sorry, not sorry: Dass von Armin Laschet (CDU) über Springer-Presse und Tagesspiegel ein paar Pikierte Mélenchon als „Deutschenhasser“ fürchten, weil er die Vormachtstellung der Bundesrepublik in der EU mal kritisiert hat: Heult doch.
Vor allem aber ist der Fokus auf Mélenchon völlig unnötig und künstlich aufgebauscht. Die LFI ist im Linksbündnis Neue Volkfront eine von vier Parteien: Da sind noch die Grünen, Kommunisten und Sozialisten. Und die LFI steht insbesondere in ihren außenpolitischen Linien recht isoliert in diesem Bündnis da. Sie hat am Freitag zwei Frauen und zwei Männer aus ihrer Partei als mögliche*n Premierminister*in genannt, darunter auch Mélenchon.
Noch kein Tabubruch
Dass überhaupt jemand aus der LFI diesen Posten bekommt, ist allerdings unwahrscheinlich, eben weil die Differenzen mit den anderen drei Parteien so groß sind und weil kaum jemand von ihnen parteiübergreifend als mehrheitsfähig gilt.
Wenn sich nun also Angst vor vermeintlichem Linksextremismus ausbreitet, der inhaltlich eher etwas von zahnloser Sozialdemokratie der Achtziger hat, dann eben, weil auch die kleinste Umverteilung von oben nach unten als Tabubruch gilt. Das sagt mehr über kapitalistische Norm aus, denn über die Neue Volksfront.
Ökonom*innen wie Thomas Piketty und Esther Duflo unterstützen das Programm des Linksbündnisses. Nein, die Wirtschaft würde durch mehr Sozialpolitik nicht zusammenbrechen. Im Gegenteil: Diese ist in ihrer Stoßrichtung das Einzige, was gegen die Le Pens und Bardellas noch hilft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück