Design von Zügen: „Wir sprechen nicht von Klassen“
Christiane Bausback und Andreas Bergsträßer designen Züge für die Deutsche Bahn. Für sie sind die Zeiten vorbei, in denen es nur um Rentabilität ging.
wochentaz: Frau Bausback, Herr Bergsträßer, Sie haben schon viele Züge der Deutschen Bahn mitentworfen. Was macht eine gute Inneneinrichtung aus?
Christiane Bausback: Wir verstehen Design als Werkzeug, um Probleme zu lösen, nicht als Verschönerungsmaßnahme. Ein gutes Design muss durchdacht sein, man muss sich darin wohl fühlen, es muss die Marke widerspiegeln, und zwar über alle Berührungspunkte von der Buchung bis zum Zug.
Andreas Bergsträßer: Ein gutes Design zeichnet sich hier vor allem durch seine Langlebigkeit aus, da die Züge oft 30 Jahre und mehr fahren. Also muss es eher visionär sein, anstatt temporäre Trends zu beachten. Das ist immer dann der Fall, wenn es möglichst neutral gestaltet ist und nicht geschmäcklerisch. Sonst denkt der eine: Oh, das ist ja toll! Und der andere: Das geht gar nicht.
Der Gründer
N+P Innovation Design wurde 1970 von Alexander Neumeister gegründet. Er hat den ICE designt, die Transrapid-Familie und den Nozomi Shinkansen in Japan. Er hat auch zahlreiche Preise gewonnen. Sein Transrapid-Design ziert eine Briefmarke. Seit 2011 ist er im Ruhestand.
Die Züge
Die Agentur ist für das Exterior- und das Interior-Design des ICE-V, des ICE 3 in den Baureihen 403 und 406, des ICE-T in den Baureihen 411 und 415, des Desiro in der Baureihe 642 und von vielen weiteren Zügen verantwortlich (www.np-id.com).
Gibt es unterschiedliche Kriterien für die Inneneinrichtung einer Regionalbahn und die eines Hochgeschwindigkeitszugs?
Bausback: Ja. Die Verweildauer in einem Hochgeschwindigkeitszug ist in der Regel sehr viel höher als in einem Regionalzug. Deshalb muss die Ausstattung, etwa die Sitze, darauf ausgerichtet sein. Hinzu kommt, dass ein Regio einen Teil des Landes repräsentiert, was sich durchaus auch im Interior-Design widerspiegeln kann, und ein Hochgeschwindigkeitszug das gesamte Land. Und dann ist da noch das Exterior-Design: Wenn eine S-Bahn wie ein sehr schneller Zug aussieht, stimmt etwas nicht.
Wenig Leder, dafür mehr Holz, Wollanteil und Gemütlichkeit: Was halten Sie vom geplanten ICE-Innendesign, das vor einigen Monaten vorgestellt wurde?
Bergsträßer: Meiner Auffassung nach werden dort viele Schwachstellen des aktuellen ICE 4 behoben. Es gibt mehr Privatsphäre und Wohnlichkeit, und die Sitzposition ist auch verbessert worden. Vieles im Restaurantbereich basiert auf unseren gemeinsamen Entwicklungen für die Deutsche Bahn der letzten Jahre.
Das Design erinnert sehr an Mid-Century. Was ist daran neu?
Sie ist Designerin und Geschäftsführerin von N+P Design in München, Wien und Atlanta. Ihre Designs erhielten viele internationale Auszeichnungen.
Bergsträßer: Auch ein Design, das sich an der Vergangenheit orientiert, kann langlebig sein. Entscheidend ist, ob es gelingt, es in die Zukunft zu übertragen.
Ist viel Holz die Zukunft? Wäre es nicht ökologisch sinnvoller, etwa Plastik wiederzuverwerten?
Bergsträßer: Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Auch Langlebigkeit und die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen gehören dazu. Holz kann als warmes Material helfen, eine nüchterne und funktionale Reiseumgebung wohnlicher zu machen.
Apropos Wohnlichkeit: Laut der Deutschen Bahn soll man sich in ihren Zügen künftig wie im eigenen Wohnzimmer fühlen. Heißt das, wir dürfen dann alle die Schuhe ausziehen und unseren Reiseproviant ausbreiten?
Er ist Designer mit 37 Jahren Erfahrung in der Gestaltung technisch komplexer Produkte in den Bereichen Mobility, Industry und Health Care bei N+P.
Bausback: Es geht ums Wohlfühlen, wie in der Lobby eines Hotels. Dort ziehe ich ja auch nicht unbedingt gleich die Schuhe aus, aber ich kann mich fallen lassen und genießen.
Bergsträßer: Wenn ein Zug Wohnlichkeit vermittelt, kann er gegen den Individualverkehr punkten.
In der Pressemitteilung zum neuen ICE-Innendesign heißt es: „Der Zug muss zum Menschen passen und nicht umgekehrt.“ Das erlebe ich oft anders. Da ist die Bestuhlung zu eng und für den Koffer ist wenig Platz. Wie passt das zusammen?
Bergsträßer: Insofern, als die aktuellen Züge Ausdruck der Vergangenheit sind, die Pressemitteilung sich aber auf die Zukunft bezieht.
Bausback: Vor 100 Jahren war das Bahnfahren noch ein Wahnsinnsereignis, das sich nicht jeder leisten konnte. Danach kam eine Welt, in der alles plötzlich funktional sein musste, neutral, kapazitätsgetrieben. Doch jetzt besinnen wir uns zurück: Wie können wir das Gute aus der Vergangenheit in die Zukunft übertragen? Aber bitte nicht bloß für die wohlhabenden 5 Prozent, sondern für alle Menschen.
Dennoch wird auch bei Ihren Designs recht deutlich, dass die Menschen mit viel Geld in Zukunft sehr bequem reisen werden – und die mit weniger nicht so. In der 1. Klasse ein schicker Lounge-Bereich, in der 2. Klasse Stuhl an Stuhl. Wo bleibt da die soziale Gerechtigkeit?
Bausback: Ich würde nicht unbedingt von Klassen sprechen, sondern von unterschiedlichen Zonen.
Bergsträßer: Jeder Passagier bringt unterschiedliche Bedürfnisse mit, die sich besonders während langer Strecken auch ändern können. Es ist also sinnvoll, ihm eine Auswahl verschiedener Zonen anzubieten: zum Arbeiten, zum Entspannen, zum Unterhalten, zum Telefonieren. Man könnte es künftig sogar so machen, dass man für seinen Platz nur so lange zahlt, wie man ihn benötigt. Die kleine Kabine für die halbstündige Telefonkonferenz, danach einen Drink an der Bar, später ein einfacher Sitzplatz …
Wird die Idee mit den Zonen bereits irgendwo umgesetzt?
Bergsträßer: Vor rund 10 Jahren haben wir für Hitachi ein modulares Zugkonzept entwickelt, wo es anstelle von Klassen verschiedene Zonen zum Arbeiten, Socializen und Relaxen gab. Und kürzlich haben wir mit Siemens und Grammer verschiedene Ansätze dazu entwickelt.
Wie war das früher, worauf wurde da bei der Inneneinrichtung eines Zuges Wert gelegt?
Bausback: Auch in den 90ern hat man schon von Reiselandschaften gesprochen – es ging also nicht mehr um die Gestaltung einzelner Waggons, sondern eher um den Zug als Ganzes. Aber man hatte nicht so viele Möglichkeiten wie heute.
Bergsträßer: Da musste man zum Beispiel mit ein, zwei Neon-Lichtbändern auskommen und konnte nur durch die clevere Platzierung ein gewisses Ambiente schaffen. Heute kann man das Licht genau dort platzieren, wo es gebraucht wird, und die Intensität und Farbstimmung je nach Tages- und Jahreszeit unterschiedlich programmieren.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ein spezielles Lichtdesign, Touchpads, spezielle Arbeitsbereiche – wenn heute so vieles möglich ist: Wieso sind wir beim Thema Barrierefreiheit eigentlich immer noch so weit vom Idealzustand entfernt?
Bergsträßer: Die größte Herausforderung ist ja, dass die Menschen barrierefrei in den Zug kommen. Es muss also erst mal gewährleistet sein, dass wirklich jeder Bahnhof einen funktionsfähigen Lift bereithält und eine Rampe, damit der Rollstuhlfahrer bei Höhenunterschieden zwischen Gleis und Eingang in den Zug gelangen kann.
Und welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie im Zug für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind?
Bausback: Leider ist der Bereich, wo genügend Platz für Rollstuhlfahrer ist, oft nicht der schönste Ort. Im Großraum befindet sich der Platz meist direkt neben dem Behinderten-WC, oder der Blick geht gar in Richtung einer Wand.
Bergsträßer: Das ist bedauerlicherweise letztlich eine Kostenfrage. Würde man den Bereich, in dem sich Menschen mit Behinderung frei bewegen können, ausbauen, könnte man weniger reguläre Sitzplätze einbauen. Das würde wiederum bedeuten, dass insgesamt deutlich weniger Menschen mit dem Zug befördert werden können.
Dabei lese ich sowohl bei der Deutschen Bahn als auch bei Ihnen, dass der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen sollen. Wie setzen Sie das um?
Bausback: Wir befragen ganz unterschiedliche Personengruppen wie Business-Reisende, Senioren, Eltern und wollen von ihnen erfahren, was sie stört, was ihnen gefällt. Und daraus generieren wir dann eine Erlebniswelt. Denn ein Erlebnis ist das, was ich mitnehme. Daran erinnere ich mich.
Und welche Themen sind den Passagier:innen wichtig?
Bausback: Nachhaltigkeit, aber auch Vertrauen. Ich will, dass mein Gepäck sicher ankommt und – seit Corona – dass ich mich während der Zugfahrt nicht anstecke. Außerdem Flexibilität: Am Wochenende reise ich mit den Kindern, da brauche ich mehr Platz. Unter der Woche möchte ich lieber meine Ruhe haben und arbeiten. Und Connectivity. Wir haben gerade ein smartes Sitzsystem entwickelt, bei dem ich per App einstellen und für mich speichern kann, wie ich gerne sitze.
Gibt es eigentlich nationale Unterschiede zwischen den Bedürfnissen der Fahrgäste?
Bergsträßer: Jede Kultur hat ihre speziellen Bedürfnisse. Die Chinesen lieben Warmwasserspender in jedem Wagen, mit denen sie sich eine Suppe zubereiten können, den Deutschen ist Platzreservierung, Service und Pünktlichkeit wichtig. Spanier fahren lieber vorwärts, weshalb alle Sitze im Hochgeschwindigkeitszug AVE S103 in Fahrtrichtung drehbar sind.
Und mit welchem Zug würden Sie gerne einmal verreisen?
Bausback: Super finde ich den Glacier Express in der Schweiz. Der hat im oberen Bereich Panoramafenster, sodass man auf die Schweizer Berge sehen kann. Und jetzt, ganz neu, kommt der italienische Orient-Express raus. Den würde ich wahnsinnig gerne mal fahren.
Warum?
Bausback: Ich habe Lust auf das alte Reiseerlebnis. Dort gibt es ein Schlafzimmer und einen Restaurantwagen. Es geht um die Langsamkeit, um das Reisen selbst. Man fährt durch die Landschaft und genießt es.
Die Zeit des Aus-dem-Fenster-Schauens ist also nicht vorbei?
Bausback: Nein, überhaupt nicht. Aber entspannt wird dann, wenn man es möchte. Ansonsten kann man sich die Zeit mit vielen anderen Dingen vertreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen