Corona und Gewaltenteilung: Die Freiheit sichern
Wieder werden Grundrechte eingeschränkt, wieder wird die Freiheit beschnitten. Die Parlamente sollten endlich aktiv werden. Die Gerichte sind es schon.
D er Sommer der Lockerungen ist vorbei, und der nächste Shutdown steht vor der Tür. Doch wer entscheidet über welche Maßnahmen? Und wer stellt sicher, dass Deutschland sich nicht schleichend in ein autoritäres Regime verwandelt? Institutionell sind wir heute kaum besser aufgestellt als im März.
Zur Erinnerung: Es gibt keinen Ausnahmezustand. Alle Maßnahmen basieren auf dem Infektionsschutzgesetz, einem Bundesgesetz. Konkret beschlossen werden die Verbote aber auf Landesebene – entweder durch Verfügungen der Kommunen oder durch Verordnungen der Bundesländer. Die Landesregierungen und die Bundesregierung versuchen zwar, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, so wie bei der Videokonferenz an diesem Mittwoch. Solche Beschlüsse sind jedoch rechtlich unverbindlich.
Drei große institutionelle Fragen stehen heute im Raum: Warum kann die Kanzlerin, die an diesem Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung abgibt, nicht die Leitlinien der Politik bestimmen? Warum spielen die Parlamente bei so schweren Grundrechtseingriffen kaum eine Rolle? Und wer kontrolliert die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen?
Vorweg etwas Beruhigendes. Die Coronakrise wird bisher nicht für politische Manöver missbraucht. Der CDU-Parteitag fällt genauso aus wie der Parteitag der Linken. Für die Demos der Verschwörungsesoteriker gelten die gleichen Beschränkungen wie für andere Versammlungen. Auch die Religionen wurden gleichbehandelt, als im Frühjahr Gottesdienste verboten waren.
Unterschiede gibt es aber immer wieder zwischen den Bundesländern. Im Süden wird meist schneller und etwas härter beschränkt als im Norden und Osten. Viele beklagen diese Uneinheitlichkeit und glauben, dass bundeseinheitliche Beschränkungen mehr Akzeptanz fänden.
Ein Weisungsrecht der Bundesregierung könnte eingeführt werden, aber bisher wurde zu Recht darauf verzichtet. Die Infektionszahlen sind nun mal unterschiedlich in den Ländern, so wie deren Lage. Bayern hat Grenzen zu Österreich, Mecklenburg-Vorpommern hat die Ostsee. Der manchmal lästige Dialog der Länder über den richtigen Kurs ist auch allemal besser, als wenn ein etwaiger Kanzler Friedrich Merz die Richtung vorgäbe. Das Ringen der Länder zeigt Alternativen auf, schafft Transparenz und erschwert Überreaktionen.
Christian Rath ist promovierter Jurist und seit 1993 rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er berichtet unter anderem über das Bundesverfassungsgericht.
Der Pluralismus der Exekutiven ist aber nur zum Teil ein Ersatz für die Beteiligung der Parlamente, denn nur dort kommt auch die jeweilige Opposition zu Wort. Es ist daher ein Problem, wenn massive Grundrechtseingriffe nur als Verordnungen der Landesregierungen beschlossen werden und nicht als parlamentarische Gesetze.
Erster Schritt muss hier sein, dass der Bundestag das Infektionsschutzgesetz konkretisiert. Das weitgehende Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist darin nicht einmal als Möglichkeit erwähnt. Die Länder stützen sich oft nur auf die Generalklausel für „die notwendigen Schutzmaßnahmen“. Hier hat der Bundestag bisher gepennt.
Epidemische Lage muss wichtiger werden
Außerdem sollte die Feststellung der „epidemischen Lage“ durch den Bundestag mehr Relevanz bekommen. Bisher ist dieser Beschluss nur Voraussetzung für einige randständige Befugnisse von Gesundheitsminister Jens Spahn. Die Epidemie-Feststellung könnte aber auch als Grundlage für die entscheidenden Coronaverordnungen der Länder dienen. Wenn der Bundestag zum Beispiel alle zwei Monate darüber beschließen müsste, ob (noch) eine epidemische Lage besteht, wäre das ein Legitimationsgewinn.
Die konkrete Bestimmung der Verbote muss aber wohl exekutiv bleiben. Wenn sich die Fallzahlen binnen Wochenfrist verdoppeln, ist schnelles Handeln per Regierungsverordnung angezeigt. Es ist Aufgabe der Landtage, hierbei die Landesregierungen zu kontrollieren. Auch viele Landtage haben bisher gepennt, wohl auch wegen der Fixierung der Medien auf die Bundespolitik.
Vorbild könnte der Landtag von Baden-Württemberg sein. Auf Initiative der oppositionellen FDP hat er im Juli ein Coronabegleitgesetz beschlossen. Danach benötigen die Coronaverordnungen der grün-schwarzen Landesregierung spätestens nach zwei Monaten die Zustimmung des Landtags. Ende September hat der Stuttgarter Landtag nach einer Generaldebatte erstmals diese Zustimmung erteilt. Dass die Medien davon kaum Kenntnis genommen haben, zeigt eher ein Problem der Medien als eines des Parlaments.
Entscheidende Rolle der Gerichte
Die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit ist zwar auch Aufgabe der Landtage, doch werden die Mehrheitsfraktionen tendenziell immer ihre Regierung stützen. Die entscheidende Rolle haben hier die Gerichte. Sie müssen sicherstellen, dass die Einschränkungen der Freiheit aufs Nötige beschränkt bleiben. Da es um Länderverordnungen geht, sind zunächst die Verwaltungsgerichte der Länder zuständig. Bis sich eine gemeinsame Linie herausbildet, stehen auch sie mit ihren Eilbeschlüssen faktisch in einem Dialog untereinander – wie jüngst bei der Ablehnung von Beherbergungsverboten. Nur wenn die Verwaltungsgerichte nicht abhelfen, muss das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Die Karlsruher RichterInnen können im Zweifel dann aber auch für eine einheitliche Linie sorgen.
Angesichts der explodierenden Fallzahlen werden die Gerichte in den kommenden Wochen aber wohl kaum stringente Maßnahmen verhindern. Ihre Aufgabe besteht eher darin, für die Abschaffung der Beschränkungen zu sorgen, wenn das Gröbste vorbei ist.
Abgesehen von den schläfrigen Parlamenten, die viel jammern, aber ihre Chancen nicht nutzen, ist Deutschland institutionell für die zweite Coronawelle gut aufgestellt. Föderalismus und gerichtliche Kontrolle sichern mit ihren Checks and Balances die Freiheit, soweit möglich. Den Impfstoff können aber auch Gerichte nicht herbeiurteilen.
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