piwik no script img

Bürgermeisterwahl in LudwigshafenEine demokratische Farce

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Der AfD-Politiker Joachim Paul darf nicht als Bürgermeister kandidieren. Ein richtiges Urteil mit einem bitteren Beigeschmack für die Demokratie.

AfD-Politiker Joachim Paul: mangelnde Verfassungstreue Foto: Arne Dedert/dpa

B ei der Bundestagswahl im Februar war die AfD stärkste Partei in Ludwigshafen. Doch zur Wahl des dortigen Oberbürgermeisters im September darf der AfDler Joachim Paul nicht antreten. Der Grund: mangelnde Verfassungstreue. Das haben die Vertreter der anderen Parteien im Wahlausschuss der Stadt beschlossen. Nun hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz den Wahlausschluss in einer Eilentscheidung bestätigt. De jure ist das korrekt, aber de facto ist es eine demokratische Farce.

Ein Oberbürgermeister ist ein Beamter – trotz der Wahl. Für sie gelten damit strengere Regeln als für Gemeinderäte, Landtags- oder Bundestagsabgeordnete. Beamte müssen laut Gesetz gewähren, „jederzeit“ für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Bei Zweifeln gibt es ein Berufsverbot. Das gilt in Deutschland auch für gewählte Beamte. In seiner Rigidität ist das nur konsequent.

Timing macht dabei keinen großen Unterschied: Ob vor der Wahl die anderen Parteien im Wahlausschuss ein vorsorgliches Berufsverbot beschließen oder nach einer gewonnenen Wahl die Aufsichtsbehörden das Wahlergebnis für ungültig erklären. Beides ist nicht schön.

Vor der Wahl besteht zwar nur ein eingeschränkter Rechtsschutz. Das heißt, das OVG Koblenz konnte nur prüfen, ob der Beschluss des Wahlausschlusses auf „offensichtlichen Fehlern“ beruhte (was nicht der Fall war, da der Verfassungsschutz Zweifel an Joachim Pauls Verfassungstreue vorlegte).

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Nach der Wahl kann der AfD-Politiker aber noch eine gerichtliche Prüfung verlangen, ob etwa sein „Remigrationskonzept“ nun auch Deutsche mit Migrationsgeschichte erfasst oder nur Ausländer. Nur Ersteres gilt als verfassungswidrig.

Das eigentliche Problem ist das Konzept der „wehrhaften Demokratie“, das die freiheitliche Demokratie verteidigen will, indem es sie einschränkt – das ist ein Paradox.

Schon beim Kampf gegen kommunistische 0,2-Prozent-Splittergruppen in den 1970er Jahren hat das mehr geschadet als genutzt. Wenn sich die „wehrhafte Demokratie“ gegen die in Ludwigshafen beliebte AfD richtet, kann die Bilanz kaum besser ausfallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

27 Kommentare

 / 
  • Darf kein*e AfD-Politiker*in antreten oder nur Herr Paul nicht? Vielleicht begibt sich die AfD unter ihren Mitgliedern ja mal auf die Suche nach jemandem, die*der nicht verfassungsfeindlich ist und zudem nicht in Fälle von häuslicher Gewalt, Tierquälerei, Konkursverschleppung, Kinderpornohandel oder großmaßstäblicher Steuerhinterziehung verwickelt ist - obwohl AfD-Wähler*innen sich erfahrungsgemäß selbst davon nicht in größerer Menge von ihrer Wahlentscheidung abbringen lassen.

    • @My Sharona:

      "Vielleicht begibt sich die AfD unter ihren Mitgliedern ja mal auf die Suche nach jemandem, die*der nicht verfassungsfeindlich ist und zudem nicht [...]"

      Sie meinen also jemanden, der "wählbarer" erscheint und mit noch größerer Wahrscheinlichkeit Oberbürgermeister von Ludwigshafen würde? 🤔

  • Ausgerechnet bei einem AfDler bedauert der Autor den Schaden für die Demokratie? Geht's noch? Wieder mal die Opferrolle für die Afd?

  • Wenn (Ober-)Bürgermeister als Beamte (wahrscheinlich auf Zeit) zählen, gilt das auch auch auf Landes- und Bundesebene für Minister, parlamentarische Staatssekretäre und für den Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten selbst? Diese leiten doch auch Behörden. Könnte damit einem oder einer AfD-Abgeordneten verboten werden, als Kanzlerkandidat(in)/Ministerpräsident(in) aufzutreten?

  • "Das eigentliche Problem ist das Konzept der „wehrhaften Demokratie“, das die freiheitliche Demokratie verteidigen will, indem es sie einschränkt – das ist ein Paradox" - selten so gelacht. Ich finde so eine Aussage ist ein Paradebeispiel für gut klingende aber in Praxis nur dumme Theorie.

    Wie der Artikel ja selbst gut belegt: "Schon beim Kampf gegen kommunistische 0,2-Prozent-Splittergruppen in den 1970er Jahren hat das mehr geschadet als genutzt." Echt jetzt? Ob das nötig war oder nicht wäre mal eine interessante Frage. Aber man doch nun wirklich nicht sagen das es dem Staat irgendwie merkbar geschadet hat.

    Und wer die AfD mit 0,2%-Kommunisten vergleicht hat auch die Augen zu, bzw. sitzt in einem Elfenbeinturm

  • "Das eigentliche Problem ist das Konzept der „wehrhaften Demokratie“, das die freiheitliche Demokratie verteidigen will, indem es sie einschränkt"

    Das würde zutreffen wenn der AfD Kandidat einen Wählerauftrag erhalten hätte, also bereits als OB gewählt wurde.

    In diesem Fall wurde im Vorfeld einer Wahl, in einem demokratischen Prozess durch den Wahlausschuss, ein Kandidat bei dem erhebliche Zweifel an seiner Verfassungstreue bestand verhindert.

    Dieses wurde eben nicht durch ein Verbot einer übergeordneten Stelle verordnet, sondern durch einen Mehrheitsbeschluss erwirkt, dessen Rechtsgültigkeit gerichtlich bestätigt wurde. Das ist ein demokratischer Prozess und weder ein Paradoxon noch ein Schaden für die Demokratie.

    Von einem Paradoxon würde man sprechen, wenn die "wehrhafte Demokratie" zur Verteidigung der freiheitlichen Demokratie, die politische Freiheit von demokratischen Parteien durch Verbote einschränkt.

    Das ist in diesem Beispiel nicht der Fall, denn der AfD steht es frei einen neuen Kandidaten zu nominieren.

    • @Sam Spade:

      Das kommt wohl auf den Blickwinkel an. Zumindest in den sozialen Medien sehen es viele anders. Sogar Elon Musk hat sich zu dem Fall geäußert.



      Insoweit dürfte es der Demokratie auf jeden Fall geschadet haben, unabhändig davon, ob es ein "sauberer" demokratischer Prozess war.

      • @sneaker:

        Bei mir hier trieft gerade eine komische braune Soße aus dem Bildschirm...

    • @Sam Spade:

      Bei einem Entzug des passiven Wahlrechts handelt es sich also ihrer Meinung nach nicht um einen demokratisch problematischen Vorgang? Und den aussichtsreichen Kandidaten vor der Wahl von den Mitbewerbern ausschließen zu lassen und quasi die Gewaltenteilung auszugeben ist auch vollkommen demokratisch? Starke These!

  • Ich empfinde keinen bitteren Nachgeschmack, sondern freue mich darüber, dass hier aus der deutschen Geschichte gelernt wurde.

    Die NSDAP wäre in Preußen damals beinahe verboten worden. Führende konservative Politiker wollten sie aber lieber politisch stellen. Sieht man ja, was daraus geworden ist.

    Die AfD gehört verboten - zur Not erstmal nur die offenkundig von Neonazis durchsetzten Landesverbände im Osten. Und bis zum Verbot muss die AfD so oft es geht, behindert und blockiert werden. Das ist einfach keine normale Partei, und sie hat auch keine per se für die Demokratie wertvolle Stimme.

    • @Suryo:

      Ich mag Ihnen Ihre Freude durchaus gönnen, für die Demokratie ist ein solches Vorgehen ein sehr schlechtes Zeichen. Die Angst muss gross sein, dass man die Wahlen verlieren könnte und zu solchen Mitteln greift. Schlussendlich wird das leider wieder der AFD zugute kommen.

      • @Nico-1:

        Der AfD ist es unbenommen, einen Kandidaten aufzustellen, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

        Und wie ich unten schrieb: die Angst ist berechtigt und auch eine Mehrheit macht aus dem Feind der Verfassung keinen Demokraten.

      • @Nico-1:

        Leider wahr. Ich warte schon seit fast ein Jahrzehnt auf das inhaltliche Stellen. Ich bin wirklich abgegessen.

  • Was hier gefordert wird ist Toleranz für Intolerante. Das war nie eine gute Idee, die wehrhafte Demokratie gibt es ja nicht ohne Grund. Zumal, wann wurde sich zuletzt darüber beschwert, dass Verbrecher ihr passives Wahlrecht verlieren? Das wäre mit derselben Argumentation auch undemokratisch.

    Zumal niemand fordert, einfach nur die AFD zu verbieten im Glauben dass dann alles wieder gut sei. Es wird wieder immer und ständig eine Diskussion darüber brauchen was wir wollen und wie. Nur ist das schwer wenn ein brauner Mob einen dafür unterdrückt, weshalb es so wichtig ist, ihn von der Macht fernzuhalten. Denn noch darf man das sagen...

    ------

    Ich halte es grundsätzlich für wichtig zu sagen was man möchte, statt sich darin zu ergehen, was man alles nicht möchte. Meckern ist einfach, aber bringt nicht viel im demokratischen Diskurs.

  • Was ist Demokratie? Demokratie ist, wenn jeder das gleiche Stimmrecht hat, der die richtige Meinung hat.

    Unterschied zwischen Passdeutscher und Bio("Volks")deutscher?

    Was ist ein Deutscher? So einfach ist das gar nicht. Sawsan Chebli ist Deutsche mit palästinensischer Identität:



    >Ich habe mich schon immer stark mit der Heimat meiner Eltern verbunden gefühlt, meine palästinensische Identität ist sehr ausgeprägt. <

    Es gibt aber nun mal auch Deutsche mit deutscher Identität. Der Pass ändert die Identität nicht. Durch 2015 wird die Identität des Volkes zwar nicht gezielt aber doch faktisch geändert. Junge Deutsche sind z.B. heute eher Muslime als Christen.

    Hierüber wird man zumindest diskutieren dürfen.

    • @A. Müllermilch:

      Formulieren Sie da gerade wenn auch hübsch verklausuliert die rechte Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“ oder was wollen Sie uns mitteilen?

    • @A. Müllermilch:

      Man darf über alles diskutieren. Mit diesen Aussagen bewegen Sie sich aber nun mal nicht im Rahmen unserer Verfassung. Und genau das ist bei Beamten zu prüfen.

  • Joachim Paul ist verbeamteter Lehrer. Er ist also schon von Berufswegen zum Bekenntnis zum Grundgesetz verpflichtet.



    Wieso ist der noch Beamter, wenn man ihm also „mangelnde Verfassungstreue“ vorwerfen kann?



    Dieses ganze Verfahren hilft nur der AFD, weil sie nach der Wahl eine Verfassungsbeschwerde einreichen wird und so eine Wahlwiederholung erreichen wird.



    Das Vorgehen der Altparteien ist ja nachvollziehbar, aber erregt nur den Schein, dass Politiker Recht biegen. Sehr schade.

    • @Dirk Osygus:

      Sehr schade ist der richtige Ausdruck.

    • @Dirk Osygus:

      Einfache Antwort? Weil er zur AfD gehört und deshalb das Nazi-Konzept der Sippenhaft als Methode der "wahrhaften Demokratie" vielen wohl vollkommen legitim erscheint.



      Ich stimme vollkommen zu: das wird genauso nach hinten losgehen wie das Compact-Verbot.

  • Ja was denn nun: Rechtsextremisten von dern Macht und Fähigkeit zur Abschaffung der "wehrhaften" Demokarte abhalten oder ein Proseminar in Hilflosigkeit mit dem Szenario aus den 70iger halten; falsch war es wohl auf moskautreue Spatzen zu schießen, die nie auch nur in die Nähe von Macht kommen hätten wollen können.

    Wichtiger scheint mir, jede Form der Macht-Ergreifung zu verhindern, wenn es gute - rechtlich valide - Gründe gibt.

  • Man kann dem Kommentar nur zustimmen. Für die Demokratie ist der Ausschluss ein Armutszeugnis. Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass die Wahlk für ungültig erklärt wird, da dass, was bisher über die Faktensammlung des Verfassungsschutzes bekannt ist, ziemlich dünn ist (bspw. "er besuchte einen Buchladen, der auch rechte Literatur verkauft...")

  • Ja, katastrophale Situation. Die Demokratie muss sich präformal gegen "Unwählbare" positionieren weil sie Angst vor dem Ergebnis einer demokratischen Entscheidung hat.



    In Berlin haben wir eine instabile Regierung, weil über 50% der Bevölkerung ebenfalls nicht wählbare gewählt hatten: AfD, Linke, BSW. Und nun das letzte Aufgebot aus CDU und SPD die Demokratie verteidigen, bzw. repräsentabel halten muss.



    Aber ganz wichtig: Keinesfalls Selbstzweifel zulassen. Lösung: Politik besser erklären und so.... ja dann erklärt mal, schlimm!!

    • @Tom Farmer:

      Ja, man hat Angst vor dem Ergebnis: dass nämlich Rechtsextremisten* einem Rechtsextremisten ein Mandat verschaffen.

      Warum sollte man angesichts der deutschen Geschichte denn bitte verdammt noch mal NICHT Angst davor haben?

      *ja, alle Wähler einer rechtsextremen Partei sind Rechtsextremisten. Das sind erwachsene Leute, die es sich gefallen lassen müssen, nach ihrer Wahl beurteilt zu werden.



      Und Rechtsextremisten sind nun mal nicht ganz normale Demokraten - es sind überhaupt keine. Als Feinde der Demokratie haben sie nun mal nicht das Recht, sich auf demokratische Rechte zu berufen - exakt das steht hinter dem grundgesetzlich verankerten Konzept der wehrhaften Demokratie.

      • @Suryo:

        Ein Wähler, eine Stimme.



        Was sagt uns das?



        Also meine Meinung: Man muss wohl die Wählermeinung, also inhaltlich, mal anhören und ggf. sogar danach handeln, auch wenn das manchmal schwer fällt.



        Oder ihn überzeugen mit Argumenten.



        Was wohl nicht klappt seit Jahren: Seine Wahlentscheidung blöd finden und sich beschweren wieso er das macht.

  • Irgendwie will es nicht in meinem Kopf rein. Im Strafrecht fragt niemand, ob es richtig ist, jemanden der einem anderen eine schwere Körperverletzung zufügt, ins Gefängnis zu stecken oder ob es nicht besser wäre, ihn so lange voll zu quatschen, bis er einsieht, das es falsch gewesen ist.



    Nur wenn es um die Verfassungsfeindliche AFD und Ihrer Kandidaten geht, wird es immer wieder als unschön betrachte, wenn Gesetze, wie hier die Nichtzulassung eines Kandidaten, um- und durchgesetzt werden.



    Wofür haben wir sie denn??? #afdverbotjetzt

    • @WM:

      Sie haben vollumfänglich Recht. AFD-Verbotsverfahren und basta.