Nach den Landtagswahlen: Packt eure Egos ein
Angesichts des Staatsversagens im Kampf gegen rechte Hetze müssen sich Antifaschist_innen endlich einigen. Denn ohneeinander sind wir zu wenige.
W er in den letzten Jahren einen groben Bezug zur Realität hatte, wird Sonntagabend über die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen nicht überrascht gewesen sein. Politiker_innen haben hierzulande schon immer die als Sorgen getarnte rechte Hetze gegenüber der Sicherheit und Würde von rassifizierten Menschen priorisiert. Das war nach der Wende so und bleibt auch heute deutsche Tradition.
Selbst seitdem die AfD im Bundestag sitzt, haben von Horst „Migration-ist-die-Mutter-aller-Probleme“ Seehofer oder Friedrich „Keine-Tabus-mehr“ Merz über Olaf „Wir-müssen-jetzt-im-großen-Stil-abschieben“ Scholz, Christian „Asylwende“ Lindner und Ricarda „Abschiebung-mit-Bauchschmerzen“ Lang bis hin zu Sahra „Deutschland-hat-keinen-Platz-mehr“ Wagenknecht nichts Besseres zu tun, als der AfD einen Plüschteppich auszurollen und ihr für den Extrakomfort Gästepantoffeln hinzulegen.
Zwar posen die ein oder anderen für ihr Insta-Game auf den Lichterketten-reloaded-Demos gegen die AfD oder teilen ein paar Gedanken aus ihrer Notizen-App, als wären sie Slampoet_innen. Gleichzeitig servieren sie verschärfte Asylgesetze, autoritäre Einschnitte in die Kulturbranche, Kriminalisierung von Antifaschist_innen, Geldkürzungen für demokratiefördernde Initiativen und üppig finanzierte Militarisierung in kleinen Teegläsern neben einem Schälchen Zuckerwürfel auf einem Silbertablett, die sie in einem unterwürfigen Ton Höcke, Weidel und Co mit einem „Bittschön, der Herr, bittschön, die Dame“ anbieten.
Priorität hat am vergangenen Wahlsonntag für Präsident Steinmeier nicht der Kampf gegen Faschismus, sondern noch restriktivere Einwanderungs- und Asylgesetze. Auf den Staat ist kein Verlass – mal wieder.
Rechte sind voraus
Die Notwendigkeit des Antifaschismus ist so spürbar wie lange nicht – die Gräben innerhalb der Linken allerdings sind es auch. Innerlinke Konflikte, besonders rund um das Thema Israel/Palästina, sind nichts Neues, doch seit dem 7. Oktober 2023 haben sie eine neue Dimension erreicht. Das ist zynisch, denn die Rechte vertritt hier ebenfalls keine homogene Position, doch diese Uneinigkeit bremst sie nicht aus. Da haben sie uns in puncto Communitybuilding und Mobilisierung, besonders von jungen Menschen, einiges voraus.
Zerwürfnisse in politischen wie sozialen linken, feministischen und queeren Zusammenhängen haben in den letzten elf Monaten ihren Peak erreicht. Aber es reicht. Wir müssen uns langsam zusammenreißen und uns strategisch organisieren, statt uns wegen minimaler Meinungsunterschiede als Faschist_innen zu labeln, Gerüchte übereinander zu verbreiten, outzucallen oder zu mobben, während tatsächliche Faschist_innen von der Kommunal- bis zu Bundesebene vertreten sind und an Zuspruch gewinnen. Wer sein Gegenüber ausschließlich daran misst, auf welcher „Seite“ es steht, wird keine linken Allianzen finden.
Bei den inhaltlichen Ausfällen gibt es nichts schönzureden, wenn man sich traut, in die Abgründe zu blicken. Antisemitismus, Islamismusverherrlichung und Zersprengung solidarischer Bündnisse auf der einen und die Polizei, Schnellwahl, Kriegsverherrlichung und Rassismus auf der anderen Seite, alles gepaart mit dem nötigen Autoritarismus und mit Häme – so sehen die äußeren Ränder der Linken aus.
Doch jene, die sich nicht vor Ambivalenzen scheuen, Widersprüche aushalten, sich an progressiven Werten orientieren und auch nicht vor Komplexität zurückschrecken, existieren ebenfalls, sie sind nur nicht so laut wie der Rest. Und selbst dieser Rest muss sich die Frage stellen: Möchte ich die nächsten Jahre damit verbringen, die Szenestreits bis zum Get-No auszuschlachten, oder braucht es einen radikalen Wandel in der Art, wie wir Differenzen aushalten?
Keine Ressourcen vergeuden
So schlimm wir unsere Äußerungen der letzten Monate jeweils finden: Wir müssen nicht befreundet sein, wir müssen uns nicht einmal mögen, aber uns zumindest punktuell zusammenraufen und unsere Ressourcen nicht damit vergeuden, anderen Linken das Leben schwer zu machen.
Außerhalb von Großstädten sind die Bündnisse gegen rechts so breit aufgestellt, dass mitnichten alle linksradikal sind, doch ohneeinander wäre man zu wenige. Das bedeutet nicht, dass wir uns gegenseitig nicht kritisieren dürfen. Das müssen wir sogar, aber vielleicht kann diese Kritik solidarischer und produktiver stattfinden. Dafür braucht es Geduld, Ausdauer und den Blick auf einen gemeinsamen Horizont – den Antifaschismus. Fehlbar sind wir alle, aber wer ist bereit, sein Ego hintanzustellen und bei der harten Arbeit mit anzupacken, die nur gemeinsam zu bewältigen ist?
Mit manchen werden wir vielleicht wieder zusammenfinden, mit anderen werden wir merken, dass es eher so ist wie mit reaktionären Verwandten, die sich niemals ändern werden. Bis auf die Feiertage meidet man sich. Wenn man mit ihnen zusammenkommt, gibt es manchmal aber auch den Moment des gemeinsamen Feindes. Wir könnten die rechte Teeparty crashen. Den Zucker heimlich gegen Salz austauschen. Das voll beladene Tablett umwerfen. Auf dass die Faschist_innen sich daran verbrennen.
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