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Israelischer Psychologe über Krieg„Die Soldatenmatrix ist hartnäckig“

Robi Friedman beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie Krieg eine Gesellschaft verändert. Jetzt kann er es in seiner Heimat Israel tagtäglich erleben.

Der israelische Psychologe Robi Friedman in seinem Wohnzimmer in Haifa Foto: Jonas Opperskalsi
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

wochentaz: Herr Friedman, der 7. Oktober, an dem Terroristen der Hamas ein Massaker mit über tausend Toten in Israel verübten und zahlreiche Geiseln nahmen, ist ein halbes Jahr her. Wie geht es Ihnen inzwischen?

Robi Friedman: Das hängt davon ab, wie es meiner Familie geht, meiner jüngsten Tochter und meinen drei Enkeln. Wenn sie einen guten Tag haben, habe ich auch einen guten Tag. Wenn sie einen schlechten Tag haben, geht es auch mir und meiner Frau schlecht. Im Großen und Ganzen versuche ich zu akzeptieren, dass es jetzt so ist. Dass mein Schwiegersohn nie wieder zur Tür hereinkommen wird.

Er hat sich am 7. Oktober freiwillig als Soldat zum Einsatz gemeldet und wurde in einem Kibbuz erschossen.

Ich habe lange gebraucht um zu verarbeiten, was wirklich passiert ist. Als mein Schwiegersohn von den schweren Angriffen auf diese Kibbuzim, auf diese Dörfer erfahren hat, muss das einen wahnsinnigen Druck auf ihn ausgeübt haben: einzugreifen, den Menschen dort zu helfen. Am Morgen war er noch zu Hause, und zwei oder drei Stunden später hat er total vergessen, dass er eine Familie hat. Das zu akzeptieren ist schwer. Aber in so einer Situation kämpft man selbstlos. Ich würde sagen, die eigenen Leute bedingungslos zu verteidigen ist ein Instinkt.

Hadern Sie mit seiner Entscheidung?

Er ist umgekommen, und ich sehe seine Familie. Da gibt es zwei Perspektiven, die im Konflikt miteinander stehen. Aber nein, ich hadere nicht. Man denkt, man hat eine Wahl. Wenn dann etwas passiert wie am 7. Oktober, dann ist die Wahl plötzlich weg. Man muss kämpfen. Ich habe mit meiner Frau da­rüber gesprochen. Ich hätte das auch gemacht. Und jeder, der in so einem Gefecht ist und lebend rauskommt, der weiß: Er hat Glück gehabt. So etwas passiert auch dem besten Soldaten.

Im Interview: Robi Friedman

wurde 1948 in Uruguay geboren. Seine Mutter war aus Nazideutschland geflohen, sein Vater schon 1930 aus Transsilvanien emigriert. Mit 13 zog Friedman nach Israel in einen Kibbuz. Friedman studierte Psychologie und Wirtschaft und spezialisierte sich als Psychologe auf Gruppentherapie. Er war lange Präsident der Internationalen Gesellschaft der Gruppenanalytiker und hat in zahlreichen Konflikten vermittelt. Der Buch „Die Soldatenmatrix“ (Psychosozial-Verlag, 2018) versammelt Texte, die Friedman zum gleichnamigen Konzept geschrieben hat. Heute lebt Friedman mit seiner Frau in Haifa.

Ihre Enkelkinder sind sechs, neun und bald elf Jahre alt. Wie geht es ihnen und Ihrer Tochter?

Eine Mutter muss einen Weg finden, um den Kindern das Gefühl zu geben, dass alles einigermaßen läuft. Meine Tochter verarbeitet die Dinge kreativ. Auf Facebook führt sie ein Tagebuch, sie zeichnet Comics und schreibt Lieder. Interessant war, was mein Enkel gesagt hat, in der ersten Stunde, nachdem er vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Ich war mit ihm ein bisschen spazieren, und er sagte: Großvater, mein Vater ist jetzt tot, und ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Das ist wie ein Wegweiser. Die Hinterbliebenen wissen nicht mehr, wohin. Alles fällt auseinander. Sie müssen sich erst wieder orientieren. Inzwischen hat sich das stabilisiert.

Ihr Enkel hat wieder ein wenig Halt gefunden?

Ja, alle drei Enkel, glaube ich. Er hat Halt gefunden und verliert ihn dann plötzlich wieder. Emotional geht es immer noch weit rauf und runter. Aber man sieht, es ist ein Prozess.

Sie sind Psychologe und ein international anerkannter Gruppenanalytiker. Nach dem 7. Oktober war das Entsetzen, der Schmerz, die Wut in Israel riesig. Was beobachten Sie, wo steht die israelische Gesellschaft heute?

Am Anfang hat die Existenzangst alles dominiert. Dass die Hamas-Kämpfer die Grenzmauer überwinden konnten an Dutzenden Orten, war ein Schock. Was sie den Menschen angetan haben, dass sie sich dabei gefilmt haben, das hat einen wahnsinnigen Terror verbreitet. Auch meine arabischen Patienten hatten große Angst, sie sind in den Augen der Hamas ja die Ungläubigen. Alle Leute haben gedacht: Jetzt bin ich unsicher in meinem eigenen Land. Viele, Linke wie Rechte, wollten eine Waffe haben.

November 2023, Tel Aviv: Der Anblick von Gewehren ist alltäglich geworden in Israel Foto: Ziv Koren/Polaris/laif

Und heute?

Im Norden Israels ist die Angst immer noch groß, man weiß nicht, was die Hisbollah plant. Andernorts fühlen sich viele wieder etwas sicherer. Die größte Veränderung gibt es im Umgang mit dem Krieg. Am Anfang meinte man, man müsse mit einer Stimme sprechen, mit einer Stimme denken. Man hörte überall den Slogan: Wir werden zusammen gewinnen, ob links oder rechts spielte keine Rolle.

Die Gesellschaft rückte zusammen.

Diese Einheit ist immer erstaunlich in Kriegen. Bei den Nazis damals war der Spruch: Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Man sieht es auch im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Ich vermittle öfters in Konflikten und arbeite auch mit Russen. Selbst wenn sie Familie in der Ukraine haben, sind viele für Putin, weil sie meinen, sie müssten mit einer Stimme sprechen. In Israel ist das schon wieder etwas anders. Die Diskussion, ob die Befreiung der Geiseln Priorität haben sollte, spaltet die Gesellschaft. Die Demonstrationen für die Geiseln gehen immer öfter über in Proteste gegen die Regierung.

Wie auf Knopfdruck werden alle zu Soldaten, die gesamte Bevölkerung wird eingezogen. Natürlich müssen nicht alle kämpfen, aber jeder hat eine Rolle in diesem Krieg.

Robi Friedman

Sie haben schon vor längerer Zeit eine Theorie entwickelt, wie ein Krieg die Gesellschaft verändert, die „Soldatenmatrix“. Was verbirgt sich dahinter?

Eine Matrix ist eigentlich eine Kultur. Der Begriff beschreibt die Kultur der Beziehungen, die Kultur der Kommunikation und ihren Sinn. Die Geschichte, die Erinnerungen sind auch Teil der Matrix. Sie prägt die Gespräche, aber auch die Berichterstattung in den Medien und das Internet. Wenn es Krieg gibt, dann verändert sich die Matrix. Wie auf Knopfdruck werden alle zu Soldaten, die gesamte Bevölkerung wird eingezogen. Natürlich müssen nicht alle kämpfen, aber jeder hat eine Rolle in diesem Krieg. Deshalb habe ich mein Konzept „Soldatenmatrix“ genannt.

Was tun die, die nicht kämpfen?

In Israel haben Leute den Soldaten Essen gebracht, andere helfen in den Kliniken oder unterstützen Flüchtlinge aus den Kibbuzim oder aus dem Norden, die in Hotels wohnen. Es haben so viele Hilfe angeboten. Allein in meinem Arbeitsbereich haben sich 2.500 Psychologen, Sozialarbeiter und Psychiater freiwillig gemeldet, um mit Menschen zu reden, die terrorisiert wurden, um Posttraumata zu verhindern.

Sie meinen: Alle stellen sich in den Dienst der Sache?

Ja. Der Krieg verändert das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Man stellt sich selbst zurück. Es ist erst mal nicht wichtig, wie viel Geld ich verdiene, wie es meiner Familie geht, sondern was ich tun kann für die Gemeinschaft. Es gibt eine große Solidarität.

Und dazu gehört auch, dass alle mit einer Stimme sprechen?

Erst mal ja. Die Linksliberalen in Israel haben ein Jahr lang viel gegen die Regierung demonstriert. Meine Frau und ich, wir sind jeden Samstagnachmittag bis in die Nacht bei den Demonstrationen gewesen. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Mit dem 7. Oktober war das vergessen. Menschen von beiden Seiten haben zusammen gekämpft. Die Kampfgruppe ist für Soldaten das Wichtigste. Nach dem Tod meines Schwiegersohnes haben wir viel Zuspruch von allen Seiten bekommen.

Sie meinen, auch von Menschen, die politisch anders denken?

Ja. In der jüdischen Tradition bleibt die Familie nach dem Begräbnis sieben Tage zu Hause und alle kommen vorbei: Verwandte, Freunde, Nachbarn. Sie bringen Essen, man sitzt zusammen. Es waren Menschen bei uns, die hatte ich jahrelang nicht gesehen. Die Spaltung war auf einmal weg.

Auch diese Soldatin auf Heimaturlaub trägt ihre Waffe in der Öffentlichkeit Foto: Ziv Koren/Polaris/laif

Ihr Schwiegersohn hat sein Leben gegeben für die Menschen in den Kibbuzen. Wird er dafür verehrt?

Meinem Schwiegersohn war Ruhm zuwider. Er und die anderen dort in den Dörfern haben gegen die Existenzangst gekämpft. Aber später kam der Ruhm doch. In der Soldatenmatrix trauert man, indem man jemanden idealisiert, man macht ihn zum Helden. Als wir ihn begraben haben, sind Tausende gekommen. Enorm viele haben so von ihm gesprochen.

Wie war das für Ihre Familie?

Meine Tochter konnte das am Anfang überhaupt nicht annehmen. Sie hat ihn ja nicht als Soldat geliebt, sondern als Mensch. Mein Schwiegersohn war ein typischer Anti-Autoritärer, er hatte das Militär nicht gerne. Er wusste, wir können ohne nicht existieren, aber er wollte kein Held sein. Und dann kommen Leute und behaupten das, weil es ihnen hilft, den Tod zu akzeptieren. Man sollte ihnen diesen Trost nicht nehmen. Heute sagt meine Tochter: Auf eine Art war er ja ein Held, auch wenn er es nicht wollte.

Mit einer liberalen offenen Gesellschaft verträgt sich die Soldatenmatrix nicht.

Robi Friedman

Wenn in einem Krieg alle zusammenrücken, gibt das sicher viel Kraft. So eine Einheit kann aber auch mit einem Zwang zum Konformismus einhergehen, oder?

Ja, es bedeutet Uniformität. Diese Einheit, die es nach dem 7. Oktober gab, war zum Teil illusionär. Mit dem Überfall der Hamas haben wir das wenige Vertrauen in die Regierung verloren, das wir noch hatten. Auch die Armee hat nicht funktioniert. Wir brauchen aber Vertrauen, um das Trauma zu überwinden. Die politische Spaltung wird jetzt wieder sichtbar.

Israelis, die gegen den Krieg sind, haben es in der öffentlichen Debatte schwer.

Das ändert sich. Ich höre im Radio Mütter, die sagen: Meine Tochter gehört nicht der Armee, die gehört mir. Wenn man so etwas während eines Krieges sagen kann, dann hat man relativ viele Freiheiten. Aber ja, wir sind im Krieg. Jedes Mal, wenn ich das Radio einschalte, habe ich Herzklopfen. Wie viele Soldaten sind gestorben, was ist mit den Geiseln? Solange sie in einer so großen Gefahr schweben, ist es schwer, von der Uniformität wegzukommen. Ich glaube, ein langer Waffenstillstand könnte das ändern.

Sind Sie für einen Waffenstillstand?

Wenn ein Waffenstillstand die Geiseln retten würde, wäre ich dafür. Ich wäre auch dafür, wenn er eine Chance bieten würde, dass die Hamas den Gazastreifen verlässt, dass die Menschen dort von der Diktatur befreit werden und es eine palästinensische Regierung gibt, die den Staat Israel akzeptiert. Dass die Hamas bleibt, ist die schlechteste Option. Sie will uns zerstören. Ich möchte, dass meine Kinder und Enkel in Frieden leben können, dass sie nicht umkommen. Dass man Frieden schließen kann mit Menschen, die denken, dass Israelis oder Juden nicht existieren dürfen, das bezweifle ich.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die starke Solidarität mit den eigenen Leuten ist eine Seite des Krieges, eine andere ist der Verlust von Empathie für den Feind.

Auch das gehört zur Soldatenmatrix. Nur so kann man töten. Man verliert die Empathie, man verliert die Schuldgefühle. Man schämt sich nicht mehr für das, was man dem Feind antut. Am Schluss ist der Andere kein Mensch mehr. In Deutschland konnte man die Entwicklung sehen, von den Nürnberger Rassegesetzen 1935 bis zur Wannseekonferenz. Juden, Sinti und Roma, Polen, sie wurden entmenschlicht. Heute beschleunigen Fake News so einen Prozess. Selbst Menschen, die sonst eher kritisch wirken, glauben gerne, auf der anderen Seite stünden nur Faschisten. Je größer die Identifikation mit der Soldatenmatrix, desto bereitwilliger glauben Menschen so etwas. Fake News helfen, den Feind zu verachten, zu hassen. So eine Dehumanisierung macht allerdings auch etwas mit einem selbst.

Was meinen Sie?

Wenn man das Leben nicht schätzt, fällt das früher oder später auch auf einen selbst zurück. Die Hamas hat den Tod von über tausend Menschen gefeiert, ohne jede Empathie. Es wurden Frauen vergewaltigt und gefilmt. Es wurden Kinder zerstückelt und gefilmt. Das hat einen Einfluss auf die, die das machen.

Welchen?

Auch das Leben der eigenen Kämpfer ist für die Hamas unwichtig. Wenn jemand stirbt, ist das nicht schlimm, er wird zum Märtyrer, er bekommt Ruhm. Das Versprechen von Ruhm ist – neben der Existenzangst – ein wichtiger Antrieb der Soldatenmatrix.

Wenn die Dehumanisierung auf einen selbst abfärbt, gilt das auch für Israel? Die Armee hat Zehntausende im Gazastreifen getötet.

Anders als bei der Hamas ist bei uns jeder Tod eines Soldaten etwas sehr Schlimmes. Es stimmt, dass bei den Bombardements gerade zu Beginn die Hemmungen gering waren, es sind sehr viele in Gaza umgekommen. Man hat das im israelischen Fernsehen dann nicht mehr gezeigt. Man hat die Zahl der Toten nicht mehr genannt. Die Leute in Israel wollen nicht mit dem Schmerz der Bevölkerung in Gaza in Kontakt kommen, sie wollen nicht mitleiden. Das wird ins Unbewusste verdrängt, es macht sich anders bemerkbar.

Wie denn?

Ich rede mit meinen Patienten auch über ihre Träume. Ich habe selbst viel geträumt in den letzten Monaten. Ich weiß, diese Dinge sind da, aber ich will davon nichts wissen.

Darf ich fragen, was Sie geträumt haben?

Ich habe zum Beispiel geträumt, dass ich als Soldat 200.000 Kindern in Gaza helfen sollte, vom Norden in den Süden zu flüchten. Es war schwierig, die Hamas hat auf uns geschossen. Die Kinder waren in Gefahr, und sie hatten alle das Gesicht meines Enkels. Ich möchte diesen Traum nicht träumen, aber etwas in mir träumt ihn. Die Empathie, sie ist da, genau wie die fehlende Schuld, die fehlende Scham.

Sie waren früher selbst Offizier. Befassen Sie sich auch deshalb so intensiv mit dem Thema Krieg?

Wahrscheinlich. Ich war drei Jahre bei der Armee, nach einem Jahr fing der Sechs-Tage-Krieg an. Ich habe viel über Aggressionen nachgedacht. Die sind ja nicht einfach angeboren, man lernt sie. Man lernt auch, Soldat zu sein. Wobei ein guter Soldat nicht aggressiv ist, im Gegenteil, man muss die Aggressionen zügeln können. Bei uns reden die Vertreter der Armee zurzeit auch viel bedachter als unsere Politiker.

Der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant hat vom Kampf gegen „menschliche Tiere“ gesprochen.

Er steht voll unter dem Einfluss der Soldatenmatrix. Für mich zeigen solche Aussagen, dass dieser Mann nicht professionell ist. Er hat das kurz nach dem 7. Oktober gesagt, und er hat sicherlich für einen Teil der Gesellschaft gesprochen. Die Hamas und die Palästinenser wurden gehasst, man hat alle in einen Topf geworfen. Es gibt Umfragen, dass eine Mehrheit in Gaza die Hamas unterstützt. Aber das sind ja doch unschuldige Leute, die sich mit dem nationalen Bedürfnis identifizieren, so etwas passiert sehr leicht. Als Minister sollte Galant die Rachegefühle nicht auch noch anstacheln.

Sie selbst versuchen, sich von der Soldatenmatrix freizumachen?

Natürlich. Ich habe das Konzept entwickelt, damit wir verstehen, wo wir sind. Es ist ein Versuch zu reflektieren, was im Krieg mit uns passiert. Sobald wir das reflektieren, haben wir eher eine Wahl, wie stark wir uns mit der Matrix identifizieren wollen. Das heißt nicht, dass wir uns ganz davon freimachen können. Selbstlos kämpfen müssen wir trotzdem, wenn es drauf ankommt.

Wenn das Mitgefühl fehlt und es einen Zwang zur Konformität gibt, ist das bedenklich. Andererseits ist es sicherlich richtig, in einer Bedrohungslage zusammenzurücken. Ist die Soldatenmatrix nun gut oder schlecht?

Das lässt sich so nicht beantworten. Es gibt sie. Sie sichert das Überleben, und sie wirkt seit Tausenden von Jahren überall auf der Welt. Immer dann, wenn Menschen sich existenziell bedroht fühlen, auch nach Naturkatastrophen oder in der Pandemie. Man kann allerdings sagen: Mit einer liberalen offenen Gesellschaft verträgt sich die Soldatenmatrix nicht.

Weil es dafür eine offene Debatte braucht?

Die liberale Gesellschaft funktioniert nur ohne Angst. Als Liberaler möchte man nicht wissen, dass man eigentlich paranoid sein muss. Man muss aber Angst haben, wenn im Nachbarland eine Diktatur herrscht wie die Hamas. Oder, aus deutscher Perspektive, Putin in Russland. Das ist ein Paradox in unserem zivilen Leben. Am besten ist es, wenn man eine Armee hat, die sich darum kümmert. Ein Teil der Regierung muss sich auch damit befassen, damit alle anderen ruhig schlafen können. Wir Liberalen, wir wollen schlafen.

Schlafen klingt so unwissend, naiv. Pa­zi­fis­t*in­nen würden sagen: Eine friedliche Welt ist kein Traum, sondern eine politische Option, auf die man hinarbeiten muss.

Auch Freunde von mir sind Pazifisten und es ist gut, dass es in einer liberalen Gesellschaft diese Stimmen gibt. Aber ich würde sagen, das ist mehr ein guter Glaube als die Realität. Wenn du den Frieden gerne hast, musst du wachsam sein und dich stärken.

Hätten Sie das vor dem 7. Oktober auch gesagt?

Ja, das habe ich auch vorher so gesagt. Ich habe am 7. Oktober etwas Anderes gelernt. Wenn jemand mit mir nicht reden will, dann hat das eine größere Bedeutung, als ich dachte. Die Hamas will nicht nur nicht reden, sie will mich umbringen. Sie würde alle Israelis umbringen, wenn sie es könnte. Das ist mir erst durch den 7. Oktober richtig klar geworden, leider.

Sie haben oft in Konflikten vermittelt, auch zwischen Palästinensern und Israelis. Was glauben Sie, wie es in Israel weitergeht?

Soldatenmatrizen bewirken immer einen Rechtsruck. Viele junge Israelis, die im Kampf waren, sind voller Hass gegenüber Arabern. Ich habe Angst, dass dieser Hass politische Folgen hat. Die meisten Araber in Israel haben das Massaker vom 7. Oktober scharf verurteilt. Ich hoffe, dass sie einen Platz in der Regierung bekommen, dass auch sie eine Stimme haben.

Und was den Krieg betrifft?

Es muss jemanden geben, der beiden Seiten sagt: Krieg ist keine Lösung. Beide Seiten müssen sich am Ende bewegen, sie müssen sich verständigen.

Glauben Sie, dass eine Verständigung auch langfristig tragen könnte?

Soldatenmatrizen sind hartnäckig. Wenn man sich einmal klar mit etwas identifiziert hat, auch wenn es etwas Schlimmes ist, dann versucht man das zu erhalten. De-identifizieren ist sehr schwierig und kann Generationen dauern. Aber es ist möglich. Ich habe gemeinsam mit Partnern „Voices after Auschwitz“ organisiert: Kinder und Enkel von Nazis haben dabei mit Kindern und Enkeln von Holocaustüberlebenden gesprochen, sechs Mal drei Tage lang. Sie haben in einer Art miteinander geredet, die kritisch und selbstkritisch war, fast liebevoll, mit einer großen Nähe. Einen schlimmeren Feind als die Nazi-Gesellschaft hatten wir noch nie. Das gibt mir Hoffnung.

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75 Kommentare

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  • Moderation , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • 6G
    691349 (Profil gelöscht)

    Weitere Fragen:

    Auf welchem Weg befand sich die israelische Gesellschaft vor dem 7.10.2023? Und welche Ziele gab es für das zukünftige Zusammenleben mit den Palästinensern?

    Wie wird das Verhalten im Krieg durch neue Waffensysteme, insbesondere Drohnen(schwärme), beeinflusst, die ja den „Abstand“ erhöhen und eine vollständige Distanzierung und Anonymität ermöglichen. Was geschieht mit zunehmender Einsatzdauer und wie verändert sich das Verhalten eines Soldaten zu dem Menschen auf der anderen Seite? (Dies auch angesichts der Videos.)

    Die Bilder der ausgeübten Gewalt durch die Hamas sind für mich unerträglich und die Tatsache, dass Menschen zu solchen Handlungen fähig sind, erzeugen in mir eine absolute Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Auch die angewandten „Methoden“ sowie das Leiden durch Vergeltung und Vernichtung sind unvorstellbar. Wie reagiert und rechtfertigt die israelische Gesellschaft die Gewalt gegen palästinensische Zivilisten, wenn diese Gewalt in Bildern gezeigt wird?

    Gab es israelische Bürger, die eine genau gegenteilige Reaktion auf den Terror der Hamas forderten? Mit den Aussagen, dass die Brutalität einen Grad der Entmenschlichung erreicht hat, dass hier ein Art „Ende“ erreicht wurde, dass ein Gegenschlag nur mit Mitteln erfolgen kann, die auf Zivilisten keine Rücksicht nehmen? Gab es eine Vorstellung, wie hoch der Druck der Weltbevölkerung auf die Hamas gewesen wäre? Gab es die Vorstellung, nicht vor der Hamas zu kapitulieren, sondern vor der unmenschlichen Gewalt und den Terror als „nicht dieser Welt zugehörig“ zu beschreiben?



  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Man kann Hamas nicht eliminieren, auch wenn man Gaza platt macht. " (Moshe Zimmermann)



    www.zdf.de/nachric...as-israel-100.html

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Moshe Zimmermann ist nicht in der Position tragfähige Lösungen für die israelische Position im Überlebenskampf gegen islamofaschistischen Menschenhass zu formulieren. Seine von Ihnen zitierte Aussage, stammt im Übrigen ursprünglich auch gar nicht von Moshe Zimmermann, sondern wurde von ihm nachgeplappert. Wenn Sie sich diese Aussage aber so gerne zu eigen machen möchten, müssen Sie damit klarkommen, dass keine menschenfeindliche Ideologie ausrottbar ist. Trotzdem bekämpft die Demokratie ihre Feinde und zwar solange und wann immer es möglich und nötig ist. Daran werden "Experten", die etwas anderes behaupten nichts ändern. Und mal ehrlich: wer sich im Kampf gegen Hamas nicht solidarisch mit Israel zeigen möchte, der muss sich erst recht nicht solidarisch im Kampf gegen Rechtsextremismus zeigen. Dieser ist nämlich ebenso wenig eliminierbar.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Klaus Kuckuck:

        „wurde von ihm nachgeplappert." Ich vermute mal, dass schon viele Menschen zu dieser Schlussfolgerung gekommen sind. Oder gibt es den „einzigen" Ursprung?



        Bitte mal den Schaum vom Mund abwischen. Und machen Sie sich bitte keine Gedanken darüber, was ich mir „gerne zu eigen machen möchte". Das sind selten die Parolen irgendwelcher Hitzköpfe.



        Ich wünsche der Demokratie („an sich") weiterhin viel Erfolg beim Bekämpfen ihrer Feinde. Ich glaube immer noch, dass „Maß und Mitte" und Diplomatie auch zur Demokratie gehören.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Es wird einen Grund geben, weshalb Sie Moshe Zimmermann zitiert haben. Ich hatte das Interview mit Zimmermann, das kaum neue Impulse enthielt, vor ein paar Tagen übrigens selbst live gesehen und war verwundert, dass der sonst so kluge Mann olle Kamellen wiederkäut. Die Idee von "der Idee" wurde insbesondere in den Wochen nach dem Massaker, von der Fraktion "Israel soll sich bloß nicht verteidigen" bemüht. Der just zurück getretene Präsident der PA hatte bereits im November von einer "Idee, die nicht zerstört werden kann" fabuliert. Was soll damit zum Ausdruck gebracht werden? Denken Sie noch mal, ganz ohne Schaum, drüber nach.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Die Nazis wurden auch nicht eliminiert, indem man Deutschland platt gemacht hat. Aber danach waren die Nazis auf ein Maß zurückgestutzt, mit dem Europa wesentlich besser leben konnte.

      • @Kurt Kraus:

        Die Nazis waren größtenteils noch alle da, einer (Kiesinger) war sogar noch Bundeskanzler geworden. Die Nazis waren erfreulicherweise nur in ein juristisches Korsett (Demokratie - Gewaltenteilung - GG orientiert an den Menschenrechten) eingezwängt, aus dem es insbesondere auch aufgrund des Ost-West Konflikts keine erstrebenswerte Alternative gab. Letztendlich wurden dadurch die Nazis gestutzt und waren überwiegend ungefährlich für die Rechtsstaatlichkeit.

  • "Es muss jemanden geben, der beiden Seiten sagt: Krieg ist keine Lösung. Beide Seiten müssen sich am Ende bewegen, sie müssen sich verständigen."

    Herr Friedman macht sich die Sache einfach. Er packt einfach alle Palästinenser in einen Sack und läßt diese durch die Hamas vertreten.

    Israel hat mehrere Ansprechpartner als nur die Hamasschlächter. Es gibt auch noch die unbeteiligte palästinensische Zivilgesellschaft, das schon vor dem Überfall in großer Mehrheit friedlich mit Israel zusammen leben wollte und das Existenzrecht Israels anerkannt hat.

    Es ist Israel, dass dieses Porzellan zerschlagen hat. Und es liegt an Israel das Vertrauen wiederherzustellen.

    Diese Bringschuld existiert völlig unabhängig vom legitimen Kampf gegen Hamas Milizen.

    • @Rudolf Fissner:

      Wer sollen diese "Ansprechpartner" sein? Welche politische Kraft repräsentiert die angebliche Mehrheit der Palästinenser, die friedlich mit Israel zusammenleben will? Etwa die palästinensische Autonomiebehörde, die Renten an Terroristen (auch Hamas- Terroristen) und ihre Familien zahlt ( und von Deutschland mit einem dreistelligen Millionenbetrag im Jahr finanziert wird)?

  • "Dass die Hamas bleibt, ist die schlechteste Option."

    Was erwartet die Israelis als Ergebnis ihrer Aktionen, die den Gaza in Schutt und Asche legten und bald 50.000 Unschuldige töteten? Etwa das die Bevölkerung, die sich noch vor den Aktionen in großer Mehrheit für das Existenzrecht Israels aussprach, dies heute noch tut?

    Man könnte fast meinen, dass diese zivile Haltung nicht nur der Hamas gegen den Strich lief.

    Netanjahus Kriegskabinett hat erreicht, dass die Soldatenmatrix unter den Palästinensern sich mächtig ausgebreitet hat. Die Hamas wird von Israel nicht bekämpft, sie wird von Israel gefüttert mit Toten.

    Beide Seiten sollten bei einer Lösungsuche für den Nahostkonflikt nur aufs notwendigste involviert sein.

    • @Rudolf Fissner:

      Da an verschiedener Stelle nach einer Quelle gefragt wurde zur Umfrage unter den Bewohnern Gazas vor dem Angriff möchte ich diese hiermit nachreichen: www.zeit.de/2023/4...mas-israel-meinung

    • @Rudolf Fissner:

      Für Ihre Behauptung, "das die Bevölkerung, die sich noch vor den Aktionen in großer Mehrheit für das Existenzrecht Israels aussprach,..." haben Sie sicher eine Quelle? Und Existenzrecht meint für mich nicht eine Illusion wie einen "binationalen Staat". Die Soldatenmatrix verbreitet (e) sich unter "den Palästinensern" auch unabhängig davon, was Israel tut. Das hat viel mit Propaganda zu tun, erst und wieder durch Islamismus, in den 30er Jahren durch die Nazis, später durch die Sowjetunion.



      Aus dem seit fast 80 Jahren in Frieden lebenden Deutschland lässt es sich einfach kommentieren. Ich fand die Antworten von Robi Friedman sehr reflektiert und nachdenklich.

    • @Rudolf Fissner:

      Der von Hamas, deren Sympathisanten und weiterer großer Teile der palästinensischen/arabischen Community getragene Vernichtungswille ggü. den Juden ist älter als der heutige Staat Israel. Unabhängig von rechten oder linken Regierungen in der Knesset. Ein Meinungsbild in der palästinensischen Bevölkerung, welches ein Existenzrecht Israels mehrheitlich anerkennt hat es vor dem 07. Oktober nie gegeben. Ihr Kommentar belegt, dass die (Lügen-)Propagandaoffensive der Israelhasser wirkt.

    • @Rudolf Fissner:

      Sowas ist durchaus möglich; viele junge Deutsche nach dem 2 Weltkrieg haben es geschafft sich von dieser Ideologie zu lösen. Menschen wie Hamza Howidy machen Hoffnung:

      www.arte.tv/de/vid...ie-hamas-besiegen/

    • @Rudolf Fissner:

      Ich denke da irren Sie sich.

      Das Existenzrecht Israel wäre ja die 2-Staaten-Lösung.

      In der Umfrage kurz vor dem Krieg sprachen sich nur 32% für die 2-Staaten-Lösung aus.

      pcpsr.org/en/node/955

      Selbst 2020 als es relativ ruhig war, gab es keine Mehrheit für sie, nur 45%.

      www.pcpsr.org/en/node/813

      "...dies heute noch tut?"

      In der neuesten Umfrage hat zumindest im Gazastreifen die 2-Staaten-Lösung nun eine Mehrheit, sie ist auf 62% gestiegen im Vergleich zu 34% vor dem Krieg.



      www.pcpsr.org/en/node/969

      • @Socrates:

        Das Existenzrecht Israels wäre aber zum Beispiel auch eine Einstaatenlösung, für die es ja auch Befürworter gibt. Das steht zumindest in zwei der Quellen, die sie hier angeben. In der ersten und ältesten Quelle werden keine Zahlen dazu angegeben, vermutlich hat man nicht danach gefragt.



        Bei der Umfrage von 2020 steht gleich in Absatz (1) Punkt 4 das 37% der Befragten dafür sind die 2-Staaten-Lösung zugunsten einer Einstaatenlösung aufzugeben.



        In der neusten Umfrage unter (4) Palestinian-Israeli Relations and the Peace process steht das 24% für die Aufgabe der 2-Staaaten-Lösung zugunsten eines gemeinsamen Staates für Palestinenser und Israelis sind. Zudem wird dort auch gesagt: "Support for the two-state solution is usually linked to public assessment of the feasibility of such a solution and the chances for the establishment of a Palestinian state." Eine überwiegende Mehrheit glaubt, das durch die Siedlungsausbreitung eine Zwei-Staaten-Lösung kaum noch umsetzbar ist. Auch die deutsche Regierung sieht ja den Siedlungsbau als größtes Hindernis für diese Lösung.

    • @Rudolf Fissner:

      Sie schaffen es tatsächlich, diese im Interview geäußerten, komplexen und differenzierten Aussagen nieder zu walzen.

      Und merken das nicht mal ansatzweise.

      • @Jim Hawkins:

        na wie denn auch?! - anschließe mich

    • @Rudolf Fissner:

      Wäre mir neu das eine große Mehrheit der Palästinenser*innen vor der Aktion der Hamas und der entsprechenden Reaktionen der IDF das Existenzrecht Israel´s befürwortet hätten.

      Haben sie da eine Quelle bestenfalls eine Studie zu auf der sie diese Aussage stützen ?

      • @Rabenbote:

        Wie viele Israelis haben denn auf der andern Seite das Existenzrecht eines palästinensischen Staats befürwortet?

        • @Francesco:

          Lieber Francesco, wie kann jemand mit so spärlichen Kenntnissen zur Geschichte Israels und Palästinas hier so viele Meinungsbeiträge zu diesem Thema äußern? Die erste und beste Chance auf einen palästinensischen Staat wurde 1948 durch die arabische "Armee des Heiligen Krieges" zunächst einmal vernichtend geschlagen. Im Anschluss wurde dieselbe Allianz durch Israel geschlagen. Zwischenzeitlich gab es immer wieder Bemühungen den Palästinensern einen Staat zu realisieren. Deren Umsetzungsversuche wurden regelmäßig von palästinensischer und arabischer Seite erfolgreich vereitelt. Die israelische Bevölkerung hatte sich zuletzt 2022 in einer Umfrage mit absoluter Mehrheit für einen palästinensischen Staat ausgesprochen. Nach dem 7. Oktober dürfte es diese Mehrheit wohl erstmal verständlicherweise nicht mehr geben. Lieber Francesco, fangen Sie an sich mit den historischen Gegebenheiten zu befassen. Dies wird Ihnen die Augen öffnen.

          • @Klaus Kuckuck:

            Manchmal lohnt es sich aber auch genauer hinzuschauen. Die Israelis haben den Palestinensern nie einen komplett souveränen Staat angeboten. Sie wollten eigentlich immer in irgendeiner Weise weiterhin Kontrolle. Sei es Kontrolle der Grenzen, des Luftraums oder auch des Militärs- das ist dann aber kein souveräner Staat. Zudem haben auch sie in fast allen Verhandlungen das Recht auf Rückkehr der Palestinensischen Flüchtlinge nicht anerkannt. Auch die völkerrechtlich anerkannten Grenzen von 1967 stellten ein Problem dar.



            Yitzhak Rabin (Oslo- Accords) sprach in Bezug auf eine palestinensischen state als "entity" oder "less than a state".



            2009 sagte Netanyahu das ein Palestinensischer Staat in Theorie existieren könnte neben Israel aber die Konditionen dafür wären so streng das man es nicht als suveränen Staat bezeichen könnte, Keine Militärkontrolle oder Kontrolle über den eigenen Luftraum.



            "In 2017, he said Palestinians could have a “state minus”. Israeli politicians talk about maintaining “security control” of all the land, which Palestinians see simply as control." (The Guardian: Israel-Gaza war: what is the two-state solution and is it possible?)

            • @Momo Bar:

              Auch beim genauer Hinschauen, sollte man den historischen Kontext so wie die Rahmenbedingungen nicht aus dem Blick verlieren. Wenn wir schon nicht in die Jahrhunderte und Jahrtausende gehen, blenden wir doch wenigstens nicht die historischen Ereignisse seit 1947 aus. Der Teilungsplan hätte mit höchster Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden können. Die arabische Seite wollte dies aber von Anfang an nicht und hat deshalb Israel 1948, unmittelbar nach der Ausrufung eines israelischen Staates, mit einem Vernichtungskrieg überzogen. Die Vertreibungen der Palästinenser sind eine unmittelbare Folge des Krieges gegen Israel. Auch hier hat die arabische Seite von Anfang an das Leid der palästinensischen Flüchtlinge als eigene Währung missbraucht. Wenn Sie einzelne Begebenheiten und Zitate, losgelöst von dem über Jahrzehnte dauernden Hass und Vernichtungswillen gegenüber Israel herausnehmen, können Sie deren Inhalt natürlich nicht einordnen. Und an dem Ausgangspunkt, nämlich der uneahren Behauptung, dass konkret die israelische Bevölkerung vor dem 7.10 einen autonomen Palästinenserstaat abgelehnt hätte, ändern Ihre Einwände sowieso nichts.

          • @Klaus Kuckuck:

            Ich befasse mich seit Jahrzehnten mit diesem Konflikt.

            • @Francesco:

              Sind deshalb Hamasterroristen für Sie "Hamas-Kämpfer"? Diese sprachliche Überhöhung, von barbarischen Mördern, welche von Ihnen stammt, wirft auch ein Schlaglicht auf die Quellen derer Sie sich beim "befassen" bedienen. Sie sollten sich also offenkundig weniger aus propagandistischen und mehr aus seriösen Quellen informieren.

        • @Francesco:

          Interessanter Punkt, hat aber für meine Nachfrage bezüglich Fissners These keine Relevanz.

  • Ein sehr angenehm zu lesendes Interview. Umso mehr fällt auf, wie selten die Fähigkeit zum Differenzieren geworden ist. Aber es wird ja auch erklärt, warum das so ist.

  • Vielen Dank für dieses sehr reflektierte Interview!

  • Ich schätze die Arbeit von Robi Friedman sehr, erstaunt hat mich jedoch die Aussage

    "Die liberale Gesellschaft funktioniert nur ohne Angst."

    Eine angstfreie Gesellschaft gibt es nicht und wäre auch nicht erstrebenswert. Zum Verständnis hätte Friedemann wenigstens die Grundformen der Ängste gemäß Riemannscher Definition anschneiden müssen. So führt das zu Missverständnissen, da er mit Angst anscheinend eine unmittelbare Bedrohung gemeint hat. Psychologisch gesehen handelt es jedoch um Furcht. Angst und Belohnung sind der Antrieb für die menschliche Motivation. Ohne die beiden Komponenten würde der Mensch in sich verharren.

    • @Sam Spade:

      Denke - Sie liegen da in der Sache richtig



      Da in einem Interview schnell mal was verrutscht - wäre es durchaus sinnvoll,



      wenn die Interviewerin Herrn Friedemann um eine Stellungnahme zu diesem Einwand bitten würde.

      unterm——btw



      Zur Hartnäckigkeit der Soldatenmatrix:



      Das konnte ich*45 als Jugendlicher und noch als Studi häufig genug bei der Bullerei erleben.



      Die sich bekanntlich in hohem Maße - als “Hein Zackig“ bis in die Führungsebene aus den Polizeibataillonen der Nazi-Zeit rekrutierten! Die hinter den Linien der Wehrmacht und der Waffen-SS “die Drecksarbeit“ verrichtet hatten.



      Unsere alte Dame*04 - Kapp-Putsch in Berlin erlebt; Bruder dabei zu Tode gekommen - hatte Nase.



      Als der Vater - Polizeirat - meiner Freundin sie bei uns zuhause mal abholte. Kommentierte sie achteran



      “Den bringst du bitte nicht wieder in die Familie - Hackenklappen und Küß die Hand gnädige Frau - weißt du ja - is nich so meins.“



      Kurze Zeit später wurde gegen ihn als verantwortlicher PolOffz wg Partisanenerschießungen ermittelt!



      (“ Namensverwechslung - nie dort - Urlaub“ - die ganze Palette! - ihn fuchste,



      Daß eine Beförderung nicht erfolgte!)



      & Däh => Soldaten-Matrix in action



      Heinz Kurras 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg • Dege - laß gehn -



      www.youtube.com/watch?v=w9sZm75TW44

      • @Lowandorder:

        servíce



        de.wikipedia.org/w...izei-Bataillon_101



        (Der Spiegel - in dem ja ein gewisser Rudolf die Kiffnase Augstein - sich nicht entblödete - zwei exSD-ler an verantwortlicher Stelle zu beschäftigen!



        Brachte erst Anfang/Mitte der 70er was dazu!



        “Das Reserve-Polizei-Bataillon 101 war eine militärische Einheit der Ordnungspolizei im nationalsozialistischen Deutschland, die in Hamburg aufgestellt wurde. Das Bataillon war im Zweiten Weltkrieg eingesetzt und aktiv am Holocaust beteiligt. Angehörige dieses Verbandes waren an der Ermordung von mindestens 38.000 Juden direkt beteiligt. Sie wirkten zudem an der Deportation von mindestens 45.000 Juden in die Vernichtungslager mit.[1][2]



        Das Bataillon wurde in den 1990er Jahren der Öffentlichkeit durch Publikationen des Historikers Christopher Browning bekannt und auf Basis dieser Forschungen auch von Daniel Goldhagen und Stefan Kühl als Fallstudie verwendet.…“

        Na Mahlzeit

  • Sein gleichnamiges Buch wird so rezensiert: "Das Konzept der Soldatenmatrix beschreibt psychosoziale Konstellationen, die in Gesellschaften stattfinden, die von Krieg und Gewalt geprägt sind. Existenzielle Ängste, hierarchische Strukturen von Befehl und Gehorsam und Bedürfnisse nach Ruhm und Ehre führen zu einer Überidentifikation mit Positionen der Macht. Aggressionshemmende Gefühle wie Scham, Schuld und Empathie verlieren an Bedeutung. Hiervon sind nicht nur ehemalige Soldaten betroffen, sondern ein »soldatenhaftens Selbst« nimmt Einfluss auf alle Rollen und Beziehungen in der Gesellschaft." ( www.psychosozial-verlag.de/2785 )

    "Aggressionshemmende Gefühle wie Scham, Schuld und Empathie verlieren an Bedeutung." ... das ist das, was im Gaza zu beobachten ist.

  • ,,Die liberale Gesellschaft funktioniert nur ohne Angst."

    Stimmt das denn wirklich? Kommt das nicht einer Verunglimpfung des Liberalismus nahe?

    Liberalismus und Demokratie haben für mich große Schnittmengen, und für letzteres muss man doch sein Leben lang kämpfen, wenn es einem wirklich wichtig ist.

    Demokratien müssen z.B. Minderheiten und ihre Freiheiten schützen. Auf dieser ,,Baustelle''' kann man Angst haben, seit es die Bundesrepublik gibt.



    Fritz Bauer war so ein Kämpfer.

    Man musste und muss Angst haben, dass Antisemitismus und Rassismus gewinnen. Man musste und muss dagegen kämpfen, auch und gerade, wenn man sich auf der Seite der Mehrheit wähnt. Die Freiheit des vermeintlich Anderen gilt es zu verteidigen.

    Dann benötigt man keine ,,Kriegsmatrix", sondern man kämpft sein Leben lang für die gute Sache und gegen die Zwangsläufigkeit der Gesetze von ,,Masse und Macht", wie sie schon Elias Canetti untersucht und auf den Punkt gebracht hat.

    Auch der anti-autoritär und liberal eingestellte Schwiegersohn des hier interviewten Psychologen hat vielleicht aus diesem Grund den Weg als Soldat gewählt: Nicht um die Freiheit ,,seines Volkes" zu verteidigen, sondern die Freiheit an sich. Für sich, seine Kinder und alle anderen.

    Gegen Netanjahu wurde vor dem 7. Oktober mutig demonstriert und inzwischen wieder. Viele der Demonstrant*innen sehen sich sicher als Kämpfer*innen für Freiheit und Demokratie, an sich und für alle.

    • @gleicher als verschieden:

      "Man musste und muss Angst haben, dass Antisemitismus und Rassismus gewinnen. "

      Ja, aber meist aus der Position der-des Beobachter*in. Der Interviewte spricht von der Angst derer, die selbst bedroht werden oder sich so wahrnehmen.

    • @gleicher als verschieden:

      ... die Zwangsläufigkeit der Gesetze von ,,Masse und Macht"...werden ja systematisch...Sie nennen es zwangsläufig...von diesem Gesellschaftssystem, das sich Kapitalismus nennt, permanent bedient und "befeuert" ( im wahrsten Sinne des Wortes). Wer die Masse beherrscht, kann Macht ausüben. Da geht es nicht um eine Kompromisslösung, da geht es um systematische Selbstentwertung von Menschsein. Die Verdinglichung des Menschen wird zum objektiven Zweck von Macht.

  • Es stimmt, die Soldatenmatirx bewirkt erst einen Rechtsruck: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche". Aber am Ende steht eigentlich fast immer ein massiver Linksruck, weil der Wert eines Menschen sich im Krieg gerade nicht mehr nach seinem Einkommen bemisst, und der Krieg mit all seinen Verwüstungen ein großer Gleichmacher ist. Das führte bei uns bis hin zum Matrosenaufstand 1918, der fast zur Einführung einer kommunistischen Regierung geführt hätte, und 1945 waren laut Enzensberger fast alle überzeugt, dass auch im Westen der Sozialismus kommen würde. Man kann also sicher prophezeien, dass der Krieg Netanjahu hinwegspülen wird. Aber für die Menschen im Gaza wird es dann trotzdem zu spät sein.

  • Danke, ein sehr bewegendes Interview, das einen auch emotional anfasst. Das zweite beeindruckende Interview am heutigen Tag mit der Frage, was der 7. Oktober sowie der nachfolgende Krieg in Gaza mit der israelischen Gesellschaft “gemacht” haben. Das erste mit Ofer Waldmann sei an dieser Stelle noch einmal verlinkt:



    www.tagesschau.de/...iff-hamas-100.html



    Einige meiner Fragen bliebt beim Lesen des Friedman-Interviews jedoch unbeantwortet: was ist, wenn die Israelis als Gesellschaft aus dieser “Soldatenmatrix” - die Robi Friedman übrigens sehr überzeugend beschreibt - nicht mehr herausfinden? Und: befand sich Israel seit Gründung seines eigenen Staates jemals “außerhalb” dieser Matrix? Was bedeutet das für eine säkulare, demokratische und liberale Zivilgesellschaft?

    • @Abdurchdiemitte:

      War Israel seit seiner Gründung jemals nicht von der Auslöschung durch seine Gegner bedroht? Der Iran baut aktuell eine Atombombe um dem Ziel schnell näher zu kommen.

    • @Abdurchdiemitte:

      "Was bedeutet das für eine säkulare, demokratische und liberale Zivilgesellschaft?"

      Sich zu arrangieren, mit den Gegebenheiten abzufinden und die Unannehmlichkeiten bzw die Bedrohungslage auszublenden. Anders lässt sich der Alltag gar nicht bewerkstelligen.

      Sich der Realität bewusst sein, ohne das sich dieses Bewusstsein auf den Alltag überträgt und in ihn hineinwirkt. Das ist die Lebenskunst in solchen Konstellationen. Um das zu erreichen braucht es Routine. Alltagsroutine. Der Mensch ist ein "Gewohnheitstier". Wenn ich in eine solche Konstellation hineingeboren werde und andere Umstände mir nicht vertraut sind, fällt es mir leichter mich den Gegebenheiten anzupassen.

      • @Sam Spade:

        Zuweilen wird der Einbruch in diese Alltagsroutine als derart invasiv, bedrohlich und erschütternd empfunden, dass eine Rückkehr in den normalen Alltag danach nicht mehr möglich erscheint - Friedman spricht ja nicht ohne Grund von einem Davor und einem Danach mit Blick auf den 7. Oktober.



        Es MUSS sich etwas ändern, jetzt - diese Ahnung liegt zum Greifen nahe im der Luft. Im Grunde kennt jeder von uns diese Erfahrung, ohne möglicherweise selbst in vergleichbare oder ähnliche Extremsituationen geraten zu sein.

    • @Abdurchdiemitte:

      Die menschliche Abwehrreaktion beruht in solchen Fällen auf Verdrängung. Kennt fast jeder aus seinem Alltag. Ist auch für die menschliche Natur überlebenswichtig, um dem Gefühl der Ohnmacht entgegenzuwirken. Friedman spricht zwar von Verdrängung ins Unbewusste, dem würde ich aber widersprechen, es ist den Menschen ja durchaus bewusst, insofern wird es nur verlagert. Die Theorie des Unbewussten ist eh heikel.

      Ich denke nicht dass sich Israel als ganzes betrachtet seit dem Sechs-Tage-Krieg jenseits dieser Matrix befand. Einzelne Generationen schon eher.

    • @Abdurchdiemitte:

      Danke für den Link zu dem Interview mit Ofer Waldmann. Dort stehen ein paar zutiefst menschliche Sätze, die wir alle uns zu Herzen nehmen sollten. Welche Größe daraus spricht!

    • @Abdurchdiemitte:

      In einem Interview erzählt David Grossmann von Militärdienst einer seiner Söhne.

      Nach einem Einsatz werden die jungen Soldaten aufgefordert, über die Aktion zu sprechen, zu diskutieren und ihre Erfahrungen und Gefühle zu teilen.

      Es werden Leitlinien festgelegt, fliegen Steine, schießt man nicht, fliegen Molotows, schießt man. Man schießt nicht auf Kinder und Frauen.

      Das wird nicht immer und überall so sein und das Interview ist ein paar Jahre alt. Dennoch glaube ich, dass es in den IDF einen ausgeprägten moralischen Kompass gibt.

      Für den Satz werde ich wohl geschlachtet.

      • @Jim Hawkins:

        Jetzt verweise ich doch noch mal auf das andere bedeutende Interview des heutigen Tages mit dem in Haifa lebenden Publizisten Ofer Waldman,



        Waldman spricht davon, dass Kriege die (dumme) Angewohnheit haben, dass - je erbitterter sie von beiden Seiten geführt werden - das Bewusstsein für Humanität und Moralität gegenüber dem Feind zunehmend verloren geht. Der Krieg wurde so laut Waldman zu einem “eigenständigen Wesen”. Im Grunde beschreibt es Friedman nicht anders.



        Glauben Sie denn wirklich, dass in der extremen Stresssituation eines Straßenkampfes - in dem Wissen, dass es sich hier um einen asymmetrischen Krieg handelt - ein sorgsames Abwägen der moralischen Prinzipien der eigenen Streitkräfte noch möglich ist?



        Ich weiß schon, warum ich im Grundsatz Pazifist geblieben bin.

        • @Abdurchdiemitte:

          Ich weiß natürlich nicht, ob das möglich ist.

          Gleichzeitig machen mir von Zivilisten offen zur Schau getragene Waffen in Israel weniger Sorgen, als dasselbe Phänomen in Texas.

          Das ist getragen von der Gewissheit, dass Israel keinen Krieg verlieren darf, sonst verliert es seine Existenz.

          Und: Wäre Israel pazifisch, es würde schon lange nicht mehr existieren.

          Ich sehe es wie Michael Wolffsohn, manchmal muss man töten, um das Morden zu beenden.

          • @Jim Hawkins:

            Hm, also wenn bewaffnete Zivilisten auftauchen, ist das aus meiner Sicht immer ein Problem und sollte Anlass zur Besorgnis geben, egal ob in Texas, Israel oder hierzulande - entweder steht ein Land kurz vor einem Bürgerkrieg oder schon mittendrin, die Gewaltenteilung und die demokratischen Institutionen funktionieren möglicherweise nicht mehr so, wie sie nach rechtsstaatlichem Verständnis sollten. Das mag beispielsweise auf Texas zutreffen, gut möglich.



            Mit Blick auf Israel sehe ich die Sache auch differenzierter, wobei ich nach den innenpolitischen Entwicklungen der letzten Monate - und eigentlich auch schon anlässlich der Massenproteste gegen Netanyahus Justizreform - sehr wohl die Gefahr einer weiteren gesellschaftlichen Eskalation wie auch die einer Aushebelung demokratischer, rechtsstaatlicher Prinzipien durch interessierte israelische Kreise aufziehen sehe. Die Demokratie ist in den westlichen Gesellschaften in diesen Zeiten überall gefährdet - warum sollte Israel da eine Ausnahme bilden?



            In Israel kommt nur noch die besondere, seit Staatsgründung andauernde Situation der existenziellen Bedrohung von außen hinzu, aktuell durch den Iran und seine Verbündeten Hisbollah und Hamas. Das ist natürlich so etwas wie ein “Alleinstellungsmerkmal”.



            Aber das Thema mit den bewaffneten Siedlermilizen ist ein anderes: hier geht es um aggressiven Landraub und Einschüchterung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland, mit der politisch kalkulierten Perspektive, diese von ihrem Land zu vertreiben - es geht hierbei deutlich NICHT um Zivilverteidigung des eigenen Territoriums und der eigenen Bevölkerung gegen Aggressoren von außen.



            Zu dem Thema ließe sich noch viel sagen, die Möglichkeiten der Kommentarfunktion sind dafür leider begrenzt.

      • @Jim Hawkins:

        "Man schießt nicht auf Kinder und Frauen"

        Ja ja, der berühmte Sodatenethos. Das war auch schon den Schnack in der Wehrmacht. Hat dort nicht funktioniert.

        Wesentlicher Faktor ist die Führung. Und da erwarte ich von den Führenden einen anderen Schnack als jene Sprüche die Israel mit wegen des Vorwurfs eines Genozid vor den IGH brachten.

        • @Rudolf Fissner:

          Für manche ist es ein kurzer Weg von der Wehrmacht zu den IDF.

          Das sagt mehr aus über den Sprecher als über die Sache.

          • @Jim Hawkins:

            Der kurze Weg von der Wehrmacht zur IDF ist ihr Sprungbrett.

            Ich sprach die hohle Soldatenehre an, der sich irgendwie jedes Heer rühmt,

            Die Realität sieht bei der IDF nicht weniger hohl und anders aus: "Seit Monaten posten israelische Soldaten Videos von ihren Einsätzen in Gaza, die zeigen, wie menschenverachtend sie zum Teil mit Palästinensern umgehen. " ( www.tagesschau.de/...en-videos-100.html )

            Hinzu kommt die höchste Quote an zusätzlichen getöteten Kinder und Frauen pro eigentlichen gegnerischen Kämpfern, die je in einem Konflikt getötet wurden.

          • @Jim Hawkins:

            Man beendet kein Morden indem man Frauen und Kinder tötet oder verhungern lässt.

      • @Jim Hawkins:

        "Dennoch glaube ich, dass es in den IDF einen ausgeprägten moralischen Kompass gibt."

        Ganz bestimmt sogar. Moral ist auch immer Definitionssache. Versteht jeder etwas anderes darunter.

        " Für den Satz werde ich wohl geschlachtet"

        Könnte sein!

        • @Sam Spade:

          Ich habe ja versucht darzulegen - auch gegenüber @Jim Hawkins - , warum in der Extremsituation des Krieges es sämtlichen ethische Prinzipien droht, über den Haufen geworfen zu werden - in dieser Diskussion teile ich eher die Position @Rudolf Fissners.



          Die Erkenntnis, dass es so etwas wie eine moralische oder ethisch begründete Kriegsführung nicht geben kann und dass die IDF - in Gaza deutlich ersichtlich! - an diesem Anspruch zwangsläufig scheitern muss wie jede andere Armee der Welt, hat nun mit einer anti-israelischen Positionierung so überhaupt nichts zu tun - das “Argument” kann man in diesem Kontext getrost wegstecken (damit spreche ich allerdings @Jim Hawkins an, nicht Sie).



          Sollten wir da nicht eher das Augenmerk auf diejenigen politischen Verantwortlichen lenken, die Militärdienst leistende junge Frauen und Männer in dieses schreckliche moralische Dilemma hineinführen, Menschenleben verteidigen zu wollen und es dabei zerstören?

          • @Abdurchdiemitte:

            "dass es so etwas wie eine moralische oder ethisch begründete Kriegsführung nicht geben kann und dass die IDF - in Gaza deutlich ersichtlich! - an diesem Anspruch zwangsläufig scheitern muss wie jede andere Armee der Welt"

            Es wird wohl unterschiedlich wahrgenommen werden. Sie werden selber sagen: . Und andere werden sagen: .

          • @Abdurchdiemitte:

            Ich weiß nicht, ob die Freiheitskämpfe in der Geschichte nicht doch unter moralisch/ethischen Bedingungen geführt wurden. Beim Spartakusaufstand würde ich das eigentlich so betrachten. Ähnliches gilt aus meiner Sicht auch für den schottischen Freiheitskämpfer Wallace. Und mir würden in der Hinsicht noch viele andere Beispiele einfallen.

            Aber ich gebe ihnen insofern recht, dass die meisten Kriege in der Geschichte auf Interessenskonflikten und Herrschaftanspruch der herrschenden Klassen beruhen und keine moralischen oder ethischen Bezugspunkte haben.

            • @Sam Spade:

              Ja, hier ist meine Haltung tatsächlich eher eine christlich-pazifistische - meinetwegen nennen Sie es bürgerlich - als eine linke, antimilitaristische.



              Die beiden Positionen speisen sich eigentlich aus ziemlich konträren weltanschaulichen Quellen, zuweilen gehen sie allerdings auch Bündnisse ein, etwa während des Vietnamkrieges in den USA oder bei uns zuzeiten der Friedensbewegung in den Achtzigern - solche gesellschaftlich breit aufgestellten Bündnisse haben die Friedensbewegung seinerzeit zu starken Massenbewegungen gemacht.



              Was die Einschätzung der „Moralität“ der verschiedenen Kriegsparteien angeht, schließe ich mich der Argumentation an, dass es schon essentiell ist, eine saubere Ursachenanalyse vorzunehmen, zwischen Aggressoren und Verteidigern zu unterscheiden und dabei keine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben - auch als entschiedener Kriegsgegner sollte man da eine gewisse Redlichkeit wahren, aktuell gerade mit Blick auf das Existenz- bzw. Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer und Israelis.



              Auch den von Ihnen genannten historischen bewaffneten Aufstandsbewegungen (Spartacus, Bruce Wallace) - ich würde beispielsweise noch den Bauernkrieg von 1525 ergänzen - kann eine gewisse moralische Legitimität nicht abgesprochen werden.



              Etwas verkürzt formuliert: die Ziele mögen noch so legitim und gerecht sein - was hilft‘s, wenn die „Methoden“ der Umsetzung die Träger der gerechtfertigten Absichten selbst moralisch ins Unrecht setzen.



              Evangelische Christen treibt dieses Dilemma in Fragen von Krieg und Frieden bis heute um. Zu Zeiten der Reformation etwa wurden diese Fragen von Luther ganz anders beantwortet als von dem „linken“ Reformator Thomas Müntzer, einen der Anführer des damaligen Bauernaufstandes.

              • @Abdurchdiemitte:

                "Ziele mögen noch so legitim und gerecht sein - was hilft‘s, wenn die „Methoden“ der Umsetzung die Träger der gerechtfertigten Absichten selbst moralisch ins Unrecht setzen."

                Genau das ist es. Selbst wer im Glauben an eine gerechte Sache kämpft, macht sich mitschuldig. Da helfen hehre Ziele auch nicht.



                Das wird ein ewiges Dilemma bleiben. Insofern gibt es auch keine gerechten Kriege. Jeder Krieg ist Unrecht.

          • @Abdurchdiemitte:

            Im Staat Israel können Sie aber davon ausgehen, dass der Großteil der politisch Verantwortlich in der IDF war oder sogar selbst an Kriegshandlungen beteiligt war. Und über seinen Sohn sagt Robi Friedman, dass dieser sich freiwillig zu dem Einsatz begeben hat. Natürlich spielt da auch sozialer und moralischer Druck eine Rolle. Aber das Bild, dass "die Herrschenden" ungerührt die Jugend "ihres" Landes in den eigenen Tod schickt und um Feinde zu töten, ist mir doch zu einfach, insbesondere was Israel betrifft.

            • @Kai Ayadi:

              Schauen Sie sich den israelischen Antikriegsfilm „Lebanon“ an (ich weiß leider nicht, ob er noch und wo er verfügbar ist).



              Am Beispiel einer israelischen Panzerbesatzung im Libanonkrieg von 1982werden die Schrecknisse der urbanen asymmetrischen Kriegsführung gezeigt - welch ein wahnsinniger Stress es für junge, unerfahrene Soldaten ist, inmitten einer unbekannten, feindlichen Umgebung einem unsichtbaren Feind gegenüberzustehen.



              de.m.wikipedia.org/wiki/Lebanon_(Film)



              Auf die im Film gezeigten Horrorszenarien kann keine noch so gute Ausbildung vorbereiten - ich kann mir nicht vorstellen, dass Freiwillige immer wissen, was ihnen alles während Kampfhandlungen bevorstehen kann.



              Dagegen kenne ich die arrangierten idyllischen und heroisierenden Werbefilmchen der IDF - sie spiegeln NICHT die Realität. Das gilt für alle Armeen der Welt, die derartige Imagepflege betreiben.



              Für die in Folge auftretenden psychischen posttraumatischen Belastungen der am Krieg beteiligten Soldaten müssen die politischen Entscheidungsträger umfänglich die Verantwortung übernehmen. Auch dann, wenn niemand zum Kriegsdienst gezwungen wird - und auch dann, wenn es um moralisch hehre Ziele geht (denn wer will abstreiten, dass Israel ein Recht hat, sein Territorium und seine Bevölkerung vor Aggressoren zu schützen und zu verteidigen?).



              So habe ich mein Statement gemeint.

              • @Abdurchdiemitte:

                Ich kenne den Film und fand ihn so erschütternd wie "Waltz with Bashir". Das Dilemma, wie bleibe ich friedlich, wenn meine Feinde mich vernichten wollen, bleibt bestehen. Das ist ja gerade das Schlimme.

  • Vielen Dank für dieses vielschichtige und bewegende Interview.

    • @Jim Hawkins:

      Dem stimme ich zu.



      Gerade die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Perspektive und Grundanahmen ist äußerst angenehm.

  • Die Realitäts-Verdrängung der israelischen Gesellschaft zu ihrer eigenen Besatzungsgeschichte, ihren illegalen Siedlungen, ihrem Militarismus als Strategie/Konzept zur Geiselbefreiung, Flächenbombardements in Gaza mit ca 20.000 tote Kindern und Frauen, den Hungertoten und den Kill-Zones ihrer "Militärstrategie" hätte vielleicht auch in ein Interview mit einem Psychologen gehört, sowie die Frage nach einer 2-Staatenlösung.

    • @Rinaldo:

      Ich bin für die 2 Staatenlösung, auch weil es Menschen wie Howidy Hamza gibt und einige Palästinenser, die das Unrecht welches den indigenen Juden in der jahrhundertelangen Dhimmi Apartheid, den Pakt des Muftis mit Hitler und die schrecklichen Aussagen der Hamas und PLO nicht verdrängen und sich damit auseinandersetzen.

    • @Rinaldo:

      Wenn das Thema des Interviews ist, wie Krieg die israelische Gesellschaft verändert, gehören illegale Siedlungen, 2-Staaten-Lösung und fast alles, was sie aufzählen, nicht in das Interview.

      Das wären extra Interviews.

      Und zwar mit Politikern oder Politikwissenschaftlern, nicht mit Psychologen.

    • @Rinaldo:

      "... Flächenbombardements in Gaza ..."

      Wenn es Flächenbombardements gäbe, wären Bodentruppen ebenso wie Häuserkämpfe, die viele Soldaten auf der jüdischen/Israel-Seite das Leben kosten, nicht notwendig. Der Krieg wäre dann vermutlich auch bereits vorbei.

      • @*Sabine*:

        Der 2. Weltkrieg wurde von den Alliierten auch nicht durch die Flächenbombardments gewonnen.

    • @Rinaldo:

      Oh, wie Sie mir aus der Seele sprechen! Krieg ist kein Spiel. Er ist kein Wettkampf zwischen statischen Gegnern, sondern Ergebnis politischer Dynamiken. Und diese Dynamiken, die Sie ansprechen, führen dazu, dass im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland, derzeit viele neue Terroristen herangezüchtet werden. Auf jeden Kopf, der rollt, folgen zehn neue, wenn nichts unternommen wird, um der Terrorideologie die Grundlagen zu entziehen.

  • Das Interview zeigt die Widersprüchlichkeit in der Existenz Israels: Herr Friedman scheint die Tatsache, dass im Westjordanland tagtäglich palästinensische Existenzen vernichtet werden, in seiner Sicht auszuklammern. Ein Liberaler, der wegzuschauen scheint in einem Land, das wohl nur die eine Seite sehen möchte und viele doch wieder nach Europa zurückkehren, dahin, wo sie eigentlich willkommener sein sollten als Teil einer demokratischen Gesellschaft, wie sie in Israel eben nicht ohne militärischen Schutz zu funktionieren scheint.

    • @Dietmar Rauter:

      Er hat die Situation aus der Perspektive des Psychoanalytikers und vor allem aus seiner persönlichen Betroffenheit als (jüdischer) Bürger Israels geschildert, aus dem tiefen Einschnitt heraus, der seiner eigenen Familie am 7. Oktober widerfahren ist.



      Und er benennt auch die Widersprüchlichkeiten und Fehler auf der israelischen Seite im Umgang mit dem Konflikt. Ich denke, diese ambivalenten Perspektiven zusammenzubringen, dazu gehört schon eine Menge an Klarheit, intellektueller Redlichkeit und Selbstreflexion - das kann auch nicht jeder.

  • "Alle Leute haben gedacht: Jetzt bin ich unsicher in meinem eigenen Land."

    Was viele nicht sehen wollen: Für die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen ist das seit Jahrzehnten der Normalfall. An jedem Checkpoint die Angst, erschossen zu werden. Bei jeder israelischen Drohne, jedem israelischen Kampfjet die Angst, bombardiert zu werden. Die Angst vor Angriffen der Siedler. Die Angst vor Razzien des israelischen Militärs. Bei jeder Demo die Angst, dass das israelische Militär Schusswaffen einsetzt. Die Angst der palästinensischen Fischer, dass sie von der israelischen Küstenwache beschossen werden, wenn sie zu weit rausfahren. Die Angst palästinensischer Bauern im Gazastreifen, dass sie beschossen werden, wenn sie ihr Land in der Nähe der Grenze zu Israel bewirtschaften.

    • @Francesco:

      Ich hab erst kürzlich ein Interview mit Gideon Levy, Journalist der Haaretz, gesehen. Wie Herr Friedmann hier erwähnt und ich glaube auch in einem anderen Artikel der taz gesagt wird, werden Bilder aus Gaza wie wir sie sehen, kaum bis gar nicht im israelischen Fernsehen gezeigt und das laut Levy nicht wegen einer Zensur oder sonstigem, sondern weil scheinbar ein Großteil der Bevölkerung es nicht sehen möchte oder damit konfrontiert werden möchte. Wie Herr Friedmann hier sagt: "Die Leute in Israel wollen nicht mit dem Schmerz der Bevölkerung in Gaza in Kontakt kommen, sie wollen nicht mitleiden."



      Levy sagte, das dieses Verhalten der Medien nicht neu ist. Das gleiche zeigen sie in Bezug auf die Besatzung, auf das Leben der Palestinenser in den besetzten Gebieten. Scheinbar wird über all das, was sie hier sagen und womit sie vollkommen recht haben, nicht in den Medien berichtet. Die Ausnahme sind natürlich die Haaretz und +972 Magazine. Und ich glaube, das dies auch ein riesiges Problem ist, wenn man als Volk die Augen davor verschließen will und es auch tut und man es als Journalisten unterlässt, die Öffentlichkeit aufzuklären (egal ob sie es nun hören wollen oder nicht). Unwissenheit/ Unkenntnis führt nicht selten zu Vorurteilen, Mangel an Empathie und Verständnis. Wie Gideon Levy sagt, sie haben top Journalisten im Land, die wahnsinnig kritisch zum Thema, Finanzpolitik, Sozialpoltik etc. sein können und viel gute Arbeit leisten und die Regierung zur Verantwortung ziehen aber wenn es um die militärische Besatzung geht: meist Schweigen. Außer wenn es um rechte israelische Medien geht, aber was dort so gesagt wird können sie sich vermutlich denken.

    • @Francesco:

      Es ist so, wie Sie sagen - kein Widerspruch. Wesentlich erscheint mir in dem Konflikt - und das gilt grundsätzlich für alle Konflikte - nicht nur den eigenen Schmerz, sondern auch den Schmerz der anderen zu erkennen, ihn überhaupt wahrzunehmen. So wie es der israelische Autor und Publizist Ofer Waldman in einem anderen bemerkenswerten Interview (in der Tagesschau) geäußert hat.



      Eine Bekannte von mir musste als Kind mit ihren Eltern 1945 von ihrem Hof in Pommern fliehen - sie konnte mit dieser Geschichte erst dann wirklich „abschließen“, nachdem sie die Möglichkeit hatte, ihre alte Heimat zu bereisen und dabei die polnische Familie kennenlernte (und Freundschaft mit ihr schloss), die heute auf dem einst elterlichen Hof lebt.



      Aussöhnung braucht Zeit und viel Geduld, oft über Jahrzehnte - manchmal ist es auch nicht möglich - weil die geschlagenen Wunden zu tief sind - und es kann nicht von außen verordnet werden. Im Nahost-Konflikt stehen die Beteiligten nicht mal am Anfang dieses Prozesses.

      • @Abdurchdiemitte:

        "Aussöhnung braucht Zeit und viel Geduld, oft über Jahrzehnte - manchmal ist es auch nicht möglich - weil die geschlagenen Wunden zu tief sind - und es kann nicht von außen verordnet werden. Im Nahost-Konflikt stehen die Beteiligten nicht mal am Anfang dieses Prozesses."

        Und es werden jedes Jahr die Wunden wieder aufgerissen bzw. neue geschlagen, seit Jahrzehnten.

        • @Brombeertee:

          Heute sehe ich es so, dass in die schwärende Wunde der Nakba - der Erfahrung des Verlustes und der Entwurzelung für viele Palästinenser - von arabischer Seite immer weiter Salz gestreut wurde, mit der unrealistischen Forderung nach Rückkehr der Langzeit-Flüchtlinge in ihre ehemaligen Wohngebiete in Israel.



          Es wird jetzt immer viel davon gesprochen, welche Beiträge Israel leisten müsse - dazu gehört mit Sicherheit das Ende der Besatzung und die Räumung der jüdischen Siedlungen im Westjordanland - , um zu einer Friedenslösung zu kommen.



          Auf palästinensischer Seite ist ein Prozess der Einsicht in den Verlust der alten Heimat vonnöten. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Die arabischen Staaten mit nennenswerten palästinensischen Bevölkerungsanteilen täten gut daran, diesen Einsichtsprozess durch Integration der Palästinenser in ihren neuen Heimatländern zu befördern - sie wiederum benötigen dabei Unterstützung von außen.



          Eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel - wie vor dem 7. Oktober schon vorsichtig-tastend begonnen - inklusive intensiver ökonomischer Kooperation wäre für die gesamte Nahost-Region nicht von Schaden. Ich denke, das weiß man zumindest in Kairo, in Amman und in Riyad. Möglicherweise auch in Beirut, aber dort ist Hizbollah ein gewichtiger innenpolitischer Faktor.