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Klimaprotest keine kriminelle VereinigungAbsurder Vorwurf

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation entbehren jeder Grundlage. Ein Berliner Staatsanwalt sieht keine schweren Straftaten.

Letze Generation-Sprecherin Carla Hinrichs wird von Polizisten abgeführt Foto: dpa

E s ist ein unhaltbarer Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung; und auch das Landgericht Potsdam erklärte diesen Anfangsverdacht nun erst einmal für rechtmäßig und lehnte eine Beschwerde eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Aktivisten ab. Die Brandenburger Ermittler greifen damit zu dem schwerstmöglichen Vorwurf, der einer Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen, vergleichbar etwa mit gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften, gleichkommt und schwerwiegende Grundrechtseingriffe ermöglicht.

Sie stellen in den Raum, dass es sich bei den stets friedlichen und symbolischen Aktionen der Letzten Generation um gewichtige Straftaten handele, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun, eher mit dem ungesunden Empfinden eines auf Rache für die Störungen trachtenden Mobs.

Wie wohltuend nüchtern und sachlich erscheint dagegen die Einschätzung der Berliner Staatsanwaltschaft. Der zuständige Oberstaatsanwalt Holger Brocke stellte die Vorwürfe schon im Januar vom Kopf auf die Füße. In einem Schreiben, das der taz jetzt bekannt wurde, begründete er auf fünf Seiten, wieso es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung anzusehen sei. Mit dem Brief begründete er einem besorgten Bürger, der eine entsprechende Anzeige gestellt hatte, warum von Ermittlungen hinsichtlich des Vorwurfs abgesehen wird.

Brocke argumentiert darin grundsätzlich, dass die Aktionen „nicht nur durch die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“ Ergo: Die Mitglieder der Letzten Generation haben das Bundesverfassungsgericht im Rücken, wenn sie sich gegen den Rechtsbruch der Bundesregierung stellen, die nicht ausreichend für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgt.

Keine schweren Straftaten

Dass sie dabei Straftaten begehen, steht außer Zweifel. Nur sind diese eben nicht von dieser Schwere und Relevanz, dass sie den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung stützen könnten. Brocke nimmt all jene Vorwürfe auseinander, die die Brandenburger Ermittler zur Grundlage ihrer Ermittlungen gemacht haben: Die Blockade des Flughafens BER, das Abdrehen von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt und eine Kartoffelbrei-Attacke im Barberini-Museum in Potsdam.

Brocke würdigt all das, was im öffentlichen Aufschrei stets untergeht. Die Blockade des BER wurde von den Ak­ti­vis­t:in­nen zuvor bei der Feuerwehr angekündigt, eine konkrete Gefährdung des Flugverkehrs habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Genauso wenig war die Betätigung von Notfallventilen mehrerer Ölleitungen dazu geeignet, „zu nennenswerten Störungen von Anlagen oder Unternehmen“ zu führen. „Die Aktionen dürften den Rahmen eines letztlich symbolischen Charakters nicht überschritten haben“, so Brocke.

Das gilt ebenso für die Attacken auf Kunstwerke in Museen. Zwar sei dort mitunter Sachschaden entstanden und die Rahmen beschädigt worden, die Bilder selbst, die sich hinter einer Glasscheibe befinden, seien aber in keinem Fall beschädigt worden. Nichts spreche zudem dafür, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen dies intendiert hätten.

In dem Schreiben geht es zudem um die gängigste Aktionsform der Letzten Generation, das Blockieren von Straßen, die selbst Brandenburger Ermittlern nicht als Taten einer kriminellen Vereinigung gelten. Diese fallen, so schreibt es Brocke, in den „Anwendungsbereich der Versammlungsfreiheit“ und verlaufen zudem friedlich. Auch beim Ausbremsen des Autoverkehrs auf Autobahnen durch eigene Fahrzeuge „dürfte es sich um ein langsames Ausbremsen gehandelt haben, bei dem keine Verkehrsteilnehmenden (konkret) gefährdet worden sind.“

Diese Woche hat die Berliner Staatsanwalt mitgeteilt, dass sich an ihrer Einschätzung hinsichtlich des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung nichts geändert habe. Wieso auch? Ihre Begründungen sind nicht von der Hand zu weisen.

Wie dagegen die Brandenburger Ermittler das Gegenteil all dessen in einem Hauptsacheverfahren beweisen wollen, bleibt ein Rätsel. Sie werden sich mit ihrem Ermittlungseifer blamieren.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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44 Kommentare

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  • Der Vorwurf ist berechtigt, wer Straftaten am laufenden Band begeht, der darf sich auch nicht wundern wenn Ermittelt wird!

    Ausbremsen von Autos auf der Autobahn in lebensgefährlicher weise ist eine Straftat, was ist wenn ein LKW auf PKWs auffährt, soll es erst dazu kommen?

    Jeder andere würde seinen Führerschein auf Lebenszeit abgeben müssen, da hat die letzte Generation schon einen Bonus!

    Die Staus sind Klimaschädlich und die art des Protests ist nicht friedlich, sondern Radikal Aggressiv, mit der Meinung das nur die letzte Generation wisse das die Welt untergeht, aber selbst keine Fragen und Diskussion zulässt.

    Die letzte Generation handelt von oben herab, ohne auf andere Meinungen zu hören und wollen die Demokratie abschaffen und durch einen Bürgerrat (Gesellschaftsrat) ersetzen, das ist Grundsätzlich gegen das Grundgesetz, also Verfassungsfeindlich, was hat das noch mit Klimaschutz zu tun?

    • @udo123:

      Das ist Satire, oder? Oder aus der BILD abgeschrieben ... ;-D

  • Wenn man die ideologischen Scheuklappen ablegt, die nicht nur Herr Peter scheinbar hat, sondern auch die Berliner Staatsanwaltschaft internalisiert hat, kann man mit den deutlich besseren Argumenten zu einer kriminellen Vereinigung zumindest eines Teils der letzten Generation kommen.

    Diesbezüglich bietet sich der Blick in die juristische Presse an: www.lto.de/recht/m...letzte-generation/.

    Thomas Fischer arbeitet insbesondere klar heraus, weshalb der Einstellungsgrund des Oberstaatsanwalts so nicht mehr existiert. Der Gesetzgeber hat die notwendige "schwere der Tat" klar geregelt: Die Nötigung genügt.

  • Freie Fahrt für freie Bürger heißt es! Wenn LG uns die freie Fahrt nimmt, ist es also Freiheitsentzug. Wenn das nicht eine schwere Straftat ist. [...] Kommentar bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation.

    • @Nansen:

      ???



      War die Ironie so schwer zu erkennen?

  • Aaaah, die Stuttgarter Lösung! Selbst Euro 6 von PKW verursacht starke Feinstaubemissionen? Heben wir de facto die Umweltzone auf und alte Kaminöfen können ja noch bleiben!

    Was für ein Holzweg.

    • @Troll Eulenspiegel:

      👍👍

    • @Troll Eulenspiegel:

      Sorry, sollte für Alex der Wunderer sein, der um 18:12 Uhr den Beitrag geschrieben hat.

  • FAKT ist doch wohl, jedes eingreifen in den fließenden Straßenverkehr ist nicht ok - genauso wenig wie Nötigung, Gefährdung & Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer - was soll die in Fragestellung ob bestimmte Personengruppen da etwas legitimen machen oder nicht. Unsere Gesetze und Verkehrsregeln sprechen eine - für jeden verständliche Sprache.

  • Die Berliner Justizsenatorin prüft eben dies.

  • ...wenn der eine Bundesbürger hier mit seinem Kfz die Umwelt belastet, so sollte ein ander Bundesbürger, in gleichen Maße, die Umwelt mit seinem Kamin oder Ofen zerstören dürfen...

  • Es werden Seminare durchgeführt, wie fortwährend Straftaten (Sachbeschädigung, Nötigung, gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, etc.) durchgeführt werden sollen. Es soll die Legislative gezwungen werden, Gesetze nach dem Willen der LG zu erlassen. Anzeichen für eine kriminelle Vereinigung sind aus meiner Sicht ausreichend vorhanden.

    Wir haben immer noch eine parlamentarische Demokratie! Der ebenfalls von der LG eingeforderte "Gesellschaftsrat" gibt es im Grundgesetz nicht.

    Wenn mit Netzwerken versucht wird, dies durchzusetzen, ist das nichts anderes als eine neue APO.

    Wer sich da im Übrigen schlussendlich blamieren wird - ein einzelner Oberstaatsanwalt (welcher sich nur mit Konjunktiven helfen kann: [dürfte nur symbolischen Charakter gehabt haben oder dürfte sich nur um langsames Ausbremsen gehandelt haben]) oder das Landgericht Potsdam und die Staatsanwaltschaft Neuruppin - wird abzuwarten sein.



    Der Kommentar passt zum Reemtsma-Neubauer-Hintergrund der Zeitung.

  • Kriminelle Vereinigungen? Könnten das auch Parteien sein, die bewusst gegen Gesetze verstoßen? Etwa indem sie die einfach ignorieren so wie das Verkehrsminsiterium oder die Schulministerien. Oder die ihre Abgeordneten schützen, obwohl die nicht der korrekten Offenlegungspflicht ihrer Nebeneinkünfte nachkommen? Oder die mal eben 700 Mio für einen bayrischen Biertischauftritt wissentlich vesenken? Da gibt's noch mehr Beispiele....

    • @Perkele:

      § 129 Absatz 3:

      "Absatz 1 ist nicht anzuwenden,

      1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat, (...)"

      Wenn man als Legislative schon ein unsinniges Gesetz am Leben hält, sorgt man wenigstens dafür, nicht selbst betroffen zu sein.

  • Es gibt hier in letzter Zeit einige Kommentatoren, bei denen ich mich frage, warum die ausgerechnet in der Taz posten. Ihre Meinung haben sie doch aus ganz anderen Käseblättern, n'est ce pas ?

    • @Zebulon:

      Das ist Diversität. Man informiert sich in den Blättern verschiedener Sichtweisen. Politischer Diskurs lebt davon, auch andere Meinungen zu kennen.

      (Und ich rechne es der taz übrigens hoch an, dass sie ihren Leserkommentatoren diese Freiheit zugesteht.)

      Aber zur Sache: Das Problem sind mE nicht juristische Feinheiten, sondern der bedauerliche Umstand, dass die LG durch ihre Straßenblockaden einen Haufen Leute gegen sich aufbringt, die -- wenn man sie weniger anpissen würde -- möglicherweise Verbündete im Kampf um eine gute Sache sein könnten.

      (Ich selbst fahre nur ÖPNV und Fahrrad, und trotzdem lehne ich Leute ab, die willkürlich den Betrieb der Stadt aufhalten.)

    • @Zebulon:

      1.) Das TAZ Forum ist nicht exklusiv für Mitglieder einer linken Blase im Netz, sondern steht allen Menschen gleich welcher politischen Richtung zur Verfügung.



      2.) Ein Forum das nicht ausschließlich Meinungskonforme Einlassungen veröffentlicht ist weitaus interessanter als ein solches, in denen sich die Teilnehmer nur gegenseitig auf die Schulter klopfen.



      3.) Eine Meinung kann man sich aus vielseitigen Quellen bilden, auch persönliche Erfahrungen tragen dazu bei ;-)

    • @Zebulon:

      das beobachte ich schon länger.

    • @Zebulon:

      Find ich eigentlich ganz gut dass hier viele verschiedene Ansichten und Meinungen vertreten sind, sowas belebt den Diskurs…ich selbst lese und kommentiere auch nicht nur hier in der Taz, sondern ebenso noch bei weiteren Tageszeitungen unterschiedlichster politischer Ausrichtung.

  • Würde bei dem Kommentar noch begrüßen ein kleiner Exkurs darüber, was es bedeuten würde, wenn die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung verfolgt würde. Über die Hausdurchsuchungen hinaus.

    Das finde ich über die Hausdurchsuchungen der wegen irgendwelchen Klebe- oder Farbaktionen Angeklagten hinaus nämlich das eigentlich gruselige:

    es würde zivilen Ungehorsam als Protestform insgesamt der verschäften Strafverfolgung preisgeben.



    Also statt ein paar Monaten auf Bewährung dafür, dass Kartoffelbrei gegen Rahmenglas gepfeffert wurde, wären bis zu fünf Jahre möglich.

    Denn es würde nicht mehr der, dem zivilen Ungehorsam innewohnender, vergleichsweise kleine Rechtsbruch geahndet, sondern dieser zum Tatbestand der kriminellen Vereinigung gezählt.

    Davon betroffen wären dann nicht nur diejenigen, die direkt Aktionen ausführen, sondern auch alle, die sie in welcher Form auch immer unterstützen.

    Chilling. Absolutely chiling.



    Damit soll organisierter ziviler Ungehorsam und dessen Unterstützung de facto verboten und mit Terrorismus auf eine Stufe gestellt werden.

    Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des inneren Friedens liegt dann vor, wenn einer in Deutschland lebenden Bevölkerungs-



    gruppe durch das tatsächlich Geschehene „das Gefühl ge-



    nommen wird, sich in Sicherheit hier aufhalten zu kön-



    nen“ und ein "Klima der Angst" geschürt wird.

    Mir scheint, dass da vor allem die Staastsanwaltschaft Neuruppin grade ein Klima der Angst schüren will...

  • Dass das Recht auf Meinungsfreiheit



    der LG den Nötigungstatbestand gegen-



    über den Verkehsteilnehmern rechtfertigt, sehe ich nicht, denn die



    LG kann ja durchaus sich zu dem



    Thema äussern, ohne die Verkehrsteilnehmer, die noch nicht mal



    Adressaten ihrer Forderung sind, dafür



    zumindest vorübergehend in „Geisel-



    Haft“ zu nehmen

    • @Hubertus Behr:

      Der Artikel ist hier ungenau. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat tatsächlich festgestellt, dass die *Ziele* der Klimaaktivisten grundgesetzlich gedeckt sind. Dass die Aktionen selbst Straftaten einschließen, steht nicht in Frage. Erheblich sind letztere aber nicht.

    • @Hubertus Behr:

      Zur Befreiung von Menschen aus der Geiselhaft sind dann natürlich SEK-Einsatz und finaler Rettungsschuss die naheliegenden Mittel. Der Umgang mit der LG ist schon ein bemerkenswertes Lehrstück darüber wie die Maßlosigkeit der Mittel über die Maßlosigkeit der Sprache ermöglicht wird.

      • @Ingo Bernable:

        Ich warte tatsächlich inzwischen auf das erste Todesopfer durch von Springerpresse und Christenparteien aufgehetzte "Freiheitskämpfer". Was halt so alles zur Mitte der Gesellschaft gehört, arbeitet gerade zielstrebig darauf hin.

  • ".. vergleichbar etwa mit gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften"



    Wieso dieses derart grotesk-negative Gegenbeispiel? Es gibt viele kriminelle Handlungen: Steuerhinterzug, Körperverletzung, Verbreitung illegaler Inhalte .. oder eben auch die Störung des öffentlichen Friedens.

    Man kann sich bei der Letzten Generation gerne die friedlichen Rosinen raus picken. Die Manipulation an Rohrleitungen der PCK-Raffinerie oder das illegale Vordringen in das Vorfeld auf dem BER-Gelände können durchaus als kriminell geahndet werden. An dieser Stelle braucht man auch nichts verharmlosen; z.B. dass die Klebe-Vereinigung zuvor angeblich die Feuerwehr informiert hat.

  • Bei allem Respekt dem Kommentator gegenüber: Hier besteht offensichtlich ein Dissens zwischen Jurist*innen über die rechtliche Bewertung der Taten der Letzten Generation darüber, ob Schwere und Relevanz der (geplanten und bewusst durchgeführten) Straftaten die Kriterien für die "Bildung einer kriminellen Vereinigung" erfüllen oder nicht. Aus der Kurzbiographie des Autoren ist mir nicht ersichtlich, dass dieser über eine juristische Ausbildung verfügt oder im Bereich Strafrecht über Sachkenntnis verfügt (falls ich hier irre, nehme ich gern alles zurück). Ich verstehe daher nicht ganz die aus diesem Kommentar prominent hervorgehende Selbstsicherheit des Autoren, diesen Sachverhalt so klar beurteilen zu können. Ich als Laie vermag dies nicht, denn letzten Endes ist für die Frage dieser Einstufung die eigene Sympathie oder Antipathie gegenüber den Aktionen und Zielen der Letzten Generation völlig unerheblich, es zählt vielmehr die rechtliche Einordnung.

    • @Agarack:

      Also die Quellen sind klar benannt. "Der zuständige Oberstaatsanwalt Holger Brocke stellte die Vorwürfe schon im Januar vom Kopf auf die Füße."

      • @Ingo Knito:

        Man kann das auch anders lesen. Während die brandenburgische Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht von einem Gericht sogar bestätigt bekommt, entzieht die (einem bisher rot-grün-rot geführten Senat) weisungsgebundene Berliner Staatsanwaltschaft einem Gericht die Überprüfung.

        Liest man sich den Paragraphen zur Bildung einer kriminellen Vereinigung aufmerksam durch, findet sich dort das vom Berliner Oberstaatsanwalt geforderte Erfordernis besonders schwerer Kriminalität nicht (mehr). Dieses Erfordernis hat der Gesetzgeber vor ein paar Jahren explizit aufgegeben. Seitdem genügt auch die Nötigung als ausreichende Straftat

        Juristisch gesehen ist eher die Berliner Entscheidung überraschend als die Brandenburger.

      • @Ingo Knito:

        Ja, und andere Staatsanwaltschaften scheinen es anders zu sehen, das ist der beschriebene Dissens. Bitte lesen Sie den Kommentar genau. Das Problem sind nicht die Quellen, sondern die (allem Anschein nach) fehlende Fachkompetenz des Autoren, deren juristische Stichhaltigkeit zu beurteilen.

        • @Agarack:

          Der Oberstaatsanwalt Berlin sticht vermutlich den Staatsanwalt Neuruppin.

        • @Agarack:

          Die Straftaten sind "nicht von dieser Schwere und Relevanz, dass sie den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung stützen könnten." Das ist eine plausible und fundierte rechtliche Einschätzung. Die Gruppierung verfolgt keine kriminellen Zwecke, selbst wenn sie das Begehen von Straftaten in Kauf nimmt oder sogar gezielt für ihre Zwecke einsetzt. Eine kriminelle Vereinigung muss aber einen kriminellen Zweck haben, sonst ist es keine.



          Schwieriger und im Prinzip ziemlich querdenkerisch finde ich dagegen die (auch in LG-Kreisen) gängige Rechtfertigung, die Bundesregierung begehe Rechtsbruch und deshalb seien Straftaten, die sich dagegen stemmen, in Ordnung. Die Bundesregierung begeht keinen Rechtsbruch, das sollte man einfach mal anerkennen, statt sich in solche Theorien hineinzusteigern. Wenn es einen Rechtsbruch gäbe, könnte man den ja zur Anzeige bringen.

        • @Agarack:

          Erik Peter ist Volljurist.



          de.linkedin.com/in/erik-peter-11955512a

          • @Günter Picart:

            Ich kann das ganze Profil mangels LinkedIn-Account nicht sehen, glaube Ihnen aber, da Sie es sonst kaum verlinkt hätten. Gut, dann nehme ich meine Kritik natürlich zurück, da sie dann offensichtlich unzutreffend ist, und entschuldige mich darüber hinaus für meine Unterstellungen.







            Ich wünschte mir als Laie allerdings eine etwas genauere Erklärung - warum sind die Straftaten nicht von der Schwere und Relevanz, die dies rechtfertigen, und wenn dies offenkundig ist, was sind die Argumente der anderen Staatsanwaltschaften, trotzdem Ermittlungsverfahren anzustreben? Was sind die Urteile und was die Tatbestände, auf die sich die Einstufung stützt? Würde mich interessieren, damit ich mir ein besseres Bild von der Lage machen kann.

  • Habe ich das richtig verstanden, von einer kriminellen Vereinigung spricht man nur, wenn von diesen schwere Straftaten begangen werden?



    Alle anderen abgesprochenen Straftaten von kleinkriminellen Banden stellen dann keine kriminelle Vereinigung dar ?

    • @Filou:

      Das haben sie absolut richtig verstanden.

      Der heutige § 129 StGB geht auf ein preußisches Gesetz aus dem Jahr 1798 zurück, dessen Sinn und Zweck allein darin bestand, Verbindungen zu treffen, die sich im Zuge der französischen Revolution gebildet und politische Veränderung zum Ziel hatten. Der rein politische Charakter des Gesetzes wurde die Jahre über, bis in die heutige Zeit, bewusst vom Gesetzgeber beibehalten.

      Die "Bande" ist - etwas leichtfertig grob, aber durchaus zutreffend ausgedrückt - das Gegenteil oder zumindest Gegenstück der kriminellen Vereinigung. Unterscheiden lassen sie sich in der Organisationsstruktur. Die Bande ist nach dem Gesetz zwingend eine hierarchisch strukturierte Organisation, mit einem befehlsgebenden Anführer an der Spitze, Unterführern und letztlich lediglich Befehle ausführenden Mitgliedern. Die kriminelle Vereinigung ist eine Organisation weitgehend Gleicher unter Gleichen, die weitgehend selbständig planen, organisieren und agieren. Es gibt keinen direkten Anführer und somit auch kein allein auf Befehl handelndes "Fußvolk".

      Den sich daraus ergebenen Widerspruch und eine fundierte Kritik am § 129 StGB lässt sich fundiert aus diesem Artikel ableiten:

      kripoz.de/2018/07/...s-%C2%A7-129-stgb/

    • @Filou:

      da hat die CSU ja nochmal Glück gehabt...

    • @Filou:

      Meines (laienhaften!) Wissens nach haben Sie das ungefähr richtig verstanden, der entsprechende Paragraph ist www.gesetze-im-int...de/stgb/__129.html .

      Bei Nötigung (§240 Stgb www.gesetze-im-int...de/stgb/__240.html ) ist dies grundsätzlich der Fall, da diese eine Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe festlegt. Ich kann also zunächst einmal nachvollziehen, warum so eine Prüfung grundsätzlich hier durchgeführt wird. Da jedoch §129 zahlreiche Einschränkungen festlegt und es hier sicherlich auch Vorentscheidungen gibt, die ich als Laie schlicht nicht kenne, vermag ich nicht zu beurteilen, wie der Fall rechtlich einzuordnen ist. Der Sarkast in mir sagt: Fragen Sie doch den Autoren des Kommentars, der scheint sich ja hervorragend auszukennen!

      • @Agarack:

        Nein, es geht um den Zweck der Vereinigung, der auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein muss, sodass ihre Haupttätigkeit darin besteht, Straftaten zu begehen, um irgendein kriminelles Ziel zu erreichen. Das ist bei der LG offenkundig nicht der Fall, bei den vom Ausgangsposter genannten "kleinkriminellen Banden" aber schon.

        • @Günter Picart:

          Danke für die Korrektur (ehrlich).

    • @Filou:

      Bitte unterscheide zwischen deinem Bauchgefühl und Verständnis und dem was das Recht unter einer kriminellen Vereinigung versteht.

      Relevant für die Strafverfolgung ist aus guten Gründen nämlich nur letzteres.



      Und ja, eine kriminelle Vereinigung liegt nur dann vor, wenn die Erfordernis der erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und der Straftaten von einigem Gewicht erfüllt ist.

  • Das wirft auch die Frage auf, ob dieser ja auch von Teilen der Politik - "Klima-RAF" - erhobene Vorwurf diese Klimaaktivist:innen nicht in Gefahr bringt, eine Art Notwehrrecht oder gar Notstand suggeriert, durch den sich dann Autofahrer*innen legitimiert fühlen, zur Selbstjustiz zu schreiten.

    Es sich also um eine Art Volksverhetzung handelt, wenn sie, bis hinauf zum Bundesjustizminister, pauschal (eben ohne Blick auf die konkrete Situation), zu Kriminellen erklärt werden.

    Getreten und geschlagen wird jedenfalls schon:

    》AUF BUNDESSTRASSE IN BERLIN

    Autofahrer schlagen und treten Aktivisten der „Letzten Generation“《

    m.faz.net/aktuell/...rlin-18904321.html

  • Mich wundert, dass niemand die Gefahr von Trittbrettfahrern sieht, die sehr interessiert zur Kenntnis nehmen, welche öffentliche Aufmerksamkeit die „Letzte Generation“ mit ihren Aktionen erzielt.



    Ich denke da an Gruppen und Grüppchen, denen es bisher nicht gelang, ihr – wie auch immer geartetes -Anliegen unters Volk zu bringen. Beispielsweise religiöse Sekten, die ohnehin den Weltuntergang befürchten, wenn sich die Menschheit nicht endlich dem „rechten Glauben“ zuwendet!



    Wer könnte diese Leute stoppen, wenn sie mit dem Argument „gleiches Recht für alle“ mit ähnlich gesetzwidrigen Aktionen versuchen, ihre Vorstellungen durchzusetzen?

  • "Dass sie dabei Straftaten begehen, steht außer Zweifel."



    Es ist richtig, dass auch die taz feststellt, dass sie zweifelsfrei Straftaten begehen und es eben keine "Notwehr" ist.



    Die begehen diese Straftaten wiederholt und trotz Urteil, was jedem Wiederholungstäter letztlich eine Haftstrafe einbringen wird.



    Eine kriminelle Vereinigung sind sie auch meiner Meinung nach nicht.



    Was mich aber am meisten ärgert: Sie erreichen rein gar nichts für die Umwelt, sie machen nur Furore und wiegeln immer mehr Menschen gegen sich auf. Wem oder was soll das nutzen?

  • Schön zu lesen, daß es auch mal intelligente und mitdenkende Justiz/Staatsanwaltschaft gibt. Ich bin gerührt.