Infrastruktur für Fahrrad: Der radlose Verkehrsminister
Volker Wissing will neue Autobahnen und eine Weiterführung des Verbrenners. Sein jüngster „Vorstoß“ für Fahrräder ist unglaubwürdig.
Es wirkt wie ein Ablenkungsmanöver. Seit Wochen streitet die Ampelkoalition, der Bundesverkehrsminister ist unter Druck geraten. Nun scheint er nachweisen zu müssen, dass er mehr für eine nachhaltige Verkehrswende tun wird.
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Volker Wissing (FDP) hat sich in den vergangenen Wochen mit der EU-Kommission über das eigentlich längst vereinbarte Ende des Verbrennungsmotors angelegt – das er zu verhindern sucht. Er ist weiter auch für den Bau neuer Autobahnen, obwohl die Verkehrsplanung schon jetzt bei den Klimaschutzzielen hinterherhinkt. Das zeigen insbesondere die neuen Zahlen des Umweltbundesamts zur Klimabilanz 2022.
Vor einigen Tagen hat der Bundesverkehrsminister dann also ein neues Förderprogramm angekündigt – für ein Fortbewegungsmittel, das grundsätzlich frei von jeglichem Verdacht ist, klimaschädlich zu sein: das Fahrrad.
Wissing und sein Ministerium wollen in den kommenden vier Jahren 110 Millionen Euro dafür bereitstellen. Genauer gesagt für sogenannte Fahrrad-Parkhäuser oder auch große Sammelschließanlagen, in denen E-Bikes und Räder in der Nähe von deutschen Bahnhöfen oder S-Bahn-Stationen untergebracht werden können.
Wenige Vorschläge aus Wissings Ministerium
Denn viele Menschen würden Rad und Bahn häufiger nutzen, insbesondere Pendler, „wenn sie ihr Fahrrad oder E-Bike am Bahnhof sicher abstellen könnten“, heißt es dazu von Volker Wissing in einer Mitteilung aus seinem Ministerium.
Dass die Stellplätze für Räder hierzulande tatsächlich fehlen, zeigt auch eine Erhebung aus Wissings Ministerium. Dort wurde errechnet, dass im Umfeld von deutschen Bahnhöfen, Bus- oder S-Bahn-Stationen derzeit bis zu rund 1,5 Millionen Abstellflächen für Räder und E-Bikes nicht vorhanden seien, obwohl sie dort dringend gebraucht würden.
Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene
Neue Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) zeigen zudem, dass auch der Kauf von Rädern und E-Bikes hierzulande, nach einem leichten Rückgang nach der Coronapandemie, sich insgesamt weiterhin positiv entwickelt. Der Fahrradbestand hat demnach um 6,9 Millionen zugenommen und einen neuen Rekord erreicht. Insgesamt gibt es 82,8 Millionen Fahrräder in Deutschland. Statistisch gesehen besitzt damit jeder Bundesbürger hierzulande sein eigenes Rad oder E-Bike.
Dass Volker Wissings Ministerium nun verkündet, Radverkehr und Öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) in Zukunft besser miteinander verknüpfen zu wollen, dürfte Verkehrsverbände und RadfahrerInnen eigentlich freuen. Man würde erwarten, dass dafür mehr sichere Radwege und Abstellplätze gebaut werden. Bislang aber hat sich Wissings Ministerium nur wenig mit Vorschlägen hervorgetan, die das Fahrrad als klimafreundlichen Verkehrsträger in Zukunft weiter stärken sollen. Der Vorstoß mit den Fahrradparkhäusern ist da eher eine Ausnahme.
Radverkehr „kolossal“ unterschätzt
Bei der kürzlich vorgestellten Verkehrsprognose bis zum Jahr 2051 pochte Wissing darauf, dass künftig der Verkehr insgesamt zunehmen werde. Dies treffe insbesondere auf den Transport von Waren und Gütern mit Lkws auf der Straße zu. Dieser steige laut dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) künftig um 54 Prozent.
Wissing versuchte damit offenkundig auch seine eigene Position zu stärken, um auf den – aus seiner Sicht – notwendigen schnelleren Bau neuer Autobahnen zu drängen. Unter Verbänden und bei Umweltschützern hat der Verkehrsminister schon lange den Ruf weg, nur halbherzig andere Verkehrsträger als das Auto – wie etwa die Schiene oder eben auch das Fahrrad – zu fördern.
Viele Verkehrsverbände, wie etwa die Allianz pro Schiene, aber auch der mitgliederstarke Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), kritisierten Wissing im Nachgang scharf. Der Minister sei „ohne verkehrspolitischen Gestaltungsanspruch“, hieß es von der Allianz pro Schiene.
Auch die Verkehrsprognose des Verkehrsministeriums halten die Verbände für unrealistisch. Darin heißt es etwa, dass der Radverkehr bis 2051 auf deutschen Straßen um rund 36 Prozent weiter zunehmen werde. Damit unterschätze das Verkehrsministerium den Radverkehr „kolossal“, kritisiert etwa der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) als einer der größten Interessenverbände von RadfahrerInnen.
Es braucht mehr Radwege
Selbst konservative Berechnungen wie die der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) würden prognostizieren, dass der Radverkehr sich bereits bis zum Jahr 2030 fast verdoppele, bemängelt der ADFC. Laut diesen Zahlen würde der Radverkehr hierzulande dreifach so schnell anwachsen, wie das die Zahlen des BMDV nahelegen. Das Ministerium rede „das Potenzial des Radverkehrs künstlich klein“, glaubt die ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider.
VerkehrswissenschaftlerInnen sind sich zudem durch die Bank einig, dass vor allem der Ausbau von Infrastruktur die Nutzung gewisser Verkehrsmittel grundsätzlich fördern könne. Dass Menschen das Auto auch mal zugunsten des Fahrrads stehen lassen, hängt somit maßgeblich auch damit zusammen, ob es genügend ausgebaute Radwege oder Stellflächen gibt. Oder anders gesagt: Welches Verkehrsmittel bevorzugt wird, hängt nicht einzig und allein von der prognostizierten Nachfrage der VerkehrsteilnehmerInnen ab.
Bestes Beispiel dafür sind auch die immer wieder gern als Vorbild herangezogenen Fahrradstädte in den Niederlanden, wie Utrecht oder Amsterdam. Die Radinfrastruktur wurde dort bereits vor Jahrzehnten gut ausgebaut und wird von ihren BewohnerInnen viel genutzt. In Amsterdam haben zu Beginn dieses Jahres zudem neue Fahrrad-Parkhäuser in der Nähe des Hauptbahnhofs eröffnet.
Das Bundesverkehrsministerium und Volker Wissing dagegen hätten die „Dimension des Themas noch nicht erkannt“, meint ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. Der neue Vorstoß von Wissing, künftig einen dreistelligen Millionenbetrag für Fahrradparkhäuser zur Verfügung zu stellen, sei zwar ein „positives Signal“, bleibe aber deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Zu wenig Geld
Zwar werden solche Abstellflächen unter ExpertInnen als sogenannte „Gamechanger“ bewertet, von denen es in Deutschland – abgesehen von einigen Einzelfällen – noch immer zu wenige gibt. Wie etwa in der nordrhein-westfälischen Stadt Münster, wo im Vergleich zu anderen Städten überproportional viel Rad gefahren wird. Oder in Berlin, wo neben einer S-Bahn-Station an das angrenzende Bundesland Brandenburg ein solches zweistöckiges Parkhaus für Fahrräder steht.
Bei den vom Ministerium errechneten noch ausstehenden 1,5 Millionen Stellplätzen im Umfeld von Bahnhöfen sei das dafür bereitgestellte Geld aber einfach viel zu wenig, findet der ADFC. Nötig seien dafür deutlich mehr Mittel in Höhe von mindestens 3 Milliarden Euro oder mehr, so lauten Einschätzungen des Verbandes.
Die eingeplanten Fördergelder von Wissing sollen vor allem in die Planung und den Bau von Fahrrad-Parkhäusern, Sammelschließanlagen, großen Fahrradparktürmen oder in die Umwidmung von ungenutzten Räumen im Bahnhofsumfeld fließen. Nicht zur Verfügung stehen werden sie dagegen für herkömmliche Fahrradständer, Abstellmöglichkeiten mit Überdachungen oder auch Doppelstockparker – von denen es hierzulande aber auch immer noch zu wenige gibt.
Wissings neuer Vorstoß zur Förderung des Radverkehrs gilt vielen Verbänden insgesamt als nicht ausreichend beim Ausbau der Radinfrastruktur.
Der Radplan des Koalitionsvertrags
Die Idee der Rad-Parkhäuser stammt noch von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) aus dem Nationalen Radverkehrsplan 3.0 vom Frühjahr 2021. Die Opposition, allen voran die CDU, kritisiert daher gerne, dass Wissing doch eigentlich bereits eine fertig ausgearbeitete Strategie der Bundesregierung in der Schublade liegen habe, die er nur noch umsetzen müsse, wenn er das Fahrrad in Zukunft wirklich mehr fördern will.
Dass der bestehende Radverkehrsplan fortgeschrieben werden soll, fordert allerdings nicht nur die Opposition. Auch die Ampelpartner, und auch Wissings Partei FDP, haben sich zu Beginn ihrer Amtszeit darauf geeinigt, auf den Radplan aufbauen zu wollen, und dies auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Enthalten ist darin aber nicht nur der Bau und die Planung von Fahrradparkhäusern, sondern auch der Ausbau des Radwegenetzes. Dafür sind laut BMDV in einem Förderzeitraum bis 2030 insgesamt rund 390 Millionen Euro vorgesehen.
Will der Bundesverkehrsminister also zeigen, dass mehr hinter seinem Vorstoß steckt, das Fahrrad als klimafreundlichen Verkehrsträger zu fördern, gibt es noch mehr Punkte, die aus dem Koalitionsvertrag dafür umgesetzt werden könnten.
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