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Editorial zum Dossier nach HanauOffene Grenzen

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Eine Allianz aus Wutbürgern und rechten Ideologen hat 2015 die Grenzen geöffnet – für bis dahin nicht Sagbares

Nicht zur Tagesordnung übergehen: Trauermarsch in Hanau am 23. Februar Foto: Nicolas Armer/dpa

R assisten und Rechtsextreme morden in Deutschland. Das hat nicht mit dem NSU angefangen und wird nicht in Hanau enden.

Sie morden in der Regel nicht ziellos. Der Terror richtet sich zuallererst und zuvörderst gegen diejenigen, die eine andere Hautfarbe haben oder andere Vorfahren als die selbsternannten Vollstrecker des völkischen Gedankens, andere religiöse Bindungen, vielleicht einen anderen Namen. Viele haben jetzt Angst, um sich, um ihre Freun­d:in­nen oder ihre Kinder, viele haben Wut.

Eine Woche nach den Morden von Hanau kommen in der taz Menschen zu Wort, die betroffen sind, die wütend sind, andere sind resigniert. Wir wollen, dass das gesehen wird, vielleicht sogar begriffen.

Auch gegen andere richtet sich der Terror. Politiker:innen wie Walter Lübcke, die dem Hass entgegentreten, Menschen und Institutionen, die seit Jahren gegen den stärker werdenden Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus kämpfen, Ak­ti­vis­t:innen von Fridays for Future, ungeachtet ihrer Herkunft oder Nachnamen, sie alle werden bedroht und sind reelle oder potenzielle Ziele. Die Bedrohungslage ist dabei indes nicht die gleiche. Es stehen nicht alle gleich im Fokus.

Offener und versteckter Rassismus

Jetzt wird mit altbekannten Rezepten jongliert, zu Recht. Jetzt drücken wir unser Entsetzen und unsere Trauer aus, zu Recht. Jetzt verweisen wir auf den offenen und versteckten Rassismus in Deutschland, zu Recht. Alles, was danach kommt, ist Ratlosigkeit. Dabei hätte man all das seit Jahren wissen können und handeln.

Nach Hanau – das Dossier

Wir wollen und wir können nach dem NSU, nach Kassel, nach Halle, nach Hanau nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir, die taz, können Rassismus, rassistischen Hass und Mord nicht als deutsche Norma­lität im Jahr 2020 hinnehmen. Wir brauchen jetzt Ideen, Taten, Gesetze, all das. Und eine gesellschaftliche Umkehr. Nicht weniger.

Wir müssen über offene Grenzen reden. Nicht Angela Merkel hat 2015 die Grenzen geöffnet. Es war eine unheilvolle Allianz aus Wutbürgern und rechten Ideologen, die 2015 die Grenzen geöffnet hat, für bis dahin in Deutschland nicht Sagbares und nicht Denkbares.

Heute stehen wir an einer kritischen Schwelle. In Chemnitz war zum ersten Mal zu sehen, wie Wutbürger:innen und Rechtsextreme offen gemeinsam aufgetreten sind. Später marschierten sie Seit an Seit in Berlin. Diese Mischung ist zu einer Bedrohung seit Jahrzehnten nicht gekannten Ausmaßes herangewachsen. Ein Tobias Rathjen fühlt sich heute als legitimierter Vollstrecker einer Geisteshaltung, in der selbst die Nazisprüche eines Björn Höcke ihren Platz haben.

Wir wollen und wir können nach dem NSU, nach Kassel, nach Halle, nach Hanau nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir, die taz, können Rassismus, rassistischen Hass und Mord nicht als deutsche Norma­lität im Jahr 2020 hinnehmen. Wir brauchen jetzt Ideen, Taten, Gesetze, all das. Und eine gesellschaftliche Umkehr. Nicht weniger.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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32 Kommentare

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  • Und jetzt setzen sie die absoluten Zahlen mal auf relativ zur Bevölkerung, und schon sind die Griechen Spitzenreiter.



    Und was sagt uns das dann?

  • 0G
    06313 (Profil gelöscht)

    Deutschland ist in Westeuropa Spitzenreiter in Sachen rechter Terror

    de.statista.com/in...alt-in-westeuropa/

    Traurig.

  • Die Autorin möchte Vorschläge:

    Ein Vorschlag von mir: streicht die Gelder für Veranstaltungen, wo sich Anti-Rassisten gegenseitig versichern, wie wichtig sie sind und schichtet sie um in Veranstaltungen, wo Menschen sich begegnen und Vorurteile abbauen können. Schüleraustausch zum Beispiel.....

    Einer der besten taz-Artikel der letzten Jahre war einer, wo eine junge Frau zum Schüleraustausch in den USA ausgerechnet in einer Trump-Hochburg gelandet war und ihre Erfahrungen beschriebe, wie auf beiden Seiten die Vorurteile geringer wurden.

    • @Dr. McSchreck:

      Stimmt, diesen Artikel habe ich auch in sehr guter Erinnerung.

  • Friedrich Merz in der Pressekonferenz, in der er seine Kandidatur zum CDU-Vorsitzenden bekanntgab, auf die Nachfrage eines Journalisten zu einer zuvor getätigten Äußerung von Merz:



    Journalist: "Schließe ich daraus richtig, dass Ihre Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus die stärkere Thematisierung von Clankriminalität, Grenzkontrollen usw ist?" Merz: "Die Antwort ist ja."

    Gottfried Curio in seiner Rede am Politischen Aschermittwoch der AfD: "Setze ein Zeichen für die Beendigung der Herrschaft des Unrechts, setze ein Zeichen an den Iden des März (...)"

    Da bleibt leider wenig Interpretationsspielraum.

  • Wenn ich mir so ansehe, was "früher" so alles problemlos gesagt werden konnte (Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze, Helmut Schmidt 1982) bin ich mir nicht so sicher, ob sich da wirklich was verschoben hat.

    • @Dan Rostenkowski:

      Doch. Und zwar nach links. Was natürlich stimmt ist das man Rechts (was immer da war) jetzt mehr sieht. Vorher wollte man das einfach nicht sehen.

  • Und ein weiterer Taz-Artikel, der einen Ruck fordert, aber keine Idee hat, wo der herkommen soll.

    Mehr von dem, was bisher lief, wird es wohl kaum bringen. Sonst gewinnt die AfD bald die Wahlen.

    Ich leiste mir mal einen Diskurs-Beitrag:

    Verdammt, versucht endlich, der AfD das Wasser abzugraben und die Menschen zu gewinnen.

    Statt die letzte rassistische Unreinheit nachzuweisen und ausrotten zu wollen, nehmt die breite Masse mit. Es gibt nur diese Menschen hier, wir haben keine anderen. Also müssen wir was draus machen.

    Der perfekte Multikulturalismus und das Weltbürgertum müssen notfalls noch eine Generation warten. Den Kapitalismus wird in den kommenden 20 Jahren wohl auch niemand abschaffen.

    Außerdem muss hier dringendst mal eine linke Identitätspolitik her.

    Eine, in der Selbstfindung nicht auf die Spitze getrieben wird, sondern eine Gemeinschaftsidentität, in der sich jeder wiederfinden kann.



    Nennt es, wie Ihr wollt: Heimat, Nation, Taz-Fanclub, ...

    Hauptsache, das Gemeinsame wird betont.

    Es muss eine Identität sein, in der sich Mahmoud und Mandy, Helmut und Ayse, Galina und Mammadou auf Augenhöhe begegnen können und bereit sind, einander Solidarität zu gewähren. Und notfalls kann noch jemand dazustoßen. Gerade weil man sich Solingen und Hanau, Halle und Lichtenhagen bewusst ist.



    (Niemand ist mit jemandem solidarisch, der ihm die ganze Zeit Vorwürfe macht.)

    Nur dann kann man den Einfluss der Höckes, Erdogans und der ganzen anderen Rechtsextremen an den nRand drängen.

    Mangold schreibt, Leben heißt Versehrtwerden. Recht hatte er. Und zwar für jeden.

    An dem allem könnte die Taz großen Anteil haben.

    Übrigens gab es 2015 noch eine Grenzöffnung. Die Medien haben die Grenzen des sachlichen, distanzierten Journalismus geöffnet. Für Pädagogik und den Jeder-der-kommt-ist-eine-Bereicherung-Rassismus. Ich befürchte, das gehört auch dazu.

    Viel Spaß beim Zerfleddern dieses Kommentars. Vielleicht kommt ja doch auch jemand mit einer besseren Idee.

    • @rero:

      Ich Stimme zu - gesellschaftliche Spaltung zu beenden heisst Kompromisse eingehen, nicht die eigene Seite immer schärfer und vehementer durchsetzen zu wollen.



      Das ist weitaus schwerer als selbstgefälliger Purismus, denn es erfordert Zugeständnisse an Andersdenkende und das mittragen von Politik, mit der man bestenfalls eingeschränkt einverstanden ist.

      Wer dazu aber nicht bereit ist, der will tatsächlich keine Heilung, der will Spaltung - und schafft so selbst die Gegner, die er dann meint immer radikaler bekämpfen zu müssen. Ein Teufelskreis, der immer schwerer zu durchbrechen ist, je länger man so weiter macht - auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

      Das Problem ist aber, dass gerade die Organisatoren der jeweiligen Extremen davon profitieren - sowohl von Anhängern der eigenen radikalen Sicht als indirekt auch von mehr und radikaleren Gegnern. Diese Gruppen sehen naturgemäß wenig Sinn darin Gegensätzen zu befrieden - sie würden damit nur Macht und Einfluß verlieren.

    • @rero:

      da gibt es NICHTS hinzuzufügen. Diese ewigen "bekämpft endlich den Rassismus"-Forderungen sind ziemlich wohlfeil, wenn man nicht sagt WIE.

    • @rero:

      Linke Identitätspolitik existiert längst. Man könnte sogar sagen, dass die Linke zu einem reinen Identitätsprojekt geworden ist, nachdem formulierbare Utopien abhanden gekommen sind.

      Nur leider sind die linken Identitätserzählungen alle antagonistisch, exklusivistisch und elitär: die Aufgeklärten, eingeweihten, avantgardistischen Bescheidwisser gegen die tumbe Masse. Die heldenhaften Rebellen gegen den allmächtigen Staat. Die moralischen Edelmenschen gegen das Reich des Bösen.

    • @rero:

      Kluge Worte, so kann man zu Solidarität kommen und Extremismus bekämpfen.

  • "Die AfD hat bundesweit ca. sechs Millionen Wähler. Sind das alles Wutbürger?"

    Wie würden Sie die nennen, die eine Partei wählen, in der Höcke den Ton angibt? Sehenden Auges?

    "Merkel hat meiner Ansicht nach die Republik in eine Staatskrise geführt [...]"

    Rassisten sind Rassisten. Das ganze Frau Merkel in die Schuhe schieben zu wollen ist billig.

    Zumal Sie überall auf der Welt dasselbe Phänomen beobachten können: Alt-Right in den USA, Brasiliens Bolsonaro, Front National in Frankreich, Indiens "hindu first", etc.

    Alles Merkel?

    Machen Sie doch die Augen auf!

    • @tomás zerolo:

      "Wie würden Sie die nennen, die eine Partei wählen, in der Höcke den Ton angibt?"

      Höcke ist Kubitscheks Spielfigur. Höcke hat inzwischen selbst in seinem "Flügel" weniger zu sagen als Kalbitz. In der Partei gibt er defitiniv nicht den Ton an. Chefstratge ist immer noch Gauland. Warum die AfD gewählt wird, hat mehrere Gründe. Rechsextremismus und Rassismus spielen hier eine Rolle, Wut auch, aber die gesamte Wählerschaft der AfD decken Sie damit nicht ab.

    • RS
      Ria Sauter
      @tomás zerolo:

      Frau Merkel hat sich außer mit dem Satz:



      "Wir schaffen das" nicht weiter um die Situation 2015 gekümmert.



      Die Hauptlast hatten die Kommunen und die Menschen, die sich z.T. ehrenamtlich einsetzten.



      Das ist auch in den anderen Ländern so, die hier aufgeführt wurden.



      Die Politiker haben mit den Folgen ihres Tuns nichts am Hut. Sie sind ja nicht betroffen. Haben eine gesichertes Einkommen, müssen sich nicht mit anderen Ausgebeuteten um Minijobs bewerben, haben keine Not eine Wohnung zu finden ,müssen nicht um Sozialleistungen streiten.



      Das haben nur diejenigen, im alltäglichen Überlebenskampf.



      Diejenigen sind gegen Flüchtlinge und Einwanderer, da es für sie Konkurrenz bedeutet. Hinzu kommen diejenigen, denen diesem Situation Nutzen bringt und die an keiner Lösung interessiert sind. Die Industrie, die Billiglöhner begeistert begrüßt.



      Merkel als Symbol dieser Politik trägt schon eine politische Verantwortung. Sie hätte ihren Fokus auch auf die Menschen richten sollen, die ich zuvor genannt habe.



      Ich bin ehrenamtlich tätig und spreche aus den Erfahrungen mit vielen Menschen, die tagtäglich kämpfen müssen und sich teils politisch nicht wahrgenommen fühlen.



      Natürlich haben sie das Programm der AfD nicht gelesen, genausowenig wir das einer anderen Partei. Sie wären die Ersten, die durchs AfD Raster fallen würden. Glauben sie aber nicht.



      Die Blödzeitung müsste tagtäglich das AfD Programm auf der Titelseite haben, Das würde vielleicht etwas ändern und vor allen Dingen eine andere Politik.

    • @tomás zerolo:

      Einige von uns hatten die Augen schon 2015 offen, und sogar schon davor; Einwände, Bedenken oder gar Alternativen zu der damals von Merkel befohlenen Vorgehensweise wurden mit der Nazikeule niedergeschlagen. Als die AfD aufkam und verschiedene Themen - bewusst überspitzt - zum Tagesthema machte - hat sich niemand inhaltlich damit beschäftigt sondern immer nur "Nazis raus" gerufen. Monate/Jahre später haben sich dann leider deren Prognosen bewahrheitet. Dass sich die AfD größtenteils radikalisierte war zwar gut für alle anderen Parteien und dem linken Spektrum (Super-Ideologiefeind, an dem man sich abarbeiten kann), die Probleme blieben jedoch, inklusive dass die Volksparteien gewisse Themen einfach nicht angenommen sondern ignoriert haben (z.B. innere Sicherheit, Sozialleistungsmissbrauch). Das hat leider der AfD selbst in ihrer neuen Radikalität noch Zulauf beschert.



      Ich bin nach wie vor überzeugt, dass ein unter einer Law-and-Order-CDU/CSU eine AfD nur ein Treppenwitz der Geschichte geblieben wäre.

      • @Lara Crofti:

        "Ich bin nach wie vor überzeugt, dass ein unter einer Law-and-Order-CDU/CSU eine AfD nur ein Treppenwitz der Geschichte geblieben wäre."

        Richtig und deshalb hätte ich kein Problem mit Merz als Kanzlerkandidat. Das würde der AfD auf jeden Fall schaden und der SPD ggf. wieder mehr Profil geben. Quasi ein zurück in die Positionen der Volksparteien in den 80/90er Jahre.

      • @Lara Crofti:

        So ist es. Mangelnde offene Debatten führten zur derzeitigen Lage. Mein Eindruck ist, dass der Aufstieg der AfD mit den Geheimverhandlungen zu ttip um 2012/2013 einherging. Ttip wurde als 'alternativlos' dargestellt, wobei die Geheimniskrämerei sicher kein Vertrauen erweckt hat. Ich kenne einige Menschen, die SPD oder Grün gewählt hatten und dann zumindest mit der ttip-kritischen Partei AfD liebäugelten.

      • @Lara Crofti:

        Ach echt? Welche Prognosen der Neubraunen von der AfD haben sich denn bewahrheitet? Ich kenne keine, aber Sie werden ja bestimt ein paar nennen können.



        Eine weitere, vom äussersten rechten Rand immer wieder gerne kolportierte Lüge ist die Behauptung, Merkel habe 2015 irgend etwas befohlen.



        Höcke war Gründungsmitglied der AfD, die Behauptung von der Radikalisierung ist also ebenfalls reine Legende.



        Und "Sozialleistungsmißbrauch" verursacht pro Kopf und Jahr hierzulande einen Schaden von 82 Cent. Vollkommen irrelevante Peanuts, die vom rechten Rand zum in diesen Kreisen unvermeidlichen Treten nach Unten benutzt werden.



        Ebensowenig gibt es hierzulande relevante Probleme mit der inneren Sicherheit, wie alle Statistiken beweisen. Abgesehen natürlich von den rechtsextremstischen Gewalttaten, die parallel zum Erstarken der AfD explodierten. Was es gibt ist eine - vermutlich rechtsradikal motivierte - Lügenkampagne, die das Gegenteil behauptet

    • @tomás zerolo:

      Haben Sie den Artikel überhaupt gelesen? Wo wird denn Angela Merkel die Schuld gegeben?

  • Die AfD hat bundesweit ca. sechs Millionen Wähler. Sind das alles Wutbürger? Wann ist man eigentlich ein Wutbürger? Waren die Grünen und ihre Wähler vor 40 Jahren nicht auch Wutbürger im Rahmen der damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse?

    Die AfD ist auf jeden Fall ein Produkt der Bundespolitik der letzten zehn Jahre. Sie ist ein Kind der Merkel- und Groko-Ära bzw. den damit verbundenen politischen Entscheidungen und wäre unter normalen Umständen nie so groß geworden, vor allem nicht so rasend schnell. Die Politik der etablierten Parteien hat einen größeren Anteil am Erfolg der AfD, als rechte Ideologen. Deren Wirkung wird vollkommen überschätzt. Kubitschek & Co. erreichen oder beeinflussen nicht sechs Millionen Wähler, höchstens einen kleinen Bruchteil davon. Was mich verblüfft: das fand alles in einer Phase von großer wirtschaftlicher Prosperität und hoher Beschäftigung statt, wie man sie seit den Wirtschaftswunderjahren nicht mehr erlebt hat. Normalerweise trumpfen solche Parteien bei wirtschaftlichen Krisen auf, so denkt man. Daher frage ich mich: was passiert politisch, wenn wir wieder mal in eine Rezession rutschen wie nach der Ölkrise 1973 mit Massenarbeitslosigkeit, Industrieabbau, Strukturwandel und schwachem Wachstum? Im Prinzip dauerte diese Phase bis zur Einführung von Schröders Agenda 2010, also 30 Jahre lang.

    Auch wenn es hier viele nicht gerne hören: Merkel hat meiner Ansicht nach die Republik in eine Staatskrise geführt und die Zukunft unseres Landes ist ungewiss.

    • @Jan:

      Die AfD ist keineswegs "Produkt der Bundespolitik der letzten zehn Jahre", die AfD gleicht ganz schlicht die politische Landschaft Deutschlands an den Rest Europas an. Rechtsextremismus bzw. ein Faible für Faschismus ist kein Tabu mehr, so einfach ist das. Das die Flüchtlinge ab 2015 beim Erstarken der AfD eine Rolle gespielt haben, ist nicht zu bestreiten, aber die Langzeit-Studien von Prof Heitmeyer beweisen nun mal, dass in D 15-20% der Bürger rechtsextremistisch sind. Und die AfD gibt diesen Leuten eine politische Heimat.



      Der entscheidende Punkt dabei ist das - inszenierte - Image als konservative Partei. Bei rechtsextremistischen Inhalten. Oder: Inhaltlich NPD, aber imagetechnisch CDU. Deshalb legt Zielgruppe auch so viel Wert auf die (nicht existierende) "Bürgerlichkeit" der AfD. Und deshalb ist es diesen Leuten so wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie die AfD TROTZ Höcke, Kalbitz & Co. wählen. Und nicht - was der Realität entspräche - WEGEN dieser Leute.

    • @Jan:

      Der Erfolg der AFD ist ganz sicher ein Resultat der Politik der letzten Jahre.



      Aber nicht weil die "Grenzen" aufgemacht wurden, sondern weil die wirtschaftliche Entwicklung der (mindestens) letzten 10 Jahre eben nicht rosig war. Rosig war sie für die Exportwirtschaft und in offiziellen Kennzahlen, aber der Erfolg hat sich nicht in steigenden Löhnen niedergeschlagen, sondern im Sparen.



      Die Diskrepanz zwischen Jubelmeldungen über die brummende Wirtschaft und das tägliche Erleben großer Kreise der Menschen stehen im Widerspruch. Die Mangelwirtschaft in öffentlichen Bereichen ist auch tägliche Realität. Latent rassistisch waren die 25% vielleicht schon vorher, aber das das jetzt nach außen gekehrt wird ist neu. In einer Situation in der offiziell alles brummt, das eigene Erleben aber dem entgegen gesetzt ist, sucht man Schuldige (ich rede hier nicht nur von prekären Verhältnissen, ich erlebe viele Freiberufler die erschreckend frustriert sind und gefährlich nahe an der AFD)



      Insofern ist die Politik Schuld, aber nicht weil sie die "Grenzen aufgemacht " hat.

      • @nutzer:

        Zitat: "Insofern ist die Politik Schuld, aber nicht weil sie die "Grenzen aufgemacht " hat."



        Nein. Menschen sind stets selbst für ihre Äußerungen, Entscheidungen und Handlungen verantwortlich.

      • @nutzer:

        Zitat: "Aber nicht weil die "Grenzen" aufgemacht wurden, sondern weil die wirtschaftliche Entwicklung der (mindestens) letzten 10 Jahre eben nicht rosig war. Rosig war sie für die Exportwirtschaft und in offiziellen Kennzahlen, aber der Erfolg hat sich nicht in steigenden Löhnen niedergeschlagen, sondern im Sparen."



        Ein wirtschaftlicher Engpass ist keine Rechtfertigung für Rassismus, Faschismus und Terrorismus.

    • @Jan:

      Mag sein, dass die Grünen mal wütende Bürger waren. Der klarste Unterschied zu heute ist aber, dass die Ziele der Grünen immer idealistisch waren. Die heutigen Wutbürger hingegen sind Ausdruck nicht nur eines brutalen Egoismus, sondern auch Ausdruck eines immer mächtiger werdenden Materialismus. Man hat ja mit einigem Recht bisher immer geglaubt, dass Wohlstand den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern und Rechtsradikalismus verhindern würde. Daran scheint aber etwas nicht mehr zu stimmen. Entweder funktioniert die Verteilung von Wohlstand nicht mehr, oder kein Wohlstand reicht noch um das verlorene Vertrauen in die Zukunft abzufedern. Auf jeden Fall aber hat der Materialismus den gesellschaftlichen Konsens und die Bereitschaft zu Solidarität weitgehend ausgebrannt.

      • @Benedikt Bräutigam:

        Aus dem von Ihnen gelieferten Grund geht es genau nicht um Materialismus.

        Den modernen Aufrührern geht es um Identität und Partizipation. Und um Sicherheit, auf die Zukunft vertrauen zu können.

        Mit Wohlstand lösen Sie da gar nichts.

    • @Jan:

      Die wirtschaftliche Prosperität in den letten JAhrzehnten ist sehr ungleich verteilt.



      Es gibt einen steigenden Bodensatz von Menschen die durchs Sieb fallen.

      Radikalisierung setzt nicht erst ein, wenn Menschen durch das Raster fallen, sondern schon dann, wenn sie Angst davor haben

      Und es gibt natürlich eine Wegbereitung in manchen Parteien indem man glaubt, durch markige Worte und Gesten Sympatien zu gewinnen.



      Das ist in weiten Linien ein Fehlschluss.



      Gedachtes wird sagbar.



      Gesagtes wird von anderen aufgegriffen und weitergesponnen.

      NAtürlich sind nicht sechs Millionen völlig radikal.



      Ich glaube aber nicht, dass das alles nur Menschen sind die gedankenlos nachplappern.



      Sie wollen auch nachplappern.



      Tanagra hat recht.



      So wurde schon immer gedacht.

      Für mich ist Hartz 4 der Punkt, an dem die Gesellschaft gekippt ist.



      Und es wid erst zu stoppen sein, wenn dieses unsägliche Gesetz. dass MAnschen ins bodenlase fallen lässt überwunden wird.

      Die weitere Entwicklung der Arbeitswelt (Stellenabbau in weiteren grossen Bereichen, macht ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Zukuft unumgänglich.

      WIr sehen doch jetzt schon wieder, dass die Subventionen in die Energiekonzerne und nicht direkt in die Menschen gesteckt werden.



      Das wäre billiger .

      Grosse Teile der Politik, und ich meine nicht nur CDU/CSU und FDP sondern genauso die alte Tante SPD, stecken lieber Geld in die Aufrechterhaltung alter Grosskonzernstrukturen als zukunftsweisende Techniken in idealer Weise dezentral.

      Doch der wirtschaftliche Aspekt ist nur einer.



      Es gibt eben weite Teile in der GEsellschaft die eine andere Moral pflegen.

      die bei JAn genannten 6 Millionen sind zum Glück trotz allem nur ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung.

      Mein Ziel ist es daran mitzuwirken diese Majorität so laut und beherrschend zu machen, dass die Radikalen Rechten wieder in ihren Löchern verschwinden.



      Dass es keine mehr gäbe wäre eine iIlusion:



      Wir waren uns zu lange sicher und haben das Erstarken verschlafen.

    • @Jan:

      Genau das frage ich mich auch immer wieder. Zur Zeit läuft es wirtschaftlich noch ganz passabel, das ist ein Wahnsinnsglück.

      Was wird denn, wenn es mal wieder eine knallharte Rezession gibt?

      Bei Merkel bin ich allerdings anderer Meinung.

  • Oh Mann... soviel Pessimismus ich weiß garnicht was ich sagen soll. Ich verstehe die Gefühle aber statistisch sind wir alle gleich terrorismusgefährdet. Wir müssen einfach stringent auftreten gegen alle die unsere Demokratie gefährden.

    • @Kenni303:

      Ich kann in dem Artikel keinen Pessismus erkennen - -alleine schon, weil es eine Zustandsbeschreibung und keine Progrnose ist.

      Aber wenn es so einfach ist: Bitte mehr Stringenz!

    • @Kenni303:

      Oh man... trifft es ansich ganz gut.



      Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass Ihre "Statistik" eben leider nicht stimmt. Ich habe auf die schnelle keine Statistik gefunden, die die Opfergruppen terroristischer Anschläge in Deutschland anteilig ausweist. Die Statistische Gefahr Opfer eines Anschlags rechtsradikaler zu werden ist allerdings eben ungleich höher, wenn man Migrationshintergund hat oder sich entschieden gegen Nationalisten stellt. Da sind Menschen faktisch, also öffentlich im Internet ausgesprochen von Leuten bedroht worden, die Sie anschließend ermordet haben. Solche Drohungen erhalten Linke und/oder Menschen mit Migrationshintergrund oft täglich an sie persönlich gerichtet, Ermittlungserfolge der Behörden sind hier mau, das Problem wird gerne kleingeredet.



      Die Terrorgefahr ist für diese Menschen natürlich weit höher, als für unpolitische Menschen, da der Hass (die Anschlage) sie als Person zum Ziel hat. Sie können natürlich auch noch Opfer eines islamistischen Anschlags werden, wie jeder andere auch, da diese meist wahllos töten. Also addiert sich hier diese unwillkürliche statistische Unsicherheit mit einer wesentlich konkreteren größeren Gefahrenlage auf. Auch wenn es sich tröstend anfühlen mag: wir sind nicht alle im gleichen Maße in Gefahr.