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Nach dem Terror in HanauAlle Akten auf den Tisch

Die hessischen Grünen müssen anfangen, ihre Beteiligung an der Landesregierung dafür zu nutzen, rechtsextreme Strukturen aufzudecken.

Ein Projektil nach dem Anschlag in Hanau

Frankfurt am Main taz | „Hessen ist sicher!“ – mit dieser Botschaft hatte Innenminister Peter Beuth (CDU) am vergangenen Dienstag die Plenarwoche des hessischen Landtags eröffnet. Am Tag darauf ermordete in Hessen ein Rechtsextremist acht junge Menschen, erschoss seine Mutter und anschließend sich selbst. „Niemand soll davor Angst haben, seine Standpunkte offen zu vertreten. Jeder, der bedroht wird, bekommt von unseren Sicherheitsbehörden Schutz“, so die Zusage des Innenministers, die sich tags drauf als trügerisch erweisen sollte.

Auch die in Hessen mitregierenden Grünen feierten am Dienstag „die beste Kriminalstatistik aller Zeiten“. Weniger Straftaten, eine höhere Aufklärungsquote – die grüne Abgeordnete Eva Goldbach fand nur lobende Worte für den Minister. „Schlecht für die Opposition!“, höhnte sie und wurde mit demonstrativem Beifall der Regierungsparteien belohnt.

Dass sich die Zahl der rechtsextremen Straftaten binnen Jahresfrist fast verdoppelt hatte? Dass rechte Umtriebe in der hessischen Polizei seit Monaten für Schlagzeilen sorgen? Es sei gleichwohl „ein erfolgreicher Start in ein sicheres Jahrzehnt“, so die Bilanz des Ministers.

„Abgekühlte“ Neonazis?

Einmal mehr gab es in dieser Debatte keine Antworten auf die bohrenden Fragen der Opposition nach möglichen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden vor dem Mord an ihrem früheren CDU-Landtagskollegen, dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Ein einschlägig vorbestrafter Neonazi konnte vom Radar der Behörden verschwinden? Als „abgekühlt“ eingestuft, obwohl ihn doch der scheidende Präsident des Verfassungsschutzes „brandgefährlich“ genannt hatte?

Am Tatort in Hanau bekannte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, die Grüne Claudia Roth: „Wir haben ein Problem mit Rassismus und Rechtsterrorismus; das große Problem ist kleingeredet worden!“ An ihrer Seite gedachten grüne Landtagsabgeordnete der Opfer. Sie haben sich inzwischen dazu bekannt, dass es ein Fehler war, sich bei der Abstimmung über die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag aus Rücksicht auf den neuen Koalitionspartner, die CDU, enthalten zu haben.

Doch auch in sechs Regierungsjahren haben die Grünen nicht dafür gesorgt, dass Parlamentarier und Öffentlichkeit Zugang zu allen NSU-Akten bekamen. Die Geheimhaltungsfrist für ein zentrales Dossier wurde von 120 auf 30 Jahre herabgesetzt. „Die Grünen im Bund haben viel für die Aufklärung des NSU-Terrors getan“, sagte nach den Morden von Hanau Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, „doch die hessischen Grünen haben ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit.“

Alle Akten gehören auf den Tisch, ungeschwärzt, sodass damit gearbeitet werden kann. Es muss ohne Rücksicht auf handelnde Personen geklärt werden, wie der mutmaßliche ­Lübcke-Mörder vom Schirm der Behörden verschwinden konnte. Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, den es geben wird, darf nicht im taktischen Geplänkel zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien untergehen. Dafür könnten die erstarkten Grünen sorgen.

Den Geldhahn zudrehen

Der Mörder von Hanau hatte vor seiner Tat im Internet krude Manifeste und Drohungen abgesetzt. Es ist zu klären, wie Sicherheitsbehörden schneller auf solche Zeichen reagieren können. Das hessische Kultusministerium sieht keine Handhabe, den AfD-Politiker Björn Höcke aus dem Staatsdienst zu entlassen. Dass dieser Faschist im Zweifelsfall in den hessischen Schuldienst zurückkehren und Kinder unterrichten darf, ist unerträglich.

Die Finanzbehörden sind dabei, demokratischen Organisationen der Zivilgesellschaft das Wasser abzugraben, indem sie ihnen die Gemeinnützigkeit aberkennen. Gleichzeitig streicht die AfD aus der staatlichen Parteienfinanzierung dreistellige Millionenbeträge ein. „Der Staat ernährt Verfassungsfeinde mit unseren Steuern“, formuliert Rechtsanwalt Daimagüler. Das Bundesverfassungsgericht hat Wege aufgezeichnet, wie man verfassungsfeindlichen Parteien den Geldhahn zudrehen kann. Notfalls müssen Gesetze geändert werden.

Die Grünen sollten mit dem Rückenwind guter Ergebnisse bei Wahlen und Umfragen Druck machen. „Den Worten müssen Taten folgen!“, so die Forderung Serpil Temiz’, der Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, auf dem Friedhof in Hanau.

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4 Kommentare

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  • Die Grünen werden wohl selber kein Interesse haben, die Akten aufzudecken

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Seehofer hat's ja heute wieder gesagt, alles im Blick halten damit wir auch morgen noch wissen wie die Lage; Ai wei wei hat wohl doch recht; das richtigste was ich tun konnte war fb und co abzuschalten; welche hatz kriegen wir jetzt, das Aufdecken wieviel die Geheimdienste von fb profitieren oder bieten sundberg und zuckerberg jetzt Zusammenarbeit mit der Polizei aller Länder an; warum nur dulden und tolerieren es die politischen Parteien, dass solche Leute alimentiert werden. Muß deren Ego gepflegt werden, damit nichts Schlimmeres passiert? Na hoffentlich reitet die Presse jetzt nicht allzulange auf dem Göbbels Zitat herum, dass ist wohl eher als ein Signal für die EU Politik zu verstehen; sich über Redezitate aufzuregen ist nur eine Schleifenschau um nichts zu ändern, dieser Wortgebrauch aus den 30 igern stellt nicht die Gefahr dar

  • "Strukturen aufdecken" Und wie soll das jetzt praktisch umgesetzt werden? Abschnittsbevollmächtiger, Blockwart, sowas in der Art?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Innenminister Beuth mal wieder in seiner bevorzugten Rolle: routiniert als bewährte Plattitüdenschleuder. Wie wenig sicher Hessen ist, haben wir zweimal innerhalb weniger Tage erlebt.

    Parteien den Geldhahn zudrehen, deren Verfassungsfeindlichkeit offengelegt wurde, ist das Eine. Instanzen, die für Sicherheit sorgen sollen - und das Gegenteil bewirken - gerichtlich dazu bringen, alle relevanten Akten und Fakten auf den Tisch zu legen, das Andere.

    Getrennt vorgehen, gemeinsam schlagen. Auf gut deutsch: Arbeitsteilung wie in jedem schlechten Krimi - auch den hessischen.

    Uffbasse.