Paula Irmschlers Roman „Superbusen“: Innenansichten aus Chemnitz
Paula Irmschler erzählt in ihrem Romandebüt „Superbusen“ vom Alltag mit Nazis im Osten, der Waffe der Ironie – und der Kraft der Musik.
Hitlergrüße, Hetzjagden, Angriffe: seit dem 26. August 2018 schaut Deutschland auf Chemnitz. Auch internationale Medien wie die New York Times berichten von den Naziaufmärschen und Ausschreitungen in der sächsischen Stadt. Plötzlich ist Chemnitz überall. Einen Tag später gibt es einen ersten kleinen Gegenprotest und den Schock: Die Nazis sind in der Überzahl, sie greifen an. An dieser Stelle setzt Paula Irmschlers Romandebüt „Superbusen“ ein.
Für die Protagonistin Gisela ist Chemnitz eine Hassliebe: Einerseits ist die „Stadt mit den drei o“ – Korl-Morx-Stodt – grau in grau statt bunt und vielfältig, andererseits ist es der Ort, an dem Gisela im WG-Rausch lebt, Freundschaften schließt, die Band Superbusen gründet. Für sie wird Chemnitz zur Spielwiese, auf der sie sich ausprobieren kann.
Gisela kommt aus Dresden. Sie will dort weg, aus dieser Stadt, in der alles schön sein muss und alle Einwohner*innen alles schön finden müssen. Also geht sie nach Chemnitz. Aber auch die alte Industriestadt, früher das „Manchester des Ostens“, lässt sie schließlich hinter sich. Als sie im August 2018 zurückkommt, lebt sie seit sechs Monaten in Berlin.
Weggehen aus Ostdeutschland und was das mit denjenigen macht, die bleiben – auch das ist ein Thema von „Superbusen“. Wenn die Zurückgelassenen nicht das Gefühl von „#Wirsindmehr“ haben, sondern sich mit den Nazis der Nachbarschaft irgendwie arrangieren müssen. Arrangieren im Sinne von sich routiniert vor ihnen verstecken – oder mit Burn-out den Kampf gegen Nazis andere kämpfen lassen. Arrangieren im Sinne von Alltag.
Irmschler erklärt nicht, Irmschler beschreibt
Aus ostdeutscher Perspektive könnte das Buch furchtbar schiefgehen. Es ist zu verführerisch, alles erklären zu wollen, Stempel zu vergeben. Mehr Nazis im Osten wegen mangelnder Demokratieerfahrung und so weiter. Aber Irmschler erklärt nicht, Irmschler beschreibt. Beschreibt das Leben einer Frau in ihren Zwanzigern, heute in Deutschland. Es geht um Sexismus, Abtreibung, Liebeskummer, den Umgang mit dem eigenen Körper, Lieblingsmusik, Freundinnenschaft.
Irmschler beschreibt auch das Aufwachsen in Ostdeutschland, wo „eine aus dem Westen“ noch Ende der Neunziger eine Besonderheit war. Wo die DDR, wenn auch quasi seit Geburt nicht mehr existent, in den Erzählungen dauerpräsent ist: „‚Zu DDR-Zeiten war alles noch so und so.‘ Und dann gab es einen Schnitt, und dann muss alles ganz anders gewesen sein. ‚Nach der Wende‘ passierte dann auch wieder Unglaubliches. Was auch immer diese Wende war.“
Irmschler ist 1989 in Dresden geboren und zog 2010 für ihr Studium nach Chemnitz – später zog es sie nach Köln, wo sie als Garderobiere arbeitete – ihr Fachwissen kommt im Buch zum Einsatz und ergibt eine Art Wie-verhalte-ich-mich-beim-Sachen-Abgeben-Knigge. Sie arbeitete als freie Autorin für Jungle World, Missy Magazine und Musikexpress, als Kolumnistin für das Neue Deutschland, heute ist sie Titanic-Redakteurin. Den nötigen Humor dafür hat sie. Er strömt aus jeder Seite ihres Buchs. Nicht in Form von „brüllend komisch“, sondern von ironisch.
Überhaupt ist Ironie im Buch eine Taktik, Sachen gut zu finden, von denen man denkt, sie gingen mittlerweile gar nicht mehr. Etwa Musik aus den 90ern von *NSYNC bis zu den Vengaboys, zu denen die Protagonist*innen nur noch „ironisch tanzen“ können. Oder sie finden schlechtes Essen ‚ironisch lecker‘ und benennen es wie einen Klassiker: Nudeln Sassonia, ein „Arme-Leute-Ossi-Essen“.
„Superbusen“ ist auch ein spätes Coming-of-Age-Buch, die Story einer Frau, die zu sich selbst findet
Die Ironie zwischen sich und ihrem Leben weicht bei Gisela schließlich stückchenweise auf. Und so ist „Superbusen“ ein spätes Coming-of-Age-Buch, die Geschichte einer jungen Frau, die zu sich selbst findet. Leider ist die Entwicklung etwas distanziert. Von Giselas Kindheit und Jugend in Dresden erzählt Paula Irmschler in der Vergangenheit, aber auch von der Zeit in Chemnitz. Es gibt nur wenig Gegenwart. So ist die Geschichte etwas fern.
Paula Irmschler: „Superbusen“. Ullstein Verlag, Berlin 2020, 320 Seiten, 20 Euro.
Lesungen: 3. 3., Berlin, Heimathafen Neukölln; 4. 3., München, Muffathalle; 7. 3., Kulturzentrum Merlin, Stuttgart; 8. 3., Café Haag, Tübingen.
Alle Termine unter www.ullstein-buchverlage.de
Andererseits: Manche Diskussionen ändern sich schlicht nicht. So beschreibt das Buch die Reaktionen auf das „Wir sind mehr“-Konzert und die Forderung, es dürfe nicht zu linksextrem zugehen. Irmschler kommentiert die Bedenkenträger*innen: „Was für Arschlöcher.“ Anderthalb Jahre später wurde in Thüringen kurzzeitig ein Mann mit den Stimmen von AfD, FDP und CDU Ministerpräsident und rechtsextremer Terror hat zehn Menschen in Hanau das Leben gekostet.
„Superbusen“ erzählt die unerträgliche Schwere des Seins in Deutschland, warum „3 Millionen“ von Bosse der perfekte Soundtrack für den Schmerz ist und warum Musik eigentlich eine gute Antwort auf ziemlich viele Fragen ist.