Antirassistische Wirtschaftsbosse: Demokratie als Nice-to-have
Ein Video mit leeren Supermarkt-Regalen zeigt, wie es wäre, wenn die AfD das Sagen hätte. Das wirtschaftliche Argument gegen Rassismus ist fragwürdig.
J etzt kann es endlich mal gut sein. Seit Tagen ist das Internet voll damit, wie toll Edeka ist. Das alles wegen eines sechs Jahre alten auf Instagram wiederverwerteten Werbevideos mit leeren Supermarkt-Regalen, die zeigen sollen, wie es wäre, wenn die AfD das Sagen hätte. „Wir lieben Vielfalt und stehen auf gegen Rechts“, ist die Message. Schön und gut. Aber das ganze Antifa-Washing der Wirtschaft beginnt wirklich zu nerven.
Seit der Correctiv-Recherche stehen Manager und Lobbybosse vor Journalisten Schlange, um ihren Take zu bringen, wie wichtig Vielfalt und wie gefährlich die AfD sei. Um nur zwei Beispiele zu nennen: „Ich will kein Land, in dem es darauf ankommt, wo deine Großeltern geboren sind, ob du in diesem Land willkommen bist oder nicht“, sagte dieser Tage der Chef des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm. „Wir müssen laut und deutlich sagen: Hass und Ausgrenzung haben bei uns keinen Platz“, erklärte Siemens-Energy-Chef Christian Bruch.
Bitte nicht falsch verstehen: Es ist erstmal gut, wenn Vertreter*innen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden klare Worte gegen die AfD finden. Es ist besser, sie treten ein für Toleranz und Vielfalt, als dass sie es nicht tun. Ihre Statements sind sicherlich auch ehrlich und ernst gemeint. Sie sind auch nicht neu. Als Alice Weidel im Mai 2018 im Bundestag von „Kopftuchmädchen“ und „Messermännern“ sprach, twitterte der damalige Siemens-Chef Joe Kaeser: „Lieber ‚Kopftuch-Mädel‘ als ‚Bund Deutscher Mädel‘. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt.“
Bloßer Opportunismus der Wirtschaft
Die Wirtschaftsbosse wissen: Ein Wahlsieg der AfD würde dem Standort Deutschland massiv schaden. Kaum eine Ökonomie profitiert von einer offenen Weltwirtschaft so sehr wie die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Für sie wäre ein Dexit, ein Austritt Deutschlands aus der EU, wie ihn die AfD will, pures Gift. Und vor allem: Im Jahr 2022 lebten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Das ist fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Würden die Massenabschiebungsfantasien der neuen Nazis Wirklichkeit, würden den Unternehmen Millionen an Arbeitskräften fehlen.
Und genau hier liegt das Problem, wenn sich Wirtschaftsbosse gegen die AfD aussprechen: Es bekommt schnell eine utilitaristische Wendung, dass Rassismus und Faschismus falsch seien, – vornehmlich – weil sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. So fallen auch mal Sätze zur AfD wie jener von der Präsidentin des Autoverbandes VDA, Hildegard Müller: „Das ist nicht nur eine Bedrohung für unsere Demokratie, es ist eine Bedrohung für unseren Standort.“ Nach dem Motto: Demokratie ist nice to have, aber erstmal kommt die Wirtschaft. Als ob Rassismus und Faschismus nicht an und für sich scheiße sind – egal wie gut oder schlecht sie für die Unternehmen sind.
Das Argument wird auch nicht besser, wenn Ökonomen wie der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, auf eine historische Verbindung zwischen Demokratie und Kapitalismus verweisen: „Demokratie und Marktwirtschaft entsprangen historisch denselben Wurzeln am Beginn der europäischen Moderne vor über 200 Jahren, auf Dauer können sie auch nur gemeinsam gedeihen“, sagte Hüther. Leider fallen einem da von den Sklavenschiffen nach Amerika, über Kinderarbeit in Manchester bis zu Rana Plaza genügend Beispiele ein, dass die Geschichte des Kapitalismus alles andere als humanistisch ist.
Eine Bitte also ans Edeka-Social-Media-Team: Bitte überlegt euch genau, wie und wann ihr was auf Instagram postet. Kleiner Tipp: Vielleicht räumt ihr mal nicht nur im Werbeclip die Regale leer, um ein Zeichen gegen Rechts zu setzen, sondern tatsächlich auch in euren Filialen. Das würde euch zwar einen Teil eures Umsatzes und Profits kosten. Dafür würdet ihr dann aber auch zu recht gefeiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten