Antirassistische Sprache: Schwarz ist keine Farbe
Sprache prägt das Bewusstsein: „Schwarz“ und „weiß“ sind antirassistische Bezeichnungen, die über Macht sprechen, nicht über Hautfarben.
Menschen, die von Rassismus betroffen sind oder sich davon betroffen fühlen, bezeichnen sich selbst oft als Person of Color (PoC).
Der Begriff kommt aus dem angloamerikanischen Raum und stammt aus der Kolonialzeit. Erste Verwendungen sind laut Oxford Dictionary für das Ende des 18. Jahrhunderts dokumentiert. Der Begriff geht möglicherweise auf das französische gens de couleur libres (etwa „freie Menschen von Farbe“) zurück und bezeichnete Personen in europäischen Kolonien, die im Gegensatz zu versklavten Schwarzen Menschen (black people) begrenzte Freiheiten besaßen. Die US-Bürgerrechtsbewegung wandelte den historischen Begriff Ende der 1960er Jahre zu people of color um, als Gegenentwurf zu den abwertenden Begriffen, mit denen die weiße US-Gesellschaft über Afroamerikaner sprach. Martin Luther King benutzte die Bezeichnung citizens („Bürger“) of color.
Im Deutschen gibt es derzeit keine Übersetzung für den Begriff PoC. Direkte Übersetzungen ins Deutsche sind oft mit rassistischer Geschichte verbunden. Sie basieren auf der Annahme, dass es biologische menschliche Rassen gibt, sind daher negativ konnotiert. Als Selbstbezeichnung wird daher Person of Color auch im Deutschen immer mehr geläufig, oder im Plural People of Color, beides kurz PoC.
Inzwischen wird in der Regel unterschieden zwischen den Begriffen PoC und Schwarz, um den unterschiedlichen Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen und anderen nichtweißen Personen Rechnung zu tragen. Ob PoC dabei Schwarze Personen implizit mitmeint, darüber besteht keine Einigkeit. Vor allem in Nord- und Südamerika sind inzwischen die erweiterten Abkürzungen BPoC (Black and People of Color) und BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) hinzugekommen, die gruppenspezifische Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen, indigenen sowie ehemals kolonialisierten oder versklavten Gruppen verbinden – und gleichzeitig jeweilige Spezifika anerkennen.
PoC in Deutschland noch nicht üblich
Übrigens beziehen sich weder PoC noch Schwarz – mit großem S geschrieben – auf Hautfarben. Ebenso wenig meinen sie eine ethnische Zugehörigkeit oder Abstammung, wie zum Beispiel afroamerikanisch, sondern sie stehen für eine Verbundenheit durch ähnliche Rassismuserfahrungen. Die Begriffe werden durch die Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd immer häufiger eingesetzt, auch in Deutschland.
Hierzulande identifizieren sich sehr viele Menschen als PoC. Allerdings ist die Bezeichnung in Deutschland aufgrund seiner anderen historisch-gesellschaftlichen Ausgangslage noch nicht üblich geworden. Obwohl über ein Viertel der deutschen Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund beziehungsweise eine Einwanderungsgeschichte hat und Diskriminierungen aufgrund ethnischer, kultureller, sprachlicher oder religiöser Unterschiede das Leben vieler prägen.
PoC ist aber nicht gleichzusetzen mit Migrationshintergrund. Es betont nicht unbedingt eine Einwanderungsgeschichte, sondern kritisiert die strukturelle Dominanz von Weißsein in Politik und Alltag. Doch es gibt Wechselwirkungen. Menschen mit ostmittel- oder osteuropäischem Hintergrund oder mit polnischer, russischer, balkanischer Herkunft machen in Deutschland auch dann rassistische Erfahrungen, wenn sie als weiß gelten könnten. Eine als osteuropäisch vermutete, als „undeutsch“ wahrgenommene Sprachfärbung reicht oft aus, um rassistische Vorbehalte auszulösen. Der Kontext der jeweiligen Gesellschaft ist entscheidend.
Auch weiß markiert keine Hautfarbe. Der Begriff wird klein und häufig kursiv geschrieben, um seinen Charakter als Ideologie statt physischer Tatsache zu markieren. Er zielt auf die gesellschaftspolitische Position der so Bezeichneten ab: im Rahmen rassifizierender Vorstellungen zugehörig zur Mehrheit, Macht ausübend, normgebend. Um die eigene Zugehörigkeit zu einer privilegierten Gruppe zu benennen, kann weiß auch eine Selbstbezeichnung sein.
Kein Konsens über Definition von Weißsein
Das aber ist im Gegensatz zu Schwarz oder PoC weniger üblich. Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA) schreibt in seinem Glossar, die Bezeichnung weiß diene dazu, „diese in der Regel unmarkiert bleibende Positionierung weißer Menschen – mit ihren in der Regel für sie unsichtbaren Folgen – sichtbar zu machen“.
Für Weißsein existiert aber kein Konsens über eine allgemeingültige Definition. Es bedeutet nicht automatisch, rassistisch zu sein, sondern innerhalb einer rassistischen Hierarchie an der Spitze zu stehen. Auch wenn man sich persönlich gegen Rassismus positioniert, profitiert man von weißen Privilegien.
Wissen ist Macht
Was ist Rassismus? Warum schreibt man oft „trans“ klein, aber „Schwarz“ groß? Was meinen die Gender Studies genau, wenn sie sagen „Geschlecht ist konstruiert“? Es ist unabdingbar, Grundlagen der kritischen Gesellschaftswissenschaften zu kennen, wenn man über antirassistische und queerfeministische Politiken diskutiert.
Von vorn erklärt
In dieser Reihe mit dem Titel „Zurück zu den Grundlagen“ erscheint ab sofort jede Woche ein erklärender Text zu einem oder mehreren Begriffen aus dem Bereich Feminismus und Antirassismus. Kommende Woche folgt: „Schwarz, weiß, PoC, BPoC“ – antirassistische Bezeichnungen und ihre Hintergründe.
Weißsein bedeutet auch nicht, in jeder Situation automatisch oben zu stehen. Andere Machtkategorien sind ebenfalls wirksam, etwa das Klassenverhältnis, und sie sind verschränkt mit Rassismus. Weiße Proletarier etwa sind nicht per se privilegiert, aber sie sind gegenüber Schwarzen Proletariern durch ihr Weißsein privilegiert.
Die Komplexität von Rassismus zeigt sich darin, dass auch von Rassismus betroffene Menschen andere Menschen durchaus rassistisch diskriminieren. Nur weil jemand von Rassismus betroffen ist, heißt es nicht, dass diese Person nicht ihrerseits rassistisch denkt, spricht oder handelt. Ein Beispiel wäre Antisemitismus unter Menschengruppen mit arabischen und türkischen Wurzeln, die selber gegen „Türkenhass“ oder Muslimfeindlichkeit kämpfen und als „Kanaken“ beschimpft werden.
Historisches Erbe ohne persönliche Schuld
Viele Juden würden sich nach der oben entwickelten Definition nicht als PoC bezeichnen, dennoch sind sie von Rassismus betroffen, der in diesem Fall nicht nur durch die Vorstellung von „Rasse“, sondern noch durch weitere Ideologien und Mythen genährt wird, etwa Verschwörungstheorien über angeblich überproportionale Macht und großen Einfluss dieser Gruppe. Der Begriff PoC vereint somit nicht immer alle, die von Rassismus betroffen sind. Er ist kontextabhängig und muss in jeder Gesellschaft möglicherweise etwas anders verstanden werden.
Es gilt noch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: Schuldverstrickung. Geeigneter zur Sensibilisierung als die bisher aus dem US-amerikanischen Kontext importierten Begrifflichkeiten sind die der – ebenfalls US-amerikanischen – „memory studies“, der Erinnerungswissenschaften. Deren Begriffe versuchen über die postkoloniale Herrschaftskritik hinauszuführen und den Blick auf universale Verantwortung zu lenken.
Hier hat besonders der Holocaustforscher und Literaturhistoriker Michael Rothberg mit seinem Buch „The Implicated Subject“ (2019) eine sprachliche Denkweise eingeführt, die ausdrücklich über individuelle oder Gruppenidentitäten hinausweisen will. Rothberg weist auf die „gemeinsame Verantwortung für Dinge, die wir nicht getan haben“, hin. Er spricht von „Verstrickung“: „verstrickt“ sind alle, die in Machtverhältnissen leben, in die sie hineingeboren wurden.
Auch wenn sie diese Verhältnisse nicht selbst geschaffen oder mitgestaltet haben, profitieren sie doch von ihnen und tragen durch ihr Verhalten zur Aufrechterhaltung der Verhältnisse bei, ohne individuell schuldig zu werden. Vor allem Europäer und Nordamerikaner treten damit ein historisches Erbe an, ohne persönliche oder juristische Schuld zu tragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands