Afrikanische Länder zum Ukrainekrieg: Im Zweifel an Putins Seite
Senegals Präsident Sall hat nach seinem Treffen mit dem Kremlchef „eher“ Verständnis für Russlands Position. In Afrika ist er damit nicht allein.
Die meisten Länder Afrikas suchen derzeit eine eigene Position zum Krieg in der Ukraine – eine Herausforderung. Bereits im April bat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski darum, vor der Afrikanischen Union (AU) via Video sprechen zu können. Macky Sall, Senegals Präsident und dieses Jahr Vorsitzender der AU, antwortete, dass er zuvor Gespräche mit den Regierungen in Moskau und Kiew vor Ort führen möchte.
Ein Termin für einen Besuch Salls in Kiew ist offen, ein Treffen Salls mit Putin fand am 3. Juni im russischen Sotschi am Schwarzen Meer statt. Am Ende schien Sall überzeugt, dass es „eher die Sanktionen gegen Russland“ seien, die verhinderten, dass Getreide nach Afrika kommt, als die russische Bombardierung und Blockade ukrainischer Häfen.
Putin versicherte dem AU-Vorsitzenden, dass Russland alles tun würde, um „die über 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine herauszubekommen, trotz der ukrainischen Verminung der Häfen“. Einen Tag später bombardierte Russland den Getreideexportterminal des ukrainischen Hafens Mikolajiw.
Mit seiner Stellungnahme stellt sich Sall im Namen der AU tendenziell auf die russische Seite im Konflikt. Erst am 25. Mai, dem internationalen „Afrikatag“, schrieb Russlands Außenminister Lawrow einen Brief an alle afrikanischen Regierungen. Darin heißt es: „Wir bitten euch, unsere Freunde, in deutlichen Worten eine Aufhebung einseitiger Sanktionen zu fordern, die den Transport lebenswichtiger Güter behindern … Afrikas Stimme muss gehört werden.“
Vom „Westen“ im Stich gelassen
In den drei Tagen davor hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Senegal, Niger und Südafrika besucht. Senegal wurde zugesichert, in die erst vor Kurzem entdeckten Gasvorkommen zu investieren; Südafrika will Deutschland helfen, die Abhängigkeit von Kohle zu überwinden, um „gemeinsam gegen Klimawandel“ aufzutreten. Ansonsten wurde eher aneinander vorbeigeredet: Ramaphosa beharrte auf „Südafrikas historischer Lektion“, wonach auch blutige Konflikte nur durch Verhandlungen überwunden werden können. Scholz entgegnete, dass man sich einig sei mit Südafrika, dass „Demokratie und Souveränität eines Landes zu verteidigen“ seien.
Was dabei unausgesprochen blieb: Viele Länder Afrikas fühlen sich in jüngster Vergangenheit vom „Westen“ im Stich gelassen. Die reichen Länder horteten Corona-Impfstoffe; die anderen bekamen, was übrig blieb. Den Antrag Südafrikas und Indiens, die Patente für diese Impfstoffe zumindest für begrenzte Zeit aufzuheben, hatte die neue Bundesregierung abgelehnt.
Als Südafrika nun begann, in Lizenz unter Umgehung des Patentschutzes Impfstoffe selbst zu produzieren, und diese auch in Europa anbot, kam von dort keine einzige Bestellung. Auf die dringende Bitte Ramaphosas, den Export von Impfstoffen zu unterstützen, antwortete Olaf Scholz bisher nicht.
Macky Sall erklärte nun, dass Afrika „bei künftigen Pandemien statt zu jetzt 99 bald nur noch zu 44 Prozent abhängig vom Westen sein“ wolle.
So verschlechtert sich Deutschlands Verhältnis zu Afrika, während sowohl Senegals Präsident Macky Sall als auch Südafrikas Cyril Ramaphosa gemeinsam mit den Regierungschefs von Indien und Indonesien zum G7-Gipfel im bayerischen Elmau vom 26. bis 28. Juni eingeladen sind. Eine Einladung aus Eigeninteresse, finden Menschen in Südafrika: „Klar lädt euer Kanzler die zwei starken Männer Afrikas ein. Er will Gas von Senegal, und es gibt so viele deutsche Firmen in Südafrika wie nirgends sonst auf dem Kontinent“, weiß Onwaba M, eine 38-jährige Mutter von sechs Kindern aus dem Township Khayelitsha bei Kapstadt, die sich gut informiert zeigt. Ihre Eltern waren im Kampf gegen Apartheid im damals illegalen African National Congress (ANC) aktiv, der heutigen Regierungspartei.
Zahl vom Hungertod bedrohter Menschen verdoppelt
„Ich bin parteilos“, sagt sie, „aber habe viel von meinen Eltern gelernt. Mein Vater war als junger Mann in der DDR zur Ausbildung als Elektriker. Ostdeutschland war ja gegen Apartheid, westdeutsche Banken arbeiteten mit der Apartheid-Regierung zusammen. Und heute?“ Sie holt Luft: „Heute sollen wir alle gegen Russland sein und den Westen und die Ukraine bei diesem schrecklichen Krieg unterstützen.“
Ihr Nachbar, Themba S. (65), mischt sich ein: „Europa macht Krieg – und in diesem Krieg auf einem anderen Kontinent sollen wir uns auf die eine oder andere Seite schlagen. So schrecklich die zivilen Opfer in der Ukraine sind – wen kümmern in Europa schon die Millionen zusätzlich verhungernder Kinder bei uns? Wem können wir am Ende vertrauen?“
Das Hilfswerk Oxfam bestätigt dies mit dramatischen Zahlen für Ostafrika, wo sich allein in Kenia, Somalia und Äthiopien innerhalb weniger Monate die Zahl vom Hungertod bedrohter Menschen mehr als verdoppelt habe – von 10 auf rund 23 Millionen. Nicht nur wegen ausbleibenden Regens, sondern auch wegen des Ausbleibens von Getreide aus der Ukraine sowie von zugesagten Hilfsgeldern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich