Abschied vom Wachstum: Schrumpfen in Schönheit
Die Grünen wollen CO2-Emissionen teurer machen. Das wird wenig bringen. Ein besseres Vorbild könnte die britische Kriegswirtschaft ab 1940 sein.
W as für ein ungewohntes Bild: Neben dem Berliner Kanzleramt stehen Zelte. Schon seit Tagen campiert dort „Extinction Rebellion“. Die Aktivist*innen wollen erreichen, dass Deutschland ab 2025 kein CO2 mehr ausstößt, das die Atmosphäre ständig weiter aufheizt. Die Klimarebellen haben recht, und trotzdem bleibt Unbehagen zurück. Denn sie skizzieren keinen Weg, auf dem sich diese Nullemission erreichen ließe. Es würde nämlich nicht einmal ausreichen, wenn alle Deutschen Vegetarier würden, ganz auf Flüge verzichteten und keine Autos mehr besäßen. Die Bundesrepublik würde selbst dann immer noch zu viel CO2 ausstoßen.
Die Klimarebellen sind allerdings nicht allein mit ihrer Ratlosigkeit, sobald es konkret wird. Die klaffende Lücke zwischen Ist und Muss zeigt sich auch bei dem klimapolitischen Leitantrag, den die Grünen jetzt veröffentlicht haben. Das Papier ist radikaler als alles, was bisher von deutschen Parteien zu hören war – und bleibt dennoch eine Luftbuchung, weil es die entscheidenden Fragen meidet.
Die Grünen beginnen mit einer einfachen Rechnung, die vom Weltklimarat IPCC stammt: Deutschland darf ab 2020 nur noch 6.600 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, wenn verhindert werden soll, dass die Erdtemperatur um mehr als zwei Grad steigt. Diese Menge ist schnell verbraucht: Wenn wir ungebremst weiter leben wie bisher, haben wir das erlaubte CO2 bereits in neun Jahren in die Luft geblasen. Die Zeit wird also extrem knapp.
Die Grünen fordern daher, dass ab sofort flächendeckend ein CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne gelten soll. 2021 soll er schon bei 60 Euro liegen und danach weiter steigen. Dieses Konzept ist zweifellos besser als die GroKo-Beschlüsse, die ab 2021 einen CO2-Preis von nur zehn Euro vorsehen – was den Dieselpreis um ganze drei Cent erhöhen würde. Ein SUV-Fahrer würde das gar nicht merken.
Ein zentraler Denkfehler
Doch auch der grüne Plan hat einen Haken: Die Einnahmen aus der CO2-Steuer verschwinden ja nicht im Nichts. Das Geld wird nicht in einen tiefen Brunnen geworfen und vergammelt dort, sondern es bleibt im System. Die Bürger müssten zwar tiefer ins Portemonnaie greifen, wenn sie Energie verbrauchen – aber dieses Geld landet dann beim Staat, der es wieder ausgeben und damit für neue Nachfrage und neue CO2-Emissionen sorgen würde. Es würde eine „Kreislaufwirtschaft“ entstehen, die mit einer ökologischen Postwachstumsökonomie fast nichts zu tun hat.
Der zentrale Denkfehler fällt zunächt gar nicht auf, weil das grüne Konzept sehr fair wäre: Es soll ein „Energiegeld“ für alle geben. Der Staat würde seine CO2-Einnahmen wieder an die Bürger auszahlen – als eine Art Kopfpauschale. Jeder würde dieselbe Summe bekommen. Vor allem die Armen hätten hinterher mehr Geld als vorher, denn sie verbrauchen besonders wenig Energie, würden aber genau das gleiche Energiegeld erhalten wie alle anderen auch.
ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Im September erschien ihr Buch „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" im Westend Verlag.
Es ist längst überfällig, die Armen stärker zu unterstützen. Aber es ist abwegig, diese soziale Verbesserung als ökologische Revolution zu preisen. Denn die Armen würden die Zusatzeinnahmen nutzen, um sich endlich langgehegte Wünsche zu erfüllen. Sie würden auch in Urlaub fahren, auch ins Restaurant gehen, sich auch neue Kleider gönnen. Dieser Zusatzkonsum wäre nur gerecht, aber kein Umweltschutzprogramm. Die Grünen verwechseln Betriebs- und Volkswirtschaft: Ein höherer CO2-Preis hätte zwar „Lenkungswirkung“ – aber nur beim einzelnen Produkt. Die Gesamtwirtschaft würde weiter in die Klimakatastrophe gesteuert.
Autokäufer würden Spritfresser zwar meiden und effiziente Fahrzeuge kaufen. Zunächst würden sie also Energie sparen – ihr Geld dann aber anderweitig ausgeben. Denkbar wäre etwa, dass man sich für eine zusätzliche Reise nach Mallorca entscheidet. Nach dem Motto: „Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Flüge würden zwar auch teurer, wenn der CO2-Preis steigt, aber die Bürger hätten ja noch das Energiegeld, das sie verprassen könnten. In der Summe würden vielleicht etwas weniger Klimagase emittiert, aber das Ziel ist bekanntlich ambitionierter: Schon in wenigen Jahren sollen wir gar kein CO2 mehr ausstoßen.
Eine Falle namens Bumerangeffekt
Die Grünen tappen in eine altbekannte Falle, die „Bumerang-Effekt“ heißt: Dieses Paradox wurde bereits 1865 von dem britischen Ökonomen William Stanley Jevons beschrieben – und ist eine der wenigen Voraussagen über den Kapitalismus, die sich als richtig herausgestellt haben. Wer Energie oder Rohstoffe „spart“ und mit weniger Materialeinsatz die gleiche Gütermenge herstellt, der steigert in Wahrheit die Produktivität und ermöglicht damit neues Wachstum.
In der Umweltpolitik hat es daher wenig Sinn, nur auf „Preise“ und „Marktmechanismen“ zu setzen. Man muss Ordnungspolitik betreiben, also Vorschriften und Verbote erlassen. Das wissen auch die Grünen. Sie fordern unter anderen ein Tempolimit von 130 auf der Autobahn und wollen Ölheizungen sofort untersagen. Diese Vorschläge klingen mutig, würden aber niemals reichen, damit wir demnächst keine Klimagase mehr emittieren. Auch ein Auto, das nur 130 Kilometer pro Stunde fährt, ist eine Umweltsünde. Diese Tatsache verschwiemeln die Grünen, indem sie komplett auf Öko-Strom umstellen wollen – bei Verkehr, Industrie und Heizung.
Diese Idee klingt nur gut, solange man die offensichtlichen Probleme verschweigt. Ein E-Auto fährt vielleicht mit Ökostrom, ist aber keineswegs klimaneutral, sobald auch die Herstellung berücksichtigt wird. Zudem entsteht Ökostrom nicht aus dem Nichts, sondern produziert ebenfalls Folgekosten.
Windkrafträder sind zwar längst nicht so schlimm wie Kohlekraftwerke, aber auch sie greifen in die Landschaft ein und werden bald zu einem Müllproblem. Denn Windräder laufen nur maximal dreißig Jahre und sind dann nutzlose Industrieruinen aus 90 Metern Schrott.
Es gibt keine Alternative zum Ökostrom, aber er wird immer knapp und kostbar bleiben. Bisher wird jedoch der Eindruck erzeugt, als könnte man Öko-Energie beliebig steigern. Es wird suggeriert, der Umweltschutz wäre nur eine Finanzierungsfrage, so dass das Wachstum nicht etwa begrenzt – sondern sogar noch befeuert würde. O-Ton Grüne: „Wirtschaftsstudien sehen ein Geschäftspotenzial von etwa elf Billionen Euro durch neue, digital-basierte klimafreundliche Geschäftsmodelle im Jahr 2030. Die sozial-ökologischen Innovationen in allen Sektoren können Europa zu deutlich mehr Wohlstand verhelfen.“
Dieser Optimismus ist Unsinn. Es wird zwar sehr viel Geld kosten, die Umwelt zu reparieren – aber dies wird kein Wachstum mehr auslösen. Es reicht schon eine kleine Überschlagsrechnung, um zu erkennen, dass die Wirtschaftsleistung insgesamt schrumpfen muss: Momentan tut Deutschland so, als könnte es anteilig die Erträge von drei Planeten verbrauchen. Bekanntlich gibt es aber nur die eine Erde.
Noch schlimmer: Dieser Raubbau ist nur eine Momentaufnahme. Selbst niedrige Wachstumsraten wie 1,7 Prozent pro Jahr kummulieren sich rasant: Schon in vierzig Jahren hätte sich die Wirtschaftsleistung verdoppelt – und dann wären sechs Planeten nötig, um den deutschen Verbrauch zu befriedigen.
Natürlich ließe sich das Wachstum ein wenig „entkoppeln“, indem Rohstoffe noch effizienter eingesetzt würden. Aber dann würden vielleicht „nur“ 4,5 Erden verbraucht. So bedauerlich es ist: Wachstum ist nicht mehr möglich. Wenn die Menschheit überleben soll, müssen die Industrieländer ihren Verbrauch schrumpfen.
Orientieren am historischen Schrumpfungsmodell
Dafür gibt es auch ein Modell: die britische Kriegswirtschaft zwischen 1940 und 1945. Damals standen die Briten vor einer monströsen Herausforderung. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg nicht kommen sehen und mussten nun in kürzester Zeit ihre Friedenswirtschaft auf den Krieg umstellen, ohne dass die Bevölkerung hungerte.
Das erste Ergebnis war eine statistische Revolution: Damals entstand die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, heute ein Standardwerkzeug aller Ökonomen. Mit diesem neuen Instrument ließ sich ausrechnen, wieviele Fabriken man nutzen konnte, um Militärausrüstung herzustellen, ohne die zivile Versorgung zu gefährden.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Es entstand ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurdenstaatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert.
Die staatliche Lenkung war ungemein populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen konnte, war das Rationierungsprogramm „einer der größten Erfolge an der Heimatfront“. Denn die verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Zu Friedenszeiten hatte ein Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere zwanzig Prozent waren zumindest teilweise mangelernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie.
Heute herrscht zum Glück Frieden, aber die gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist beim Klimawandel ähnlich groß: Es geht ums Überleben der Menschheit.
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