Aberkennung der Gemeinnützigkeit des VVN: Weder Herz noch Hirn
Den Verein der Überlebenden des Holocaust als extremistisch einzustufen und ihm die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ist so hirnlos wie fatal.
D ie Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano hat 75 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland wieder Angst. Die 95-Jährige, deren Eltern von den Nazis ermordet wurden, bekommt nicht zuletzt, wenn sie rechtsradikalen Politikern zuhört, das Gefühl, dass sich heute „alles wiederholt“. Bejarano tut, was sie kann, um Deutschland vor dem Rechtsextremismus zu bewahren.
Sie war Mitgründerin des Internationalen Auschwitz-Komitees und ist heute Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die Entscheidung des Berliner Finanzamtes, dem VVN Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen, muss für sie und ihre MitstreiterInnen wie ein Schlag ins Gesicht sein.
Noch weilen Überlebende des Holocaust unter uns. Wie kaltherzig muss jemand sein, um den wichtigsten Repräsentanten der einst Verfolgten finanziell in die Knie zu zwingen. Die drohende Steuernachzahlung könnte für den Verein, dessen Mitgliederzahlen seit Jahren sinken, das vorzeitige Aus bedeuten.
Der Verein sei vom Verfassungsschutz als linksextrem geführt worden, heißt es. Die Nähe der Antifaschisten zu linken Parteien mag in der Vergangenheit problematisch gewesen sein. Heute entbehrt sie jeglicher Relevanz.
Kaum sechs Wochen nach dem antisemitischen Terroranschlag in Halle kann es nicht mehr reichen, mehr Sicherheitspersonal vor jüdischen Einrichtungen zu postieren. Wenn deutsche Juden Angst haben, mit einer Kippa auf dem Kopf auf die Straße zu gehen, dann ist etwas schiefgelaufen in diesem Land.
Erziehung und Aufklärung sind der einzige Weg, um „eine Welt ohne Rassismus, Antisemitismus und Nazismus zu schaffen“, wie es sich der VVN-BdA auf die Fahne schreibt. Diesen Verein als extremistisch einzustufen und ihm die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ist so hirnlos wie fatal. Es markiert den Feind der Demokratie falsch. Die Gefahr droht aus dem gegenüber liegenden Lager.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung