Ungarn sagt Treffen mit Baerbock ab: Orbán zündet Störfeuer
Die Reise von Viktor Orbán nach Moskau war eine Provokation für EU– und Nato-Partner. Nun lädt Ungarn die deutsche Außenministerin aus.
![Außenministerin Annalena Baerbock blickt Richtung Boden nach einem Gespräch Außenministerin Annalena Baerbock blickt Richtung Boden nach einem Gespräch](/picture/7104537/624/35706718-1.jpeg)
Bleibt jetzt daheim: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fliegt nicht nach Budapest Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
BERLIN taz | Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft läuft seit nur sechs Tagen und schon hat der ungarische Regierungschef Viktor Orbán einen handfesten Eklat produziert. Denn eigentlich wollte die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Montag ihren ungarischen Außenamtskollegen Péter Szijjártó in Budapest treffen. Heikles Thema der Gespräche: Orbáns irritierende Vermittlungsversuche für eine Friedensinitiative zwischen der Ukraine und Russland. Doch die ungarische Seite sagte die Reise nun ab.
Bereits an Tag eins der turnusgemäßen Übernahme des Postens reiste Orbán nach Kyjiw, um dort mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu verhandeln. Am Freitag folgte dann ein Treffen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Moskau.
Es hätte also viel zu besprechen gegeben zwischen Baerbock und Szijjártó. Aber: „Die ungarische Seite hat zu unserer Verwunderung am Freitagabend den eigentlich für Montag in Budapest vereinbarten Termin von Außenminister Szijjártó mit Außenministerin Baerbock kurzfristig abgesagt“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. „Ein ernstes und ehrliches persönliches Gespräch zwischen beiden Außenministern wäre in Anbetracht der überraschenden und nicht abgestimmten Moskau-Reise von Ministerpräsident Orbán durchaus wichtig gewesen“. Dann folgt Bedauern über die Absage. Die Reise soll zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.
Als reine Provokation wurde der Besuch Orbáns in Moskau bei Putin gewertet. Vor allem innerhalb der EU-Gremien und der Nato. Orbán hatte weder ein Mandat noch war die Reise mit den internationalen Partnern abgesprochen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, schrieb auf X (ehemals Twitter), dass Beschwichtigungspolitik Putin nicht aufhalten würde. „Nur Einigkeit und Entschlossenheit werden den Weg zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine ebnen.“
Nicht nur Kritik an Orbán
Noch-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte unmissverständlich klar, dass Orbán bei seinem Alleingang nicht das Militärbündnis vertrete. Ähnlich missliche Töne kamen auch aus den USA. Washington sprach von einer „kontraproduktiven Reise“, die nicht förderlich für den Frieden, für die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit der Ukraine sei.
Wenig überraschend wertete Putin die Gespräche mit Orbán als Versuch der EU, den Dialog mit Russland wieder aufleben zu lassen. Das diplomatische Chaos ist also geglückt.
Allerdings hagelte es nicht nur Kritik an der überraschenden Paralleldiplomatie Orbáns. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico lobte den ungarischen Regierungschef für seine Initiative und sprach ihm seine „Bewunderung“ aus. Und er hätte ihn gerne selbst begleitet zu dieser umstrittenen Reise nach Moskau, wenn es sein Gesundheitszustand erlauben würde. Fico war im Mai niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt worden.
Orbán verursachte die diplomatischen Turbulenzen wenige Tage vor dem Jubiläumsgipfel der Nato in Washington. In der kommenden Woche wollen die Mitglieder des Militärbündnisses ihre Unterstützung für die Ukraine stärken und – wie es Nato-Chef Stoltenberg nannte – der Ukraine „eine Brücke in die Nato“ bauen. Eine gemeinsame Zusage für eine dauerhafte Unterstützung kam ihm Vorfeld des Gipfels nicht zustande, unter anderem durch die Ablehnung Orbáns. Ungarn hatte auf EU-Ebene Sanktionen gegen Russland sowie weitere Finanzhilfen für Kyjiw mehrfach verzögert. Kritik übte Orbán zudem an den im Juni begonnenen Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine.
Leser*innenkommentare
Monomi
Ich hatte erwartet, daß Putin orban mit einem wirklich verbesserten, verlockenden Angebot für Verhandlungen quasi als Lenkbombe wieder zurück in die EU schickt und ihn so als Oberverhandler mit exklusivem Zugang ausgestattet für die nächste 6 Monate an EU und NATO vorbei etabliert. Das hätte sowohl in der EU als auch für Selensky massiven Druck ausgeübt an den (langen) Tisch zu kommen. Wagenknecht hätte gejubelt : seht her, geht doch. Und wäre bei den nächsten Wahlen mit BSW an der afd vorbei.
Insofern hat die Allianz noch Glück gehabt.
zartbitter
""Der Versuch von (sicher taktisch begründeten) Vermittlungsgesprächen kostet zumindest keine zusätzlichen Menschenleben.""
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Wenn sie tatsächlich Putins imperialistischen Überfall gegen die Ukraine missbilligen - und danach sieht ihr Kommentar defakto nicht aus - warum unterstützen sie dann einen Orban - der nichts anderes mit Unterstützung von Putin möchte als Ungarn in alter imperialistischer Größe wieder aufbauen möchte?
Orbans Besuch Putins bedeutet eine Stärkung des russischen Imperialismus - und das dieser Akt keine zusätzlichen Menschenleben kosten wird glauben nur sie allein.
Erfahrungssammler
Die Prioritäten sind deutlich, jetzt wäre eine Reaktion der EU der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesagt.
Nairam
Wäre ich Außenminister Szijjártó, ich hätte auch irgendeine Ausrede benutzt, um mir die Schimpferei von Baerbock nicht anhören zu müssen. Im Gegensatz zu Natanyahu könnte ich sie als Außenminister ja nicht rausschmeißen, da gäb's nur noch mehr Ärger.
nothingness
Wie würde denn ein „ehrliches Gespräch“ mit Baerbock nach einem irritierenden Vermittlungsversuch für eine Friedensinitiative während einer als reine Provokation bewerteten, überraschenden, nicht abgestimmten (Ukraine und) Moskau-Reise Orbans aussehen? Im Artikel ist alles bereits gesagt. Ein „ehrliches Gespräch“ oder auch nur einen offenen diplomatischen Austausch von Informationen halte ich bei der Haltung für ausgeschlossen. Mit „ehrliches Gespräch“ führen ist doch Leviten lesen gemeint.
Ardaga
Also, Orban ist m. E. ein Euro-Pionier der Faschistischen Renessaince, er IST das Stoerfeuer.
Bürger L.
Ich bin weißgott kein Freund von Orbans Politik und ich verurteile Putins Aggression gegen die Ukraine.
Allerdings halte ich die Empörung angesichts Orbans Reise nach Kiew und Moskau für überzogen und unangebracht.
Zum einen gibt es die einheitliche Haltung der Europäischen Staaten nicht, zumal letztendlich jeder seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen verfolgt.
Zum anderen wüsste ich nicht wem es schaden sollte, wenn jemand - sicher auch aus Eigeninteresse - Gespräche mit beiden Kriegsparteien führt.
Die Waffenlieferungs-, Blockade- und Sanktionspolitik derer die genau wissen, dass sie auf "der richtigen Seite" stehen, hat bisher ja nicht zur Beendigung des Krieges und des Tötens geführt.
Der Versuch von (sicher taktisch begründeten) Vermittlungsgesprächen kostet zumindest keine zusätzlichen Menschenleben.
metalhead86
@Bürger L. Dieses Gespräch von zwei Staaten darüber wem ein dritter Staat gehört haben leider nichts mit dem zu tun, was sie sich offenbar davon erhoffen.
Nairam
@Bürger L. Ich stimme Ihnen zu. ABER: Schwarz-weiß-Denken ist viel einfacher!
Denn willst du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich dir den Schädel ein.
schnarchnase
@Bürger L. Das ist eine reine Propagandashow für Putin und seine Fans. Putin ist der Aggressor der Stalins Russland als Vorbild hat. Wer da ernsthafte Absichten für einen dauerhaften Frieden in der Ukraine sieht ist naiv.
elektrozwerg
Wie sagte Frau Baerbock sinngemaess: Es ist nicht die Aufgabe von Politikern die Waffen zum Schweigen zu bringen.
Schoen, dass Stoltenberg noch mal klarstellt, dass Friedensgespraeche, bzw ein Waffenstillstand, nicht im Interesse der NATO sind bzw ist.
Was mich aber vielmehr interessieren wuerde als Altbekanntes, ist bei den Gespraechen zwischen Orban und Putin was rausgekommen?
Conrad Budde
Einfach lächeln und nicht aufregen. Es ist Sonntag.
Kann doch jeder hinreisen, wo er will und reden mit wem er will. Nennt sich "Freiheit", glaube ich. Und wenn man mal doch nicht zu Besuch kommen kann, dann, wie gesagt, lächeln und nicht persönlich nehmen.
Alles andere vermiest doch den Sonntag und ist auch für den Blutdruck nicht so gut.
Schöne Sonntag - macht was draus.
Gerald Müller
Oeban hat natürlich Recht. Um den Krieg irgendwie beenden zu können, muss man miteinender reden bzw einen Gesprächskanal offenhalten oder aufbauen. Mal angenommen. Trump gewinnt die Wahlen und fängt an den Krieg abzuwickeln - wer soll denn dann für Europa reden? Baerbock oder vdL nach all ihrer Kriegsrethorik? Ditto Stoltenberg, Macron usw? Da denkt Orban weiter voraus als all die anderen in der EU (ausser Fico).
Und, was den abgesagten Besuch angeht: "Ein ernstes und ehrliches persönliches Gespräch zwischen beiden Außenministern wäre in Anbetracht der überraschenden und nicht abgestimmten Moskau-Reise von Ministerpräsident Orbán durchaus wichtig gewesen“ - das klingt wie ein Schuldirektor der einen Schüler der sich danebenbenommen hat ins Direktorat bestellt. Mit sowas macht man sich (a) keine Freunde und erwirbt sich (b) den Ruf eines arroganten Besserwissers. Aber auch das scheint Baerbock nicht merken zu können.
Vigoleis
Ich sag mal so: Wenn ich mir die letzten rund zwei Jahrzehnte der quasi EU-Innenpolitik so anschaue, dann bestätigen sich immer wieder meine schon damals gehegten Zweifel, dass die Aufnahme bestimmter mittelost- oder südosteuropäischer Staaten in die EU in 2004 bzw. 2007 wirklich eine gute Idee war. Es sind ja nicht nur die Ungarn, die sich bei Wahlen immer wieder für offen EU-feindliche bzw. autoritäre Regierungen entscheiden. Und diese dann unter anderem die ungenügend angepassten Mitspracheregeln in den Institutionen für eigene Zwecke ausnutzen.
Ungarn etwa wäre von Größe und Bedeutung her zum Vergessen, wenn MP Orban nicht per EU diese Macht gegeben wäre, um wenigstens zeitweise international Aufmerksamkeit für sich zu generieren.
Tom Farmer
Warum mal nicht ins Leere laufen lassen? Jeder muss jetzt unbedingt Gewichtiges sagen. Stoltenberg "spricht nicht für NATO ", Michel "spricht nicht für die EU". Baerbock nach Budapest um dann ihre Position darstellen. Einfach mal gar nix machen.
Das Gute: Durch den abgesagten Termin ist das CO2 von Baerbocks Fußball Flug zuletzt wieder eingespart. Danke, Ungarn!
BrendanB
Orban will mit Putin reden aber nicht mit Baerbock. Das ist sehr interessant.