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: Ein Kampf der Narrative

Claudine Gay, die erste Schwarze Präsidentin Harvards, ist zurückgetreten, nachdem sie sich unklar zu antisemitischen Äußerungen positioniert hatte. Von rechter Seite wird nun eine Kampagne gegen sie geführt, an der sie selbst eine Mitschuld trägt

Claudine Gay bei der Kongressanhörung in Washington DC Foto: Michael Brachstein/SOPA Images/imago

Von Bernd Pickert

Claudine Gay ist von der Präsidentschaft der Universität Harvard zurückgetreten. Am Dienstagnachmittag US-Ostküstenzeit veröffentlichte sie einen entsprechenden Brief an den Aufsichtsrat von Harvard. Gay beendete damit eine wochenlange Auseinandersetzung über ihre Person, die mit einer Kongressanhörung zu antisemitischen Vorfällen an mehreren US-Universitäten begonnen hatte. Gay war die erste Schwarze und erst die zweite weibliche Harvard-Präsidentin in der rund 400-jährigen Geschichte der Elite-Uni. Jetzt ist sie diejenige mit der kürzesten Amtszeit je.

So weit sind die Fakten klar – fast. Denn schon die Frage, ob tatsächlich jene Kongressanhörung am 5. Dezember der Ausgangspunkt für Gays Rücktritt war, ist umstritten. Nach heftigen Auseinandersetzungen über den Israel-Gaza-Konflikt an den US-Unis hatte die republikanische Abgeordnete Elise Stefanik die Präsidentinnen der Universitäten von Pennsylvania, des MIT und eben Harvards in inquisitorischer Manier gefragt, ob es ihrer Meinung nach gegen die Standards ihrer Unis verstoße, wenn auf dem Campus zum Völkermord an Juden aufgerufen würde. Gay, wie auch die anderen Präsidentinnen, verweigerten eine einfache Ja-oder-Nein-Antwort. Kommt auf den Kontext an, sagte Gay. Die 90 Sekunden aus der 6-stündigen Sitzung gingen viral. Gay entschuldigte sich später, sagte, das hätte sie besser beantworten müssen – aber der Schaden war angerichtet. Liz Magill, die Präsidentin der University of Pennsylvania, trat am 9. Dezember zurück. „One down, two to go“, schrieb Stefanik, eine Trump-Anhängerin, die am 6. Januar 2021 gegen die Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden stimmen wollte, da auf Twitter.

Nur einen Tag nach Magills Rücktritt setzte eine Kampagne ein, die Gay vorwarf, sowohl in ihrer Dissertation von 1997 als auch in einigen ihrer später veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen plagiiert zu haben. Sie habe ganze Sätze, mitunter nur leicht abgewandelt, aus anderen Publikationen übernommen, ohne das kenntlich zu machen, so der anonym lancierte Vorwurf. Harvard nahm sich dessen an und kam nach einigen Wochen zu dem Schluss, zwar gäbe es ein paar nicht ganz der Form genügende Zitierungen, das sei aber weit unterhalb des Plagiat-Vorwurfes anzusiedeln. Auch die Urheber der mutmaßlich abgeschriebenen Originaltexte winkten ab.

Dennoch ging damit die Debatte weg vom Vorwurf ungenügenden Vorgehens gegen Antisemitismus zu sehr viel Grundlegenderem: War Claudine Gay, so der Vorwurf von rechts, niemals aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen, sondern nur als Schwarze und Frau an den Posten gekommen?

In die Öffentlichkeit getragen wurden die Plagiatsvorwürfe zuerst von Christopher Rufo – einem Rechtsaußen-Aktivisten gegen „Wokeness“, der als Berater von Floridas Gouverneur Ron DeSantis dafür gesorgt hatte, den Kampf gegen das Aufnehmen der Critical Race Theory in die Lehrpläne zur nationalen konservativen Sache zu machen. Am 19. Dezember schrieb Rufo auf X, vormals Twitter: „Wir haben die Plagiatsgeschichte von rechts initiiert. Der nächste Schritt ist, sie in den linken Medienapparat einzuschmuggeln, also das Narrativ für linksliberale Akteure legitim zu machen, die die Macht haben, sie zu stürzen. Dann zuziehen.“ Gays Rücktritt zwei Wochen später suggeriert: Das hat geklappt.

Für Linke ist sie Opfer einer rechten und rassistischen Mobbing-Kampagne. Für Rechte ist sie überhaupt nur wegen des Diversitätsanspruchs der Uni an den Posten gekommen

Es ist tatsächlich ein Kampf der Narrative. Für viele Linke ist Gay das Opfer eine rechten und rassistischen Mobbing-Kampagne gegen die erste Schwarze Havard-Präsidentin. Für Rechte ist Gay überhaupt nur an den Posten gekommen, weil die Uni den Anspruch an Diversity, equity, and inclusion (DEI – Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion) über akademische Qualifikation gestellt habe. Für viele jüdische Aka­de­mi­ke­r*in­nen waren ihre uneindeutigen Aussagen bei der Kongressanhörung ein Schlag ins Gesicht. Für andere, wie den langjährigen Präsidenten der jüdischen Campus-Vereinigung Hillel, Bernie Steinberg, zeigt sich in der gesamten Diskussion ein schrecklicher Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs, der zu Inquisitionen im Stil der McCarthy-Ära führe.

Vermutlich war Claudine Gay tatsächlich nicht mehr zu halten – die Rechte kann hier einen Triumph feiern. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich Elise Stefanik, Christopher Rufo oder auch der im Hintergrund agierende Financier Bill Ackman damit zufriedengeben. Sie werden nicht ruhen, bis African-american studies, Gender Studies oder alles, was sie als Wokeness diskreditieren, aus den Unis verbannt ist.