Soziologe über Letzte Generation: „Protest muss nachvollziehbar sein“
Um ihre Ziele zu erreichen, muss die Letzte Generation ihre Aktionsformen ändern, sagt der Protestforscher Simon Teune. Er schlägt ein Monitoring vor.
taz: Herr Teune, ist der Protest der Letzten Generation effektiv?
Simon Teune: Wenn Kosten und Ertrag in Bezug gesetzt werden, dann kann man für die Letzte Generation sagen, dass sie sehr effektiv sind. Sie erzeugen mit sehr wenig Personalaufwand große gesellschaftliche Reaktionen. Für die Erreichung spezifischer Ziele fällt die Bilanz anders aus. Die Letzte Generation baut einen eher abstrakten Handlungsdruck auf.
ist politischer Soziologe mit dem Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung an der FU Berlin.
Können Sie das erklären?
Konkret bedeutet es, dass die Autobahnblockade nicht dazu führt, dass die FDP ihre Haltung zu Tempo 100 überdenkt. Es ist bei den allermeisten Protesten so, dass die Übersetzung in politische Entscheidungen indirekt stattfindet. Die Letzte Generation geht davon aus, dass es eine direkte Wirkung gibt. Da wäre ich skeptisch.
Man hat den Eindruck, dass nur die direkten Auswirkungen der Proteste besprochen werden. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass der Fokus auf den Klimaschutz verloren geht?
Ja, die gesellschaftliche Debatte zu den Protesten ist ziemlich schräg. Wenn die Frage gestellt wird: „Wie weit darf Protest gehen?“, wird der zweite Teil: „Um was zu erreichen?“, gar nicht mehr gestellt. Angesichts der Tatsache, dass der Eskalationsgrad der Proteste überschaubar ist, ist das ein problematischer Umgang. Wir reden über Autofahrer:innen und besudelte Gemälde und nicht über die Frage, wie eine sinnvolle Klimapolitik aussehen könnte. Das ist nicht das Problem der Letzten Generation, sondern eher Ausdruck des gesellschaftlichen Umgangs mit der Klimakrise insgesamt.
Das heißt, dass die Letzte Generation wie ein Abbild der gesellschaftlichen Haltung zu verstehen ist?
Genau so würde ich das sehen. Man kann an der Diskussion über die Letzte Generation ablesen, wo wir im Kontext der Klimakrise stehen, was für uns die Prioritäten sind und was es für politische Angebote gibt. Das ist ziemlich ernüchternd.
Wie bewerten Sie den Vorstoß der Union, die Proteste mit Haftstrafen belegen zu wollen?
Bei solchen Vorstößen geht es darum, sich als jemand zu inszenieren, der sich kümmert. Real hat das erst mal keine Konsequenzen. Es gibt bereits in einigen Bundesländern durch die dortigen Polizeiaufgabengesetze eine Zuspitzung der Repression, die besonders Klimaaktivist*innen zu spüren bekommen. Die dreizehn Wissenschaftler:innen, die sich in München bei BMW angeklebt haben, könnten bis zu 30 Tage ohne Richterspruch im Gefängnis landen.
Wo ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Grenze der Zumutung von Protest?
Es gibt Forschung dazu, ab welchem Punkt die Menschen Protest nicht mehr als legitim ansehen. Und das ist ziemlich eindeutig Gewalt gegen Menschen. Ziviler Ungehorsam führt nicht dazu, dass sich die Menschen von einer Bewegung abwenden.
Distanziert sich die Letzte Generation von Gewalt?
Gewaltlosigkeit ist ein Grundsatz der Letzten Generation. Und auch da gibt es Lernprozesse. Zum Beispiel in Form von Rettungsgassen. Das ist etwas, das, soweit ich weiß, am Anfang noch nicht mitgedacht wurde.*
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Protests der Gruppe?
Das Potenzial von zivilem Ungehorsam wurde zunächst nicht ausgeschöpft, weil es ungerichtet war. Am Anfang wurde die Autobahn blockiert, um auf Lebensmittelverschwendung hinzuweisen. Das war für viele Leute nicht nachvollziehbar. Diese Nachvollziehbarkeit ist allerdings eine Voraussetzung für effektiven zivilen Ungehorsam. Mittlerweile verbinden die Aktivist*innen eine Autobahnblockade mit Forderungen an die Verkehrspolitik.
Wenn man gefährliche Infrastruktur blockiert, eine Militärbasis oder einen Atommülltransport, dann ist das unmittelbar nachvollziehbar. Die Autobahnblockaden verstehen immer noch nicht alle. Nach meiner Wahrnehmung besteht die aktuelle Strategie darin, verschiedene Protestformen auszuprobieren und zu gucken, was funktioniert. Das Ankleben an die Rahmen von Kunstwerken hat keine große Welle gemacht, der Kartoffelbrei auf dem Monet aber sehr wohl.
Hängt sich die Gesellschaft zu sehr daran auf, wie schlimm die „Kartoffelbrei-Attentate“ auf Kunstwerke in Museen sind? Oder beobachten Sie, dass die Letzte Generation auch eine gemeinsame Entwicklung fördert?
Ich hoffe doch sehr, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist. Man kann an der Berichterstattung über die Klimakrise sehen, dass die erste Phase der Klimabewegung, wo es darum ging, Bewusstsein für die akute Bedrohung und die Notwendigkeit von einer wirkungsvollen Klimapolitik zu schaffen, durchaus Niederschlag gefunden hat.
Ich fände ein Monitoring gut: Was sind geplante und mögliche Maßnahmen? Was spricht dafür, was spricht dagegen? Was ist der Effekt auf Emissionen durch spezifische Maßnahmen? Diese Fragen sollten nicht für einzelne Politikfelder, sondern übergreifend diskutiert werden.
*Nachtrag: Rettungsgassen seien von Anfang an im Blockadekonzept der Letzten Generation berücksichtigt worden. Herr Teune betont, dass er Straßenblockaden nicht als Gewalt verstehe.
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