
Neonazis feiern Sonnenwende: Ein Feuer wie beim Führer
Rund 80 deutsche Neonazis feiern in Tschechien Sonnenwende, singen Hitlerjugend-Lieder und beschwören das „germanische Volk“. Auch AfD-nahe Politiker sind dabei. Die taz war vor Ort.
A ls die Dunkelheit den Feuerplatz vollends umhüllt, beginnt der Trommler mit seinen Schlägen. Ganz regelmäßig schallt das Wummern durch die Nacht, es ist das Signal für die Frauen und Männer, ihre Zeremonie zu beginnen. Mit Fackeln in den Händen schreiten sie zum Takt im Kreis um einen Holzstapel, der sieben Meter in die Höhe ragt. Ganze Baumstämme sind dafür spiralförmig aufgeschichtet.
Als sie das Feuer entzünden, zucken die Flammen haushoch in den Himmel, ihr Schein erleuchtet die umliegenden Hügel und schimmert durch die nahestehenden Baumwipfel. Es beginnt ein ekstatisches Treiben: Die Gruppe fasst sich an den Händen und rennt um das Feuer – Frauen in Röcken in gedeckten Farben und mit Blumenkränzen, Männer in Leinenhemden und Kränzen aus Eichenlaub, ebenso zahlreiche Kinder, auch Kleinkinder, und solche im Grundschulalter. Schneller und schneller wird ihr Tanz und ihr Gebrüll. „Heil Sonnenwende“, schreien sie immer wieder durch die Nacht. „Heil Sonnenwende“, rufen auch die Kinder hinterher.
Es ist Samstag, der 21. Juni 2025. Rund 80 Neonazis sind an diesem längsten Tag des Jahres nach Višňová bei Frýdlant in Tschechien nahe der deutschen und polnischen Grenze zusammengekommen, um die Sonnenwende zu feiern.
Sie treffen sich konspirativ, sind unter anderem aus der sächsischen Oberlausitz über Polen nach Tschechien angereist, um unter sich zu bleiben. Doch die taz ist dabei, kann die ganze Veranstaltung beobachten, dokumentieren und später auswerten.
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Neonazis feiern Sonnenwende

Indoktrinierung und Vernetzung
Das Fest mit seinen Ritualen ist verstörend – und gefährlich: Kinder werden in eine rassistische Ideologie eingewöhnt, während sich zugleich eine politische Organisierung zeigt, die sonst im Hintergrund wirkt und einen „Kulturkampf“ betreibt, um völkisches sowie nationalsozialistisches Gedankengut fortleben zu lassen.
Es ist ein verschworener Kreis, mit Verbindungen auch zu mutmaßlichen Rechtsterroristen. Nach taz-Informationen tritt die Organisationsstruktur unter anderem unter dem unverfänglich-klingenden Namen „Kulturwerk Oberlausitz“ auf und organisiert sich in geschlossenen Social-Media-Gruppen.
Es sind Anhänger*innen einer rassistischen Volksgemeinschaft. Ihr ideologisches Gift verbreiten sie im Alltag wohl dosiert, um es auf Gemeindefesten oder Vereinstreffen zu normalisieren. Sie sind Sozialpädagogen, Ingenieure, Lokalpolitiker, Architekten und Zahnärzte.
Die Sonnenwendfeier in Tschechien dient der internen ideologischen Verfestigung: der politischen Indoktrinierung von Kindern, der Radikalisierung junger Erwachsener und der strömungsübergreifenden Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene. Auch ein paar Gleichgesinnte aus Tschechien sind dabei.
Verbindungen zu rechtsterroristischen Netzwerken: Einige Beteiligte stehen in Kontakt zu mutmaßlichen Rechtsterroristen der Gruppe „Sächsische Separatisten“, die im Fokus sicherheitsbehördlicher Ermittlungen steht.
Einbindung in parteipolitische Organisationen: Mehrere Personen haben Bezüge zur Nationalrevolutionären Jugend, der militanten Jugendorganisation der rechtsextremen Partei Der III. Weg. Ebenso bestehen Verbindungen zur NPD beziehungsweise ihrer Nachfolgepartei Die Heimat.
Kontakte zu regionalen Kameradschaften und Gruppen: Zu den einschlägigen Strukturen zählen die Kameradschaft „Schlesische Jungs“, der „Nationale Jugendblock Zittau“ sowie die „Wanderjugend Oberlausitz“, die alle durch völkisches Gedankengut und historische Bezüge zur nationalsozialistischen Jugendkultur geprägt sind.
Verknüpfung mit Kampfsport- und Gewaltstrukturen: Einige Teilnehmer sind in die Kampfsportgruppe „Wardon 21“ eingebunden oder waren aktiv beim inzwischen verbotenen Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“, das der Vernetzung gewaltbereiter Rechtsextremer diente.
Ideologische und propagandistische Netzwerke: Darüber hinaus lassen sich Verbindungen zur Identitären Bewegung nachweisen, ebenso wie zur rechtsextremen Designplattform Balaclava Graphics, die Propagandamaterial für die Szene gestaltet.
Unter den Teilnehmern finden sich auch deutsche Lokalpolitiker mit Nähe zur AfD: Markus W., einst Mitglied der inzwischen aufgelösten Nachwuchsorganisation Junge Alternative, Robert Thieme, der im Juni 2024 als parteiloser Kandidat für die AfD in den Zittauer Stadtrat antrat, sowie Thomas Christgen, der über die AfD-Liste in den Stadtrat von Niesky gewählt wurde, dort jedoch fraktions- und parteilos blieb.
Auf Nachfrage reagierten alle drei unterschiedlich – und dementierend: W. wollte sich zu Fragen nicht äußern, ließ aber durch seinen Anwalt unter anderem mitteilen, dass Sonnenwendfeiern zum „allgemeinen Brauchtum“ gehörten. Thieme wies in einer langen Antwort an die taz alle Vorwürfe zurück, verbietet jedoch gleichzeitig, seine Ausführungen zu zitieren. Christgen ließ Fragen der taz unbeantwortet.
NS-Lieder und Schwüre aufs „Germanische Volk“
In dieser Nacht Mitte Juni werden die Teilnehmenden am Feuer auf die „Ahnen“ schwören, auf das „Germanische Volk“ und dessen „Ewigkeit“ und ein „Heil der deutschen Jugend“ ausrufen. Gemeinsam singen sie auch Lieder des Nationalsozialismus: „Die Fackel geht von Hand zu Hand“ des NS-Dichters Heinrich Anacker sowie „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ von Hans Baumann, welches dieser für die Hitlerjugend schrieb.
Noch bevor das Feuer entfacht wird, stellt sich der Trommler an ein Pult inmitten der Runde um den riesigen Holzstapel. Ein Mann in Kniebundhose und Eichenlaubkranz auf dem Kopf tritt hervor. In der rechten Hand trägt er eine Fackel, mit der linken umklammert er ein etwa ein Meter langes Schwert, das ihm an der Seite im Ledergürtel steckt und dessen blanke Scheide den Schein eines kleinen Lagerfeuers reflektiert, das bereits entzündet ist.

Während der Mann um eine brennende Feuerschale herumschreitet, liest der Trommler gedichtete Sprüche vor. Er sagt Verse wie: „Den Ahnen weihe ich dieses Schwert, uns Enkeln war ihnen ihr Leben wert, im Schweiß für die Tat, im Blut für den Streit, haben sie uns ein deutsches Leben gezeigt.“
So geht das über mehrere Stunden: Gedichte über Feuer, Wasser, Erde, Licht, Schreittänze der Frauen, Schreittänze der Männer, Fackel-Kreise der Kindern, Schwüre auf „des Volkes Ewigkeit“, den „Sieg des Lichts“, dafür sich „niemals zu beugen“, „in Gedanken an unsere Brüder in Gefangenschaft“ und ein „Heil den Kameraden, die nicht unter uns stehen“.
Gideon Botsch, Professor für Politikwissenschaft
Die taz hat das dokumentierte Material dieses Treffens den Experten Gideon Botsch und Uwe Puschner vorgelegt. Botsch ist Professor für Politikwissenschaft und Leiter der „Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus“ an der Universität Potsdam, Puschner ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und ein Experte für die Völkische Bewegung. Beide kommen zu dem gleichen Ergebnis: „Die Sonnenwendfeier in Tschechien steht unzweifelhaft in den Traditionen von völkischer Bewegung und Nationalsozialismus“, erklärt Botsch. Puschner schließt sich dem an.
Solche Veranstaltungen seien laut Botsch „hochproblematisch und gefährlich“, da sie der Sozialisierung junger Menschen in völkisch-rassistische Lebenswelten dienten und dazu beitrügen, diese Ideologie zu verfestigen. Ziel sei es, die Teilnehmenden auf ein „kämpferisches Leben“ einzuschwören.
Nähe zur verbotenen „Artgemeinschaft“
In Bezug auf die Sonnenwendfeier in Tschechien erkennt Botsch eine klare ideologische Linie. Die dort gezeigten Rituale knüpften an die Praxis an, wie sie einst der Neonazi Jürgen Rieger in der völkisch-rassistischen Vereinigung „Artgemeinschaft“ entwickelt habe. Es gebe eindeutige Hinweise auf eine Nähe der dokumentierten Feier zu dieser Gruppierung. Ein zentrales Indiz dafür sei der verwendete Spruch „Heil Sonnenwende“, den Rieger laut Botsch „explizit als Praxis eingeführt“ habe.
Tatsächlich haben Teilnehmer der Sonnenwendfeier in der Vergangenheit an Treffen der „Artgemeinschaft“ teilgenommen.
Im Livestream am Donnerstag, 31. Juli, um 19 Uhr:
taz-Reporter Jean-Philipp Baeck spricht mit Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke und Dorothea Schneider aus Zittau über völkische Familien und rechte Alltagskultur. Seien Sie dabei: „Wo Rechte ums Feuer tanzen“
Die Nähe der Sonnenwendfeier zur „Artgemeinschaft“ könnte juristisch relevant sein: Die „Artgemeinschaft“ wurde 2023 in Deutschland verboten. Laut Bundesinnenministerium war sie eine sektenartige, rassistische und antisemitische Vereinigung, die die Ideologie der Rassenlehre und des Nationalsozialismus verbreitete, Kinder und Jugendliche indoktrinierte und die ideologische Grundlage für weitere rechtsextreme Organisationen wie die verbotene „Heimattreuen Deutschen Jugend“ bildete. Vom Kreis um die Artgemeinschaft gab es Verbindungen in gewalttätige Spektren, bis hin zum Rechtsterrorismus – etwa zum NSU und seinem Umfeld sowie zum Mörder von Walter Lübcke.
Eine Weiterbetätigung im Sinne der „Artgemeinschaft“ wäre verboten.
Polizei war in Tschechien nicht zu sehen
Doch am 21. Juni sind in Višňová weder tschechische noch deutsche Sicherheitskräfte vor Ort zu sehen. Tschechische Behörden wollten der taz dazu auf Anfrage keine näheren Angaben machen, der Bürgermeister der Gemeinde antwortete nicht auf mehrfache Nachfrage. Das Bundesamt für Verfassungsschutz äußerte sich nur allgemein zur Funktion von Sonnenwendfeiern für die Vernetzung und innere Festigung der rechtsextremistischen Szene und zur Indoktrination von Kindern.
Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen wollte „aus Geheimschutzgründen“ nicht viel Konkretes sagen, erklärte aber, dass sowohl die Aktivitäten sächsischer Rechtsextremisten in Tschechien als auch das „Kulturwerk Oberlausitz“ als Netzwerk bekannt seien.
Die Neonazis fühlen sich in Tschechien offenkundig unbeobachtet. Das merkt man schon am Nachmittag vor der abendlichen Feuerzeremonie beim Gang über das Gelände. Es ist von mehreren kleinen Wäldchen eingefasst und liegt auf der tschechischen Seite nur ein paar Meter von der polnischen Grenze entfernt hinter einem kleinen Hügel, der die Sicht zu den Wohnvierteln des Dorfes Višňová verdeckt.
Szenen wie aus der NS-Zeit
Tritt man aus dem Schatten der Bäume auf das lichte Feld, erinnert die Szenerie an einen Historienfilm. Ein kleines Lagerfeuer raucht, Menschen in Leinenhemden bereiten Essen vor. Auf der gemähten Wiese steht eine schwarze Jurte, daneben ist in einem großen Festzelt eine Tafel aufgebaut. Männer in weißen Leinenhemden und akkurat gezogenen Scheiteln schleppen Blechbottiche, zwischen ihren Beinen toben Kinder in ledernen Kniebundhosen.

Alles hier wirkt eingespielt. Der haushohe Feuerstapel ist zentral auf der Wiese bereits aufgeschichtet. An allen vier Himmelsrichtungen ist jeweils eine Feuerschale platziert, auch das Rednerpult steht schon bereit, sowie zwei hölzerne Toilettenhäuschen und ein Tankanhänger voll Wasser.
Hinter dem Festzelt parken Busse und ein Wohnmobil. Die Kennzeichen sind abgeklebt – so viel Vorsicht ließ man walten – obwohl die Ortskennungen sichtbar blieben. So, als wollten die Teilnehmenden auch mit ihren Nummernschildern zeigen, dass sie selbstverständlich Deutsche sind – in einem Gebiet, das für die Neonazis bis heute zu Großdeutschland gehört.

Den Ort haben die Neonazis wohl nicht zufällig gewählt. Auf der Spitze des nahen Hügels ragt eine markante Felsformation aus Rumburk-Granit in die Höhe, die „Pohanské Kameny“, die auf Deutsch „Heidensteine“ genannt werden. Sie sollen in vorchristlichen Zeiten als Kultstätte gedient haben. Zur Sonnenwende scheint die untergehende Sonne hier durch ein Loch zwischen den Felsen und in der Literatur wurden die Heidensteine bereits mit dem englischen „Stonehenge“ verglichen – eine Referenz, die bei der völkischen Bewegung beliebt ist. Die mittlerweile verbotene Gruppe „Artgemeinschaft“ hatte ihre Zeitrechnung „nach Stonehenge“ ausgerichtet. In einer ihrer Schriften hieß das Erscheinungsdatum da zum Beispiel „3804 n.St.“.
An jenem Samstagnachmittag schallen Kommandos von den Felsen auf die Wiese hinab. Jugendliche rennen den Hügel hinauf und betreiben eine Art Geländespiel. Rundherum hocken Frauen in langen Kleidern im Wald und flechten Haarkränze aus Wildblumen für das abendliche Spektakel.
Der gleiche Kreis ehrte 2024 einen SS-Offizier
So anziehend der Ort in Tschechien wirken mag – für die völkische Szene ist er nur ein Ausweichquartier. Im Jahr zuvor fand die gleiche Sonnenwendfeier im sächsischen Strahwalde statt. Auch dort war die taz vor Ort und dokumentierte, wie AfD-Lokalpolitiker gemeinsam mit anderen Teilnehmenden HJ-Lieder sangen und einen SS-Standartenführer ehrten.
Der Bericht sorgte für Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil kurz darauf zwei Teilnehmer, Kurt Hättasch und Kevin R., bei einer Razzia festgenommen wurden. Beide sollen zur rechtsterroristischen Gruppe „Sächsische Separatisten“ gehören, die über scharfe Waffen verfügt, paramilitärische Trainings absolviert und ethnische Säuberungen geplant haben soll. Hättasch war bis zu seiner Festnahme AfD-Kreisvorstandsmitglied im Landkreis Leipzig und Stadtrat in Grimma.

Die AfD reagierte mit einem Parteiausschlussverfahren – ebenso wie bei den Mitgliedern, die die taz als Teilnehmer der Sonnenwendfeier in Strahwalde nannte.
Vor allem Stephan Jurisch bemühte sich nach dem taz-Bericht um Schadensbegrenzung. Er hatte in Strahwalde vor einem Jahr die Sonnenwendfeier angemeldet, zu der das „Kulturwerk Oberlausitz“ eingeladen hatte. Vor rund fünf Wochen in Tschechien war Jurisch wieder dabei. Er ist zudem Bundesvorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland, eines rechtsextremen Vereins, der mit dem sogenannten „Trauermarsch“ in Dresden jahrelang eine der wichtigsten Neonazi-Demonstrationen Europas organisierte.
Jurisch antwortete der taz ausführlich auf eine Anfrage, hat jedoch verboten, daraus zu zitieren. Er weist alle Vorwürfe zurück.
Verharmlosung und Propaganda
Im November 2024 erschien in der Sächsischen Zeitung ein Artikel, in dem Jurisch länglich seine Sicht der Dinge über die Sonnenwendfeier des gleichen Kreises vor einem Jahr in Strahwalde darlegen durfte. Über deren „politische Ausrichtung“ werde „diskutiert“, schreibt die Sächsische Zeitung, obwohl der Verfassungsschutz die Sonnenwendfeier als rechtsextremes Event sogar in seinem Jahresbericht erwähnte.
Laut dem Artikel streitet Jurisch ab, dass es sich um eine politische und rechtsextreme oder mit NS-Elementen gestaltete Feier gehandelt habe. Es sei eine „private Feier“ von Leuten gewesen, „die sich untereinander kennen“, gleichwohl sei es für ihn „schwierig, alle Teilnehmer auf Parteizugehörigkeit und politischer Vita zu prüfen“, wie er sagt. Er habe mit der Sonnenwendfeier „keine politischen Ziele verfolgt“ und überhaupt sei er „kein politischer Mensch“. Was für ihn allerdings klar sei: In Strahwalde werde er keine Sonnenwendfeier mehr veranstalten. Ein Jahr später steht er mit gebundenem Kopfschmuck auf der Wiese in Tschechien.
Wenige Tage nach dem taz-Bericht im letzten Jahr war vor Ort noch versucht worden, alles als Missverständnis darzustellen. So veröffentlichte die Initiative „Zittau mit Zukunft“ Anfang August 2024 einen Film auf Youtube, der erklären sollte, dass hier lokales Brauchtum und Heimatkultur zu Unrecht diskreditiert wurden. „Zittau mit Zukunft“ gilt als Pegida-Ableger und AfD-nah und ist vor Ort gut vernetzt. Von Zittau ist es etwa eine Viertelstunde mit dem Auto nach Strahwalde. Robert Thieme, der vergangenes Jahr für die AfD für den Stadtrat von Zittau kandidierte und damals wie heute auf der Sonnenwendfeier dabei war, trat in Videos von „Zittau mit Zukunft“ mehrfach bei Aktionen auf. Thieme widerspricht dieser Darstellung.
In dem Film, der bis heute 8.000 Mal aufgerufen wurde, spricht eine Moderatorin von einer privaten Sonnenwendfeier, die „auf traditionelle Weise“ stattgefunden habe und „ein sehr schönes Familienfest“ gewesen sei und interviewt Anwohner*innen und Amateurhistoriker*innen, die ihr zustimmen.
Das Video ist Zeugnis dafür, wie rechtes Framing vor Ort funktioniert. Sonnenwendfeiern mit HJ-Liedern werden da zu einer harmlosen Familienfeier und „traditionellem Brauchtum“. Die Propaganda verfängt.
Blut-und-Boden-Ideologie in hipper Optik
Ein ähnliches Versteckspiel betreibt die „Wanderjugend Oberlausitz“ in der Gegend für ein jüngeres Publikum auf ihrem Instagram-Account. Die Gruppe ist nach taz-Informationen eng mit dem „Kulturwerk Oberlausitz“ verbunden, das hinter der Sonnenwendfeier in Tschechien steht.
Mindestens drei ihrer Mitglieder waren am 21. Juni in Višňová dabei.
Seit 2020 teilen die jungen Männern der Wanderjugend Fotostorys und Reels über ihre Ausflüge in die Sächsische und Böhmische Schweiz mit Lederrucksäcken, Scheitelfrisur und Gitarre. Es geht um „Erkundung in unserer schönen Heimat“, schreiben sie ihren 1.500 Followern.
Hinter der Lagerfeuerromantik verbirgt sich knallharte Blut-und-Boden-Ideologie. Aktivisten der Wanderjugend sind seit Jahren international mit der militanten Neonazi-Szene verbandelt, kämpften mehrfach auf rechtsextremen Kampfsportevents wie dem mittlerweile verbotenen „Kampf der Nibelungen“, marschierten auf NPD-Demos, zu Ehren Adolf Hitlers, und reisten auf Neonazi-Treffen nach Budapest.
Die vordergründig unverfängliche „Brauchtumspflege“ und vermeintliche Verbundenheit zu Heimat und Kultur nutzt die Wanderjugend ebenso wie das „Kulturwerk“ als ideologische Einstiegsdroge.
Rechte Familie im Dorfleben fest verankert
Wie diese Akzeptanzgewinnung für völkische und NS-Ideologie im Alltag funktioniert, lässt sich auch an mehreren Generationen der Familie Heyne beobachten. Mike Heyne, seine Frau Kathrin, ihr Sohn L.* und ihre Tochter S.* waren gemeinsam in Tschechien auf der Sonnenwendfeier.
Die Liste der rechtsextremen Aktivitäten der Heynes ist lang. Die Eltern Mike und Kathrin waren schon vor über 20 Jahren auf einer Tagung der heute verbotenen völkischen „Artgemeinschaft“ und blieben seitdem der Szene verbunden. Mike engagierte sich jahrelang als Ordner auf dem rechtsextremen Trauermarsch in Dresden und besuchte 2019 mit seiner Tochter S. das rechtsextreme Kampfsportevent „Tiwaz“. Erst im August 2024 protestierten Mike und Kathrin gemeinsam auf einer Demo der Neonazi-Partei III. Weg gegen eine CSD-Parade in Zeitz.
Sohn L.* ist mit der „Nationalrevolutionären Jugend“ unterwegs, der Nachwuchsgruppe des III. Weg, die hinter einigen gewaltsamen Angriffen vermutet wird, die in den letzten Monaten in Ostdeutschland stattfanden. In den sozialen Medien macht er seine Wertschätzung des Nationalsozialismus deutlich.
Andrea Röpke, Expertin für Rechtsextremismus
All das scheint in ihrem Wohnort in Droyßig in Sachsen-Anhalt allerdings nicht groß zu stören. Im Gegenteil: Mike und Kathrin Heyne sind eingebunden ins Gemeindeleben. Droyßig liegt im Burgenlandkreis und hat unter 2.000 Einwohner*innen. Bei der Bundestagswahl erreichte die AfD hier knapp 40 Prozent und damit die mit Abstand meisten Stimmen.
Mike und Kathrin Heyne engagieren sich hier im „Kulturverein Gemeinde Droyßig“, der seit 2017 die „Heimatpflege und das traditionelle Brauchtum fördern“ will und dabei Ostereiersuche und Seifenkistenrennen veranstaltet. Eine der Hauptattraktionen in Droyßig ist das jährliche „Maibaumsetzen“. Mike Heyne führte als „Maibaumrichter“ jahrelang die Regie, Kathrin Heyne lieferte selbstgebundene Kränze und eine weitere Heyne-Tochter spielte dazu schon mal Akkordeon. Bei allem half die Ortsfeuerwehr.
All das lässt sich in Berichten des Amtsblattes der Gemeinde nachlesen. 2018 führt Mike Heyne eine „Einheitskleidung“ für die Maibaumburschen ein, welche „offensichtlich gut ankam“, wie er selbst im Amtsblatt lobt. Wenige Monate später nimmt er am Festival „Rock gegen Überfremdung“ in Apolda teil.
Weder Mike noch Kathrin Heyne oder ihre Kinder L* und S* Heyne reagierten auf Anfragen der taz.
Kinder wachsen in völkischer Gedankenwelt auf
Wer wie Heynes Sohn L* oder Tochter S* aufwächst, hat ohne Intervention von außen kaum eine Chance, der rechtsextremen Ideologie zu entkommen. Sie sehen, wie Vater und Mutter in der Gemeinde akzeptiert sind, erleben rechtsextreme Events und wachsen in einem völkischen Kultglauben auf.
So, wie auf der Sonnenwendfeier in Tschechien.
Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke warnt davor, dieses Problem zu unterschätzen: „Wir wundern uns, wenn Kinder und Jugendliche aggressiv in Nazi-Kleidung durch die Straßen ziehen, schauen aber weg, wenn sie zu Tausenden im Hintergrund von fanatischen Eltern bei Brauchtumsfeiern genau dazu geschult werden“, sagt sie der taz.
Röpke ist Autorin des Buches „Völkische Landnahme“ und befasst sich seit vielen Jahren mit der Szene. Der Nachwuchs lerne durch die Eltern eine hasserfüllte Erlebniswelt kennen – und niemand interveniere. Aus Sicht Röpkes müssten nicht zuletzt Jugendämter und Polizei besser geschult werden. „Völkische Ideologie ist der Kern des Rechtsextremismus, völkische Kulturarbeit dient dazu, ein antidemokratisches Stimmungsbild zu erzeugen“, sagt Röpke. „Das dürfen wir nicht zulassen.“
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