Konservative Politik: Arbeit für die Aufräumer
Ob Scheuer, Spahn oder Dobrindt – rechte Akteure hinterlassen gern einen Scherbenhaufen. Oft kommen sie dann auch noch ungeschoren davon.

E in bislang unterschätztes politisches Phänomen ist die zerstörerische Wirkung konservativer Politik. Es wird zwar darüber berichtet, gerade wieder, wie etwa der damalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn während Corona zwischen Egomanie und Dilettantismus oszillierte oder wie Alexander Dobrindt heute europäisches Recht zerlegt – aber die systemische Dimension dieser Politik gewordenen Mischung aus Arroganz, Rechtsvergessenheit, Wurstigkeit und reinem Machtkalkül ist bislang unterbelichtet.
Dabei hat es Konsequenzen für die gesamte politische Architektur, weil es die Parteien links der konservativen, christdemokratischen oder rechten Parteien, wie auch immer man es nennen mag, dazu zwingt, sich als Korrektiv zu definieren, als Aufräumer, als Wieder-richtig-Macher. Was dabei über die Jahre und Jahrzehnte verloren gegangen ist, siehe SPD, ist eine eigene Vorstellung davon, wie Politik aktiv so gestaltet werden kann, dass sie ein Zukunftsversprechen formuliert.
Besonders symptomatisch erscheint dabei der Fall Jens Spahn, der harte Positionen nach außen vertritt, etwa im Fall von Migration oder auch der Anerkennung der AfD als normaler Partei, der also dezidiert eine autoritäre Version konservativer Politik vertritt – und dem gleichzeitig aktuelle Recherchen zum Thema Corona und Maskenbeschaffung ein Maß an Amateurhaftigkeit, Überforderung und Ich-Fixiertheit bescheinigen, die wie eine Petrischale konservativen Versagens erscheinen; und die einen Schaden in Milliardenhöhe nach sich ziehen könnten.
Die Muster jedenfalls ähneln sich, und es sind vor allem oder ausschließlich Männer, denen dieses Maß an Beratungsresistenz, Engstirnigkeit und Karrieredrang attestiert wird. Eine immer noch gültige Blaupause dieser Form der konservativen Scharlatanerie ist dabei Andreas Scheuer, früherer CSU-Verkehrsminister, der gegen alle Ratschläge und die Rechtslage seine Autobahnmaut-Idee durchdrücken wollte und einen schockierend hohen Millionen-Schaden produziert hat, für den er nicht und niemand sonst geradestehen muss.

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Und keiner wird belangt
Dieses Fehlen von Konsequenzen und die vorgeführte Verantwortungslosigkeit konservativer Politiker, die mit ihrem demokratischen Handwerkszeug ringen, hat destruktive Auswirkungen weit über den finanziellen Schaden hinaus. Die Rechtsbrüche zeugen dabei von einer Form von Staatsverdrossenheit seitens der Akteure, die die Schwundstufe konservativer Politik nach Jahren der neoliberalen Indoktrination vorführt.
Die Folgen haben alle zu tragen – der desolate Zustand der Deutschen Bahn ist direkt auf das Versagen konservativer Verkehrsminister zurückzuführen. Wie etwa Alexander Dobrindt, der es dennoch – und das ist ein Designelement dieser dilettantischen Politikform – immer weiter nach oben geschafft hat, aktuell zum Innenminister, und der sich eigentlich auch um die Rechtssicherheit in diesem Land kümmern sollte.
Er setzt beim Thema Migration, das vor allem eines nicht verträgt: Ideologie – er setzt genau Ideologie gegen Recht und Vernunft, was nicht nur zu gesellschaftlicher Entsolidarisierung führt, sondern auch zu europäischer Entfremdung. Zusammen genommen ergeben diese Fälle mehr als die Pathologien einzelner Personen – es entwickelt sich eine Form von Politik, wie sie in avancierter Weise in den USA zu beobachten ist, wo gerade eine längere Recherche zum Thema DOGE gezeigt hat, mit welcher brachialen Inkompetenz auch hier rechte Akteure zerstörerische Wirkung erzeugen, gezielt und gewollt.
Am Beispiel von Elon Musk zeigt sich die größere Verschiebung von konservativer Politik, weg von einem konstruktiven Verständnis von Gesellschaft, hin zu tiefer Staatsskepsis. Das Dilemma linker oder sozialdemokratischer oder grüner Politik ist dabei, dass sich diese Parteien leicht in die Rolle der Verteidiger des Status Quo bringen lassen – allein deshalb, weil es notwendig erscheint und manchmal auch politisch opportun, wenn man etwa keine eigenen Vorstellungen hat, wie es anders gehen könnte.
Die gesellschaftliche Energie mobilisieren
Diese Position aber ist nicht nur unattraktiv, weil sie etwa auch Institutionen und Prozesse verteidigen hilft, die kritisiert werden sollten – sie führt zu politischer Passivität. Das ist der böse Trick und die tückische Dynamik konservativer Scherbenpolitik: In der gegenwärtigen politischen Architektur führt sie dazu, dass die einen auf die anderen reagieren müssen, dass sie sich um Lösungen für Probleme kümmern müssen, die aus ideologischer Borniertheit oder massiven Interessen entstanden sind – statt sich mit der Lösung von wirklichen Problemen zu befassen, etwa eine nachhaltige Energieversorgung, die Vorbereitungen auf den Klimawandel oder die KI-Revolution.
ist Mitarbeiter beim Thinktank „ProjectTogether“, Fellow beim Max-Planck-Institut für religiöse und ethnische Diversität in Göttingen, und er schreibt auf Substack den Newsletter „Überleben im 21. Jahrhundert“. Frisch im Aufbau-Verlag: „Kipppunkte. Von den Versprechen der Neunziger zu den Krisen der Gegenwart.“
Diese Art von Politik führt damit zu einer weiteren Entpolitisierung und letztlich zu einer Entdemokratisierung – nicht nur, weil das Vertrauen in die handelnden Akteure und das demokratische System geschwächt wird, sondern auch, weil die Kapazitäten des Systems eben gebunden sind durch überflüssige Nebenaktionen. Die demokratische Praxis funktioniert im Parlamentarismus auch nur, wenn sich die Beteiligten an die Regeln halten – ist das nicht der Fall, braucht es ein System-Update.
So gesehen ist das Verhalten von Jens Spahn und seinen Kollegen auch ein Zeichen für die Notwendigkeit, die demokratische Praxis zu demokratisieren. Wenn es keine Verantwortlichkeit gibt in einem System, verliert dieses System das Vertrauen derjenigen, für die es gemacht ist. Es muss deshalb darum gehen, eine Demokratie zu erschaffen oder zu ermöglichen, die die gesamte Energie der Gesellschaft nutzt und nicht dem Eigensinn Einzelner ausgesetzt ist. Das muss die politische Anstrengung sein, bis 2029 und darüber hinaus.
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