Wagenknecht und Weidel im TV-Duell: Und die Brandmauer? Leidet
Weidel verharmlost die AfD, Wagenknecht hilft ihr dabei. Das TV-„Duell“ war für beide ein Erfolg, und auch für den Springer-Sender Welt TV.
Am Ende ging es um Venezuela, ausgerechnet. Die beiden Frauen sprachen durcheinander und fielen sich ins Wort, es wurde turbulent. Alice Weidel warf Sahra Wagenknecht vor, früher einmal für das südamerikanische Land geschwärmt zu haben, eine ähnliche Staatswirtschaft schwebe ihr nun für Deutschland vor. „Völliger Unsinn“, konterte Wagenknecht kühl. Aus „reinem Trotz“ habe sie früher Dinge vertreten, die sie heute für abenteuerlich halte. Aber das sei 20 Jahre her. Heute sei sie eine überzeugte Marktwirtschaftlerin, wie man in ihren Büchern nachlesen könne, und wolle den Mittelstand stärken.
Es war der einzige Moment, in dem die AfD-Chefin zum Gegenangriff überging. Ansonsten gab sich Weidel beim breit beworbenen „TV-Duell“ des Nischensenders Welt TV im Neubau des Axel-Springer-Konzerns in Berlin ihrer Kontrahentin gegenüber freundlich und zugewandt und versuchte, die Gemeinsamkeiten mit ihr zu betonen. Doch Wagenknecht ließ sie kühl auflaufen und ging Weidel von Beginn an frontal an: Die AfD hätte sie als „Steigbügelhalterin“, „U-Boot“ und „nützliche Idiotin der Altparteien“ beschimpft, nur weil ihre Partei in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nun Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD führe. Das sei „ehrenrührig“, empörte sich Wagenknecht.
Tatsächlich sind sich beide Parteien bei vielen Themen oft nah, das wurde an diesem Abend deutlich. Nur beim Thema Wirtschaft, das der Moderator Jan Philipp Burgard, Chefredakteur des Senders, am Anfang in den Mittelpunkt stellte, hoben beide die Unterschiede hervor. Weidel, im dunklen Blazer und Perlenkette, machte sich für Steuersenkungen und die Schuldenbremse stark. Wagenknecht, im limettengrünen Kostüm, forderte, dass der Staat mehr in die Infrastruktur investiert und dafür auch günstige Kredite aufnimmt. Das Bürgergeld zu kürzen und für ausländische Staatsbürger zu streichen, wie es die AfD vorschlägt, geht Wagenknecht zu weit. Als der Moderator sie kurz als ehemalige „Kommunistin“ bezeichnet, entgegnet Wagenknecht brüsk: „Kommen sie mir nicht auf die Tour.“
Einig gegen die Ukraine
Einig sind sich Weidel und Wagenknecht mit Blick auf die Ukraine. Beide sprachen sich für einen nicht näher definierten „Verhandlungsfrieden“ aus. Als Wagenknecht ihre bekannten Standpunkte abspulte, die Osterweiterung der NATO für den Krieg mit verantwortlich machte und die „Maximalziele von Selenskij“ verwarf, sagte Weidel nur: „Das sind AfD-Positionen.“ Woraufhin sich Wagenknecht empörte: „Frau Weidel, das ist ein bisschen billig.“
Beim Thema Nahost hatte sie dann aber Gelegenheit, ihr BSW als „wahre Friedenspartei“ von der AfD abzusetzen. Alice Weidel betonte das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, das „um seine Existenz“ kämpfe. Weidel forderte, dem UN-Hilfswerk UNWRA die Gelder zu streichen und sagte zu palästinensischen „Ausschreitungen auf unseren Straßen“: „Wenn die AfD in der Regierung säße, wären die Krawallbrüder nicht mehr in diesem Land!“
Wagenknecht dagegen prangerte Israels „barbarische Kriegsführung“ und Kriegsverbrechen in Gaza an. Die „Idee, dass sich Terror mit Terror bekämpfen lässt“, sei falsch. Deutschland müsse mehr Druck auf Netanjahu für eine Zweistaatenlösung machen und ein Waffenembargo verhängen. Weidel pflichtete ihr da plötzlich überraschend bei und forderte, keine deutschen Waffen nach Israel zu liefern. Andere Länder könnten das tun. Aber „wir“ könnten uns ja schon „selbst nicht verteidigen“.
Höcke als Hindernis
Überraschend war auch, wie stark Wagenknecht die AfD beim Thema Migration attackierte. Weidel behauptete, unter „Remigration“ lediglich zu verstehen, das Recht durchzusetzen, das durch Angela Merkel „außer Kraft“ gesetzt worden sei. Wagenknecht dagegen sagte, Björn Höcke wolle 20 bis 30 Millionen Menschen abschieben, und würde Ressentiments schüren. „Da wird mir übel.“
Überhaupt, Höcke: Eine ganze Passage las Wagenknecht aus einem Buch von Höcke vor, um zu zeigen, wie tief er „im Neonazi-Sumpf“ stecke. „Ich will nicht, dass so ein Mann Macht bekommt“. Die AfD sei „eine differenzierte Partei“. Aber Weidel tue zu wenig dagegen, „dass die Höckes in ihrer Partei immer stärker werden“, sondern würde dies als „charmantes Gesicht an der Spitze“ kaschieren. Dabei habe sie selbst 2017 noch Höcke aus der Partei werfen wollen, warf Wagenknecht ihr vor.
Mit anderen Worten, so konnte man die Botschaft verstehen: Ohne Höcke könnte Wagenknecht es sich vorstellen, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Schließlich wollten die Wähler beider Parteien doch „Veränderung“, so Sahra Wagenknecht.
Ein Erfolg für Weidel
Für alle Beteiligten war die Sendung ein großer Erfolg: für den Nischensender Welt TV, dem mit seinem „Duell“ wieder einmal ein Ereignis gelungen ist, über das man spricht. Schon mit dem TV-Duell zwischen dem Thüringer CDU-Politiker Mario Voigt und seinem AfD-Konkurrenten Björn Höcke hatte er Aufsehen erregt. Nun ging es um die Bundespolitik. Die Tatsache, dass Spiegel-Chefredakteurin Melanie Amann und Zeit-Redakteurin Mariam Lau im Anschluss auf Welt TV über den Showdown der beiden Politikerinnen diskutierten, trug ebenfalls dazu bei, das Event der Konkurrenz aufzuwerten.
Für Weidel war es ein Erfolg, weil sie sich dabei als ganz normale Politikerin präsentieren, ihre Partei verharmlosen und sich als salonfähig geben konnte. Im Anschluss stand sie den anwesenden Journalisten noch für Fragen zur Verfügung, während Wagenknecht nach der Sendung sofort wieder verschwand.
Wagenknecht ging als größte Siegerin vom Platz. Sie dominierte die Sendung, wirkte kompetenter und – in ihrer Körpersprache wie in ihren Positionen – souveräner als Weidel, die an einer Stelle sogar unmotiviert in nervöses Lachen ausbrach, als es um Donald Trump ging. Zugleich demonstrierte Wagenknecht mit ihrem Auftritt, dass sie gegenüber der AfD keine Berührungsängste hat, sondern nach allen Seiten offen ist.
Da geht noch mehr
Wagenknecht zieht keine Brandmauer zur AfD, sondern nur zu Björn Höcke: Das machte sie deutlich. Auch in den Parlamenten deutet sich eine Annäherung an. Im Bundestag hat sich nahezu die gesamte AfD-Bundestagsfraktion einem BSW-Antrag angeschlossen, der fordert, einen Corona-Untersuchungsausschuss einzusetzen. Im sächsischen Landtag haben beide Parteien ebenfalls einen Corona-Untersuchungsausschuss beantragt, allerdings getrennt. Das BSW hat mit seinem Antrag CDU und SPD überrumpelt, mit denen es Koalitionsverhandlungen führt. Gut möglich, dass das BSW am Ende den AfD-Antrag unterstützt oder umgekehrt.
Diese Annäherung zeigt: Da geht noch etwas.
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