Verschwörungsideologen im Flutgebiet: Die ausgeschlachtete Katastrophe

„Quer­den­ke­r“ und Neonazis kampieren im überfluteten Ahrweiler in einer Schule, um Propaganda zu verbreiten. Die Polizei lässt sie gewähren.

Opfer der Flutkatastrophe sitzen erschöpft neben einem riesiegen Hausen Schutt in einer Häuserschlucht

Betroffene in Bad Neunahr-Ahrweiler: Zu allem Überfluss kommen jetzt auch noch die Quer­de­nke­r Foto: Bram Janssen/ap

BERLIN taz | Während nach der Flutkatastrophe im Landkreis Ahrweiler am Mittwochmorgen noch 155 Personen vermisst werden und allein in Rheinland-Pfalz 122 Menschen gestorben sind, haben Neonazis und Ak­ti­vis­t*in­nen aus der verschwörungsideologischen Querdenker-Szene das Hochwassergebiet als Aktionsfeld entdeckt. Personen aus diesem Spektrum machen seit einigen Tagen Ad-hoc-Aktionen mit Schwerpunkt im besonders betroffenen Landkreis Ahrweiler.

Organisiert in Telegram-­Chat­gruppen und befeuert vom Chefideologen der Querdenker, Bodo Schiffmann, kampieren einige Personen aus dem Spektrum offenbar in einem Schulgebäude in Bad Neuen­ahr-­Ahr­wei­ler. Sie nennen es „Kommandozentrale“, erteilen „Marschbefehle“ und wollen unter dem Vorwand Hilfe zu leisten, offenbar Menschen vor Ort und über die sozialen Medien indoktrinieren.

Auf Videos aus der Region ist auch Nikolai Nerling zu sehen, ein verurteilter Holocaust-Leugner aus Berlin, der auf Querdenken-Demos mitmischte und nun in Ahrtal Einsatzkräften im Weg steht. Ebenso sollen weitere Neonazis vor Ort gewesen sein. Schiffmann, coronaleugnender HNO-Arzt, hat per Paypal über seine Telegram-Gruppe rund 600.000 Euro gesammelt, die angeblich ausschließlich Flutopfern zugutekommen sollten. Mittlerweile heißt es, dass auch Un­ter­stüt­ze­r*in­nen damit finanziert werden sollen, also möglicherweise die Quer­den­ke­r*in­nen und Neonazis vor Ort. Schiffmann verbreitet parallel über seinem Telegram-Kanal mit 145.000 Abonnent*in­nen Desinformationen über die Pandemie sowie mobile Impfangebote im Katastrophengebiet.

Ansonsten regt er sich dort darüber auf, dass ein Unternehmer seine Chemie-Klos nicht den Querdenkern zur Verfügung stellen wollte, sondern nur mit richtigen Hilfsorganisationen zusammenarbeite. Am Dienstagabend weinte er komplett wirr im Stream vor laufender Kamera, verglich seine Situation mit der von Jesus und mutmaßte, ob die Katastrophe eine von Gott herbeigeführte Sintflut sei, weil die Menschen das Regenbogen-Symbol missbraucht hätten.

Fake-News aus dem Fake-Polizeiauto

Aus der Krisenregion kursieren unterdessen Bilder von einem Transporter, der einem Polizeifahrzeug ähnelt, und per Lautsprecher Falschinformationen verbreitet. Laut Polizei ist von mehreren Fahrzeugen wahrheitswidrig verbreitet worden, „dass die Polizei, Hilfs- und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduziert“. Die Polizei Koblenz warnte am Dienstag zudem, dass sich Rechtsextremisten „als Kümmerer vor Ort ausgeben“. Man habe die Lage im Blick, könne aber nichts tun, solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen werde. Man werde „mit aller Entschiedenheit“ einschreiten, wenn die Lage für politische Zwecke missbraucht würde, hieß es.

Vor diesem Hintergrund dürfte interessant sein, inwiefern es sich bei der Nutzung des Schulgebäudes um eine Besetzung handelt oder die Nutzung womöglich sogar mit Erlaubnis der Schulleitung stattfindet. Weder Polizei noch Innenministerium gaben bislang dazu Auskunft. Laut dem Nachrichtenportal T-online hat die Stadtverwaltung erklärt, kein Einverständnis zur Nutzung gegeben zu haben. Lehrerzimmer und Sekretariat würden nicht mehr genutzt, heißt es von dort. Andere Räume der Schule dürften also demgegenüber noch von Quer­den­ke­r*in­nen in Beschlag genommen sein. Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz von Minister Roger Lewentz (SPD) spricht auf taz-Anfrage „von einer dynamischen Lage vor Ort“.

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Politikwissenschaftler Josef Holnburger von Cemas, einem Thinktank zu Verschwörungsideologien, sagte der taz, dass die Szene sich durch die Aktionen Zulauf verspreche: „Die letzten Querdenken-Demos sind gefloppt, die Telegram-Kanäle der Szene stagnieren größtenteils. Schiffmann hat sogar in einem Video direkt gesagt, dass er sich über die Flutkatastrophe freue – weil über diese die Menschlichkeit wiedergefunden würde. Für Querdenker ist die Katastrophe ein Moblisierungs- und Erweckungsmoment“. Vor Ort träfen immer mehr Streamer der Szene ein – unter anderem sei mittlerweile ein kostenloser Shuttlebus aus Berlin angekommen. Holnburger sagt: „Es hat den Charakter von Katastrophensensationalismus.“

Besonders getriggert seien die Querdenker davon, dass gleichzeitig im Gebiet geimpft werde, so Holnburger: „Es ist unter anderem die Rede davon, dass die Flutkatastrophe auf eine Wettermanipulation des Staates zurückgeht.“ Man kenne es bereits aus der rechten Szene, dass Katastrophen instrumentalisiert würden, um sich als Anpacker darzustellen, sagt Holnburger. Deswegen überrasche es ihn nicht, dass auch der Holocaustleugner Nerling vor Ort sei. Verschwörungsideologien bauten die Erzählung mächtiger Eliten auf, die man als das abgrund tiefe Böse bekämpfe. Neue Ereignisse könne man in dieses Narrativ einbetten, deswegen sei Verschwörungsdenken auch ein ideologisch geschlossenes Weltbild.

Unterdessen radikalisiert sich die Szene in Untergruppen und internen Chats: Es gibt erste Stimmen, dass man Flutopfer wörtlich „in ihrer eigenen Scheiße verkommen lassen“ wolle, wenn diese gegen Mas­ken­geg­ne­r*in­nen seien, wie es in einer Gruppe heißt, die laut Szene-Kennern von “Querdenken-Watch“ in Kontakt mit der selbst ernannten Kommandozentrale steht. Dort war auch die Rede davon, nur denjenigen zu helfen, die ungeimpft seien.

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