Verschärfte Sanktionen im Bürgergeld: „Zurück im alten Hartz-IV-System“
Bürgergeldempfänger müssen mit schärferen Sanktionen rechnen. Nicht sinnvoll, findet SPD-Abgeordnete Annika Klose und kündigt Widerstand an.
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taz: Frau Klose, Olaf Scholz hat die geplanten Verschärfungen von Sanktionen und Meldepflichten für Bürgergeldempfänger:innen in der Sommerpressekonferenz verteidigt. Man müsse die Leute eben „ermuntern“, Arbeit anzunehmen. Wie finden Sie das?
Annika Klose: Ich habe Verständnis dafür, dass der Kanzler das verteidigt, denn er muss die Regierungseinigung verteidigen. Aus fachlicher Sicht finde ich diese Verschärfungen aber überhaupt nicht sinnvoll.
taz: Warum nicht?
Klose: Wenn man sich die Studienlage anschaut, dann stimmt es zwar, dass Arbeitslose mit schärferen Sanktionen schneller einen Job annehmen. Aber es zeigt sich eben auch, dass es nachhaltig negative Auswirkungen auf das Lohnniveau hat. Und im Hartz-IV-System haben wir gesehen, dass sich ein Dreh-Tür-Effekt eingestellt hat, wenn die Leute Jobs angenommen haben, die nicht zu ihnen passen. Und deshalb glaube ich, dass der Weg zum Bürgergeld, wie wir ihn ursprünglich geplant haben, der sinnvollere ist.
taz: Auch SPD-Wähler:innen, sehen das anders. Das Bürgergeld gilt mittlerweile als „bedingungsloses Grundeinkommen“, Leute, die wenig verdienen, haben demnach kaum mehr Geld in der Tasche als Leute, die nicht arbeiten.
Klose: Definitiv hat das Bürgergeld ein Imageproblem. Was aber auch daran liegt, dass es andauernde Hetzkampagnen von rechts dagegen gibt. Dabei wird auch mit Missinformationen gearbeitet.
taz: Zum Beispiel?
Klose: Das Bürgergeld ist eben kein bedingungsloses Grundeinkommen. Es gab und gibt die ganze Zeit Mitwirkungspflichten. Es gibt auch jetzt Sanktionen. Unser Ansatz ist aber, die Menschen besser zu beraten, zu unterstützen und zu qualifizieren, damit sie in einen Job kommen, der zu ihnen passt. Das ist nach wie vor sinnvoll und ich glaube, dafür gäbe es auch gesellschaftliche Zustimmung.
taz: Aber warum dringen Sie damit nicht durch?
Klose: Das Problem ist, dass die vielen sinnvollen Instrumente, die wir eingeführt haben, daran scheitern, dass den Jobcentern das nötige Geld nicht zur Verfügung steht. Und sie sind zum anderen personell sehr stark mit der Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer gebunden.
taz: Es gibt Kritik daran, dass geflüchtete Ukrainer:innen sofort Zugang zum Bürgergeld hatten, die Beschäftigungsrate aber nach wie vor mit 27 Prozent sehr niedrig ist. Schmälert also das Bürgergeld den Anreiz arbeiten zu gehen?
Klose: Sicher sind 27 Prozent noch nicht zufriedenstellend. Aber Deutschland hat eben den Weg gewählt, den Leuten zunächst Gelegenheit zu geben, Deutsch zu lernen, damit sie langfristig eine Perspektive haben. Das finde ich genau richtig. Denn wir sehen ja, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sehr häufig gute Deutschkenntnisse erwarten. Andere Länder sind da im Vorteil. In den Niederlanden kommt man beispielsweise mit Englisch sehr viel weiter, in Polen ist die Sprachbarriere nicht so hoch. Mit dem Jobturbo setzen wir jetzt darauf, dass die Menschen anfangen zu arbeiten und nebenher weiter Deutsch lernen. Und zudem entlastet es auch die Kommunen finanziell und organisatorisch, wenn geflüchtete Ukrainer:innen nicht übers Asylbewerberleistungsgesetz von ihnen betreut werden müssen. Für Bürgergeldempfänger:innen sind die Jobcenter und damit der Bund zuständig, der auch finanziell einen höheren Anteil übernimmt.
taz: Wie viel ist vom ursprünglichen Bürgergeld-Gedanken noch übrig, weniger zu gängeln? Die nun geplanten Verschärfungen erinnern sehr an das alte Hartz-IV-Prinzip: Fordern und fördern.
Klose: Wenn die Sanktionen so kommen, wie der Regierungsentwurf es vorsieht, dann wären wir in diesem Punkt zurück im alten Hartz-IV-System. Und mit den verschärften Sanktionen sogar einen Schritt weiter. Eine vollständige Streichung des Regelsatzes gab es zuletzt nicht einmal bei Hartz IV. Aber es gibt auch noch wichtige Bestandteile des Bürgergeldes, die bleiben: der Kooperationsplan für individuelle Unterstützung. Auch die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs bleibt, Menschen sollen eben nicht in die nächstbeste Arbeit vermittelt werden, sondern Qualifizierung wird gleichrangig gefördert. Auch Coaching und der soziale Arbeitsmarkt sind weiterhin wichtige Instrumente, die allerdings alle vom Etat der Jobcenter abhängen. Und die aktuelle Haushaltseinigung sieht für die Eingliederungs- und Verwaltungstitel der Jobcenter weniger Geld vor. Das heißt also: Das Gesetz kann so gut sein, wie es will, es muss auch umgesetzt werden.
taz: Falls nicht, ist man also zurück bei Hartz IV. Stemmt sich die SPD dagegen oder knickt sie ein?
Klose: Da regt sich Widerstand. Auch unser Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich hat angekündigt, dass man sich das im parlamentarischen Verfahren sehr genau anschauen wird. Das höre ich auch von vielen Fachkolleginnen und -kollegen. Wir werden sehr genau prüfen, was sinnvoll ist und was nicht.
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