Verordnungen gegen Pandemie: Corona-Verstoß? Ab in Haft!
In Bayern wandern Menschen, die sich nicht an Corona-Auflagen halten, auch in Haft. Juristen kritisieren die strengen Verordnungen scharf.
Er habe seine Mittagspause mit einer Freundin auf einer Bank am Königsplatz verbracht, als Polizisten gekommen seien und ihm erklärt hätten, dass dies gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen verstoße, erzählt Prudlo, der auch Vorsitzender der ÖDP in München ist. „Wir saßen aber meterweit von anderen entfernt. Also habe ich das nicht akzeptiert.“
Ein darauf erteiltes Bußgeld sei für ihn noch okay gewesen, der folgende Platzverweis aber nicht, sagt Prudlo. „Es gab ja keinerlei Gefährdung von anderen.“ Daraufhin habe ihn die Polizei für zwei Stunden in Gewahrsam genommen.
Die Münchner Polizei bestätigt diese Schilderung. Prudlo sei im Rahmen von Kontrollen der Corona-Verordnungen angetroffen worden und „auf Konfrontationskurs“ gegangen, heißt es in einer Mitteilung. Nachdem er einem Platzverweis nicht Folge leistete, sei er in Gewahrsam genommen und nach einer „Betroffenenanhörung“ wieder entlassen worden.
Mehrere Stunden Haft
Für Prudlo war die Geschichte damit aber noch nicht beendet. Denn nun wollte der Münchner sehen, „wie weit der Rechtsstaat in diesen Zeiten geht“, wie er einräumt. Also setzte sich Prudlo mit einem Buch ganz in der Nähe erneut in die Sonne – wo ihn erneut die Polizisten antrafen.
Wieder verweigerte Prudlo einen Aufbruch. Und landete erneut im Gewahrsam, diesmal mit richterlichem Beschluss und für mehr als vier Stunden. Erst um 22 Uhr am Abend wurde Prudlo wieder entlassen – nun mit zwei Anzeigen wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz im Gepäck.
„Worum geht es bei diesen Maßnahmen eigentlich?“, schimpft Prudlo. Er stehe ja hinter der Notwendigkeit eines Infektionsschutzes gegen das Corona-Virus und halte die nötigen 1,5 Meter Abstand zu anderen Menschen ein. „Aber die Maßnahmen sind inkonsequent und werden teils völlig unverhältnismäßig ausgelegt“, sagt Prudlo. „Geht es hier wirklich noch um den Schutz? Oder darum, den starken Mann zu markieren?“
Prudlo ist mit seinem Ärger nicht mehr allein. Denn bundesweit sind wegen der Corona-Pandemie derzeit Einschränkungen im öffentlichen Leben verhängt, die weit in die Grundrechte eingreifen – Bund und Länder begründen dies mit dem Schutz von Menschenleben. Wie die Verordnungen indes umgesetzt und kontrolliert werden, variiert von Bundesland zu Bundesland – und Bayern geht hier mit besonderer Strenge voran.
Inzwischen befinden sich in Bayern drei Männer gar in mehrtägiger Haft wegen wiederholter Verstöße gegen die Corona-Beschränkungen – ein 22-Jähriger und 27-Jähriger aus Landshut sowie ein 34-Jähriger aus Bamberg. Der 27-jährige Landshuter landete schon vor anderthalb Wochen das erste Mal für fünf Tage in Gewahrsam, weil er sich laut Polizei wiederholt und „unbelehrbar“ mit einem Freund „zum Alkoholtrinken und Rauchen“ auf der städtischen Mühleninsel traf – und mit weiteren Verstöße „zu rechnen war“. Am Sonntag, zwei Tage nach seiner Freilassung, sei der Mann erneut bei einem „Saufgelage“ im Freien angetroffen worden, so die Polizei. Er landete darauf wieder in der JVA, diesmal über Ostern bis zum 13. April.
Am gleichen Tag wurde auch der 22-jährige Landshuter inhaftiert: Er soll vier Mal gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen haben und befand sich beim letzten Mal „ohne triftigen Grund mit mehreren Personen aus verschiedenen Haushalten vor einem Anwesen“. Der junge Mann sitzt nun ebenfalls bis zum 13. April in Gewahrsam.
Der Bamberger wiederum wurde am 2. April festgenommen und muss ganze zweieinhalb Wochen in der JVA bleiben, bis zum 19. April – dem derzeitigen Ende der bayrischen Ausgangsbeschränkungen. Laut Polizei soll er fünf Mal bei „Corona-Partys“ in seiner Wohnung angetroffen worden sein: Er habe „immer wieder mehrere Bekannte zu sich nach Hause eingeladen, um dort Alkohol zu konsumieren“. Der 34-Jährige könne nun in Haft „über sein Verhalten nachdenken“, heißt es in der Polizeimeldung. Polizeipräsident Alfons Schieder verteidigte das Vorgehen: Bei „hartnäckiger Uneinsichtigkeit“ von Betroffenen brauche es die „notwendige Konsequenz“.
Alle drei Haftbefehle wurden von Gerichten bestätigt. Sie gelten als Unterbindungsgewahrsam – als Präventivmaßnahme, um weitere Verstöße zu verhindern. Und sie gründen laut bayrischem Innenministerium auf dem 2017 und 2018 verschärften Polizeiaufgabengesetz des Landes. Grüne, Linke und FDP halten das Gesetz für unverhältnismäßig und klagen derzeit dagegen.
Parlamentarische Aufklärung
Die Grünen wollen nun auch den aktuellen Corona-Verhaftungen parlamentarisch nachgehen. Die Fälle müssten detailliert aufgeklärt werden, sagte die bayrische Fraktionschef Katharina Schulze der taz. „Grundrechte gelten auch in Zeiten der Pandemie.“ Das Polizeiaufgabengesetz, das ein „Dauerärgernis“ bleibe, und der polizeiliche Präventivgewahrsam dürften nicht missbräuchlich verwendet werden.
Auch der Fall von Thomas Prudlo zeige, dass die Polizei von Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) „zu scharf losgeschickt worden ist“, so Schulze. „Das erhöht nicht die Akzeptanz der Bevölkerung für wichtige Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und erschwert auch die Arbeit der Polizei.“ Schulze fordert deshalb bundesweit einheitliche Regelungen gegen die Corona-Pandemie.
Aber es ist nicht nur Bayern. Auch in Weinheim (Baden-Württemberg) wurde Ende März ein Mann vorübergehend festgenommen, der zunächst anonym im Internet zu einer Demonstration gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen aufgerufen hatte. Ermittler konnten den 32-Jährigen schließlich identifizieren und nahmen ihn vorläufig fest. Gleichzeitig durchsuchten sie seine Wohnung und beschlagnahmten drei Laptops, vier Festplatten, ein Tablet und ein Smartphone.
Juristen äußern sich inzwischen kritisch zu solch strikten Verfolgungen der Infektionsschutz-Verordnungen. „Wir erleben gerade Zustände, die wir uns vor einem Monat nie hätten vorstellen können“, sagt der Berliner Juraprofessor Niko Härting. „Da finden Exzesse statt, die nicht mehr mit unseren Verfassungsgrundsätzen in Einklang stehen.“
„Tiefe Grundrechtseingriffe“
Härting kritisiert, dass die Corona-Verordnungen in den Ländern unterschiedlich verfasst und in ihren Punkten „sehr unbestimmt“ seien. Dass nun sogar Menschen wegen Verstößen über Tage inhaftiert würden, seien „tiefe Grundrechtseingriffe, die hoffentlich bald von Gerichten kassiert werden“. Die Verordnungen müssten wieder auf solche Maßnahmen beschränkt werden, die klar begründbar seien, so Härting.
Scharfe Kritik übt auch der Republikanische Anwälteverein. Auch deren Vorsitzender Peer Stolle hält die Corona-Verordnungen für sehr weitreichend und zu unbestimmt. „Das führt nicht nur zu so absurden Maßnahmen wie das Sitzen auf einer Parkbank zu sanktionieren. Sondern eröffnet auch Raum für Willkür.“ Der Zweck des Infektionsschutzes gerate da in den Hintergrund. Stolle spricht vielmehr von einem „teilweise autoritativen Ausnutzen der weitreichenden Verordnungen“. Auch eine Aushebelung der Versammlungsfreiheit sei nicht hinzunehmen. „Da muss dringend nachgebessert werden.“
Tatsächlich legte das Bundesinnenministerium am Donnerstag eine Musterverordnung zu Quarantänemaßnahmen für alle Bundesländer vor – diese indes nur bezogen auf Einreisen von Personen aus dem Ausland. Die weiteren Regelungen variieren teils weiter zwischen den Ländern. Die Freiheitsbeschränkungen an sich hatte das Bundesverfassungsgericht am Beispiel Bayerns indes am Mittwoch vorerst gebilligt. „Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer“, befanden die Richter in einer Eilentscheidung. Geklagt hatte ein Mann aus Bayern.
Auch der Münchner Thomas Prudlo will sich wehren. Seinen mehrstündiger Gewahrsam hält er bis heute für reichlich überzogen. Er werde dagegen nun nachträglich juristisch vorgehen, kündigt Prudlo an. „Solchen Auslegungen der Verordnungen muss ein Riegel vorgeschoben werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag