Verfassungsschutz: AfD ist gesichert rechtsextremistisch
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als sicher rechtsextrem ein. Olaf Scholz warnt vor einem „Schnellschuss“ bei einem Verbotsverfahren.
„Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, teilte die Sicherheitsbehörde mit. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. „Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes“, heißt es in der Mitteilung des Inlandsgeheimdienstes.
Äußerungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei maßgeblich für die nun getroffene Einschätzung.
Beschluss gilt für die Bundespartei
Das Bundesamt hatte die AfD seit März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachtet. Dazu durfte der Inlandsgeheimdienst auch nachrichtendienstliche Mittel wie V-Leute, Observationen und die Auswertung öffentlicher sowie nicht-öffentlicher Quellen nutzen. Dies hatte das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt.
Mit der Einstufung als gesichert rechtsextremistisch gelten aus Sicht des Bundesamtes verfassungsfeindliche Bestrebungen auch in der Bundespartei als erwiesen. Auf Landesebene ist die AfD bereits in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar hatte die AfD deutlich zugelegt. Mit 20,8 Prozent ist sie nach der Union zweitstärkste Fraktion im Parlament. Bei der anstehenden schwarz-roten Bundesregierung ist sie die größte Oppositionsfraktion.
Verfassungsschutz habe seine Entscheidung selbst getroffen
Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betont, der Verfassungsschutz habe seine Entscheidung über eine Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch selbst getroffen. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen“, sagte sie laut einer Mitteilung. Dabei arbeite die Sicherheitsbehörde eigenständig. Die neue Einstufung sei das Ergebnis einer umfassenden Prüfung, deren Ergebnisse in einem 1.100-seitigen Gutachten festgehalten seien. „Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben“, versicherte Faeser.
Die vorherige Bewertung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei von Gerichten bestätigt worden. Auch die neue Bewertung werde sicher von unabhängigen Gerichten überprüft werden.
Der Verfassungsschutz hat seine neue Bewertung vor allem mit einem in der Partei vorherrschenden Volksbegriff begründet, der nicht die Staatsangehörigkeit in den Mittelpunkt stelle, sondern die Abstammung.
Strack-Zimmermann: „Entscheidung ist überfällig“
Die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat die Einstufung der AFD als gesichert rechtsextremistisch begrüßt. Die Entscheidung des Verfassungsschutzes sei überfällig gewesen.
„Die AfD ist nicht einfach eine Protestpartei, sondern eine rechtsextremistische Bewegung, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zerstören will“, so Strack-Zimmermann.
Es sei gemeinsame Verantwortung, dieser Gefahr entschieden entgegenzutreten – politisch, gesellschaftlich und rechtlich. Nötig seien eigene politische Antworten und nicht ein Hinterherlaufen hinter den Themen der AfD.
Strack-Zimmermann sagte weiter: „Die Demokratie ist wehrhaft, und sie muss es auch bleiben. Eine Kooperation mit der AfD verbietet sich für alle demokratischen Parteien.“ Strack-Zimmermann ist Mitglied des FDP-Präsidiums und Mitglied des Europäischen Parlaments.
„Auf Kriegsfuß mit der Grundordnung“
Führende Politiker der Grünen-Bundestagsfraktion haben die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch begrüßt. Die Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei auch ein „wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist“, teilten Konstantin von Notz und Irene Mihalic in Berlin mit.
„Die Partei steht nicht nur in weiten Teilen, sondern in Gänze mit unserer Verfassung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf Kriegsfuß. Über Jahre konnte man ihrer weiter voranschreitenden Radikalisierung zusehen. Sie geht unaufhörlich weiter“, erklärten die beiden Politiker.
Die AfD sei eine für Demokratie und Rechtsstaat insgesamt brandgefährliche Partei. Die Sicherheitsbehörden seien verpflichtet, alles rechtsstaatlich Mögliche zu tun, um solche antidemokratischen Entwicklungen zu erkennen und ihren Teil dazu zu leisten, sie aufzuhalten.
„Die heutige Entscheidung ist auch ein deutlicher Wink in Richtung derjenigen, die zuletzt für eine Normalisierung der Partei plädierten“, erklärten die beiden – offenkundig mit Bezug auf Stimmen aus der Union. Von Notz ist Fraktionsvize sowie Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Mihalic ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) hatte unlängst eine heftige Kontroverse ausgelöst mit dem Vorschlag, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien.
SPD will eine „klare, gemeinsame Antwort des Rechtsstaates“
SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci forderte unmittelbare Konsequezen wie eine Einschränkung der Finanzierung der AfD, Ausschluss der Partei aus öffentlichen Funktionen wie Bundestagsausschüssen oder die Vorbereitung eines Verbotsverfahrens.
Auch die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Serpil Midyatli hat die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch begrüßt. „Jetzt haben wir schwarz auf weiß, was wir schon vorher wussten: Wo Rechtsextremisten drin sind, steht es jetzt auch drauf“, sagte Midyatli. „Für mich ist klar: Das Verbot muss kommen.“ Das ganze Verfahren müsse weiter in der nötigen Sorgfalt, belastbar und ohne Fehler vorbereitet werden.
Die SPD im Bundestag tritt für eine „klare, gemeinsame Antwort des Rechtsstaates“ auf die Einstufung der AfD als rechtsextremistisch ein. „Für mich bestätigt sich einmal mehr, dass Vertreter der AfD im Bundestag für Ämter nicht wählbar sind und Demokratinnen und Demokraten nicht repräsentieren können“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte festgestellt, dass die AfD Bevölkerungsgruppen von gleichberechtigter Teilhabe auszuschließen wolle und gesichert rechtsextremistisch sei. Mast bezeichnete die Entscheidung als „eindeutig“. „Das ist ein klares verfassungsrechtliches Signal.“ Die AfD verfolge systematisch das Ziel, „die politische und gesellschaftliche Ordnung unseres Landes zu zersetzen“, so die SPD-Politikerin.
„Das umfassende und unabhängige Gutachten untermauert das mit belastbaren Beweisen“, sagte Mast zu der Expertise des Bundesamts, auf dem die Entscheidung fußt. „Mit unseren Koalitionspartnern stimmen wir uns zum weiteren Umgang mit der AfD ab“, sagte Mast mit Blick auf CDU und CSU.
CSU-Parteichef Markus Söder will nach der Einstufung der Bundes-AfD als gesichert rechtsextremistisch am Kurs im Kampf gegen die Rechtspopulisten festhalten. „Das Ergebnis des Verfassungsschutzes ist ein finaler Weckruf. Die AfD ist insgesamt rechtsextremistisch“, sagte Söder. „Damit ist klar: Für Feinde der Demokratie kann es null Toleranz geben. Die Brandmauer steht weiterhin“, fügte er hinzu.
Die CSU habe einen klaren Kurs: „Keine Dämonisierung aber eben auch keine Relativierung.“ Seine Partei wolle die AfD weiter inhaltlich stellen und durch gutes Regieren entlarven.
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte: „Niemals dürfen Vertreter der AfD – sei es über wichtige Positionen in Ausschüssen oder Ähnlichem – in staatstragende Funktionen gelangen oder sogar Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen bekommen.“
Scholz: „AfD-Verbotsverfahren darf man nicht übers Knie brechen“
Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt zurückhaltend in der Frage eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens. Nach der Einstufung der Partei als gesichert rechtsextremistisch durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sagte Scholz am Freitag auf dem 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover: „Ich finde, das ist eine Sache, die man nicht übers Knie brechen darf.“
Der SPD-Politiker verwies auf Parteiverbotsverfahren, die in der Vergangenheit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gescheitert waren, etwa zur rechtsextremistischen NPD. Scholz sagte unter Bezug darauf zu einem AfD-Verbotsverfahren: „Deshalb muss man diese Dinge sehr sorgfältig erwägen, ich bin gegen einen Schnellschuss.“
Als richtig wertete es der geschäftsführende Bundeskanzler, die Frage eines AfD-Verbotsverfahrens bisher nicht von Politikern entschieden zu haben, sondern durch Institutionen wie den Verfassungsschutz. Nach der jetzigen Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch durch das Bundesamt für Verfassungsschutz müssten nun eine politische Debatte und die Frage nach Konsequenzen auf rechtlicher Ebene folgen.
Ricarda Lang sieht den Moment für ein AfD-Verbotsverfahren
Nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch den Verfassungsschutz plädiert die frühere Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang dafür, ein AfD-Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen. „Wann wäre der Moment, wenn nicht jetzt“, sagte Lang am Freitag beim Kirchentag in Hannover. Sie wäre dafür, dass der Bundestag solch ein Verfahren beschließt, ergänzte die Bundestagsabgeordnete und warb für entsprechende Gespräche der demokratischen Fraktionen.
Lang betonte, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe bei der Einstufung auf die völkische Ideologie der AfD verwiesen. Für die Partei sei ein Deutscher muslimischen Glaubens „weniger deutsch“ als beispielsweise sie selbst, sagte Lang. Das widerspreche der Verfassung im Grundsatz „und ist damit auch gefährlich“.
Der CDU-Politiker Philipp Amthor äußerte sich dagegen skeptisch über ein Verbotsverfahren. Man dürfe sich nicht vormachen, dass man die Probleme durch Feinde der Demokratie nur durch Verbotsverfahren lösen könne. Zudem warnte er vor den hohen Hürden. Ein Scheitern würde „instrumentalisiert werden als demokratisches Gütesiegel aus Karlsruhe“, sagte der designierte Staatssekretär im geplanten Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. „Und das haben die nun wirklich nicht verdient“, fügte er hinzu.
Über ein Parteiverbot müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Beantragen können es Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat. In der vergangenen Wahlperiode hatte eine große Zahl von Bundestagsabgeordneten für einen Verbotsantrag geworben. Der Antrag wurde vor der vorgezogenen Bundestagswahl aber nicht mehr abgestimmt.
Die AfD hält die Entscheidung des Verfassungsschutzes für politisch motiviert. Parteivize Stephan Brandner sagte der „Rheinischen Post“: „Diese Entscheidung des weisungsgebundenen Verfassungsschutzes ist inhaltlich völliger Blödsinn, hat mit Recht und Gesetz überhaupt nichts zu tun und ist eine rein politische im Kampf der Kartellparteien gegen die AfD.“
Die Partei hat rechtliche Schritte gegen die Verfassungsschutz-Einstufung als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ angekündigt. Sie werde sich „gegen diese demokratiegefährdenden Diffamierungen weiter juristisch zur Wehr setzen“, erklärten die Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla am Freitag. Die Entscheidung des Verfassungsschutzes sei „ein schwerer Schlag gegen die bundesdeutsche Demokratie“.
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