US-Präsidentschaftswahlkampf: Es bräuchte ein Wunder
Das erste TV-Duell wurde für die US-Demokrat:innen zur Katastrophe. Ihr Kandidat Joe Biden wirkte uralt. Könnte er doch noch ersetzt werden?
Ja, es gab schon US-Präsidentschaftskandidaten, die in der ersten TV-Debatte eine schlechte Figur gemacht haben und am Ende trotzdem die Wahl gewannen. Barack Obama etwa verlor 2012 mit einer uninspirierten und fahrigen Debattenperformance recht deutlich das erste von drei Fernsehduellen gegen seinen Herausforderer Mitt Romney.
Aber das brachte niemanden dazu, zu bezweifeln, dass Obama fit für das Präsidentenamt wäre. Es war kein guter Debattenabend für ihn, mehr nicht.
Ganz anders jetzt. Der 81-jährige Joe Biden hat die Demokratische Partei und seine eigene Wiederwahlkampagne bei der ersten Debatte mit Donald Trump in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in eine Katastrophe gestürzt.
Bidens Wahlkampfteam selbst hatte gefordert, diese erste Debatte so früh abzuhalten wie nie zuvor. Fast zwei Monate vor dem Demokratischen Nominierungsparteitag – und nur wenige Wochen nach der Verurteilung Donalds Trumps durch ein New Yorker Geschworenengericht – sollte Biden mit einem energischen Auftritt den Schwung in den Wahlkampf bringen, der der Kampagne bis jetzt völlig fehlt. Er sollte die Verunsicherung demokratischer Wähler*innen und der eigenen Partei über sein Alter zerstreuen und zeigen, dass er Trump erneut besiegen kann.
Das ging nach hinten los. Biden verlor viele Male den Faden, schaute hilflos ins Leere, schloss die Augen, brachte Sätze nicht zu Ende. Seine Stimme war leiser denn je und er schaffte es nicht, die vielen Steilvorlagen zu verwandeln, die ihm ein konstant die Fakten verdrehender Trump servierte.
Panik bricht aus
Eine Woche Debattenvorbereitung – und nicht einmal das zweiminütige Schlusswort brachte Joe Biden kohärent zustande. Eine Vollkatastrophe. Anstatt die Zweifel der Wähler*innen auszuräumen, zeigte Biden vor aller Augen live, dass er tatsächlich für das Amt zu alt ist. Jon King von CNN beschrieb die Stimmung, die er während der Debatte im Austausch mit Demokrat*innen wahrgenommen hatte, mit einem einzigen Wort: Panik.
In den sozialen Netzwerken und – wenn man den US-Medien glauben darf – auch in der Demokratischen Partei setzten schon während der Übertragung Diskussionen ein, ob und wie es noch möglich wäre, Biden als Kandidaten zu ersetzen. Aber das ist nicht einfach. Gerade erst vor drei Wochen sind die letzten Demokratischen Vorwahlen zu Ende gegangen. Bei denen hatte Biden keine ernsthaften Gegenkandidaten – und jetzt ist er derjenige, der in einem demokratischen Prozess zum Kandidaten seiner Partei bestimmt wurde. Das kann kein Parteivorstand einfach so übergehen.
Einen Kurswechsel bewirken könnte nur Joe Biden selbst. Er könnte jederzeit aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt von der Kandidatur erklären – und obwohl das nicht einmal fünf Monate vor der Wahl eine selten erlebte Herausforderung wäre, würde doch eine Welle der Erleichterung durch die Demokrat*innen gehen.
Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Biden auch nur erwägt, diesen Schritt zu gehen. Dass er in diesem Punkt beratungsresistent ist, hat er schon unter Beweis gestellt, als er im vergangenen Jahr erklärte, zur Wiederwahl anzutreten. Auch damals schon hatte in allen Umfragen eine Mehrheit auch der demokratischen Wähler*innen klar gesagt, er sei zu alt und möge bitte Platz machen. Biden erklärte das damals für Unsinn, man solle ihn doch anschauen! Und nach der Debatte am Donnerstagabend sagte er, es sei doch ganz gut gelaufen. Mit der Meinung war er allerdings allein.
Jill Biden könnte es richten
Heute wie damals, sagen Biden-Kenner, wäre es vermutlich nur seine Frau Jill, die ihn dazu überreden könnte, von der Kandidatur zurückzutreten. Die aber scheint daran gar nicht zu denken. Und noch tritt auch niemand aus den einflussreicheren Reihen der Demokrat*innen hervor. Gavin Newsom, der demokratische Gouverneur von Kalifornien, den viele als einen möglichen Ersatz sehen würden, stellte sich nach der Debatte öffentlich hinter Joe Biden: Nein, das sei keine gute Performance gewesen – aber welche Partei würde bitteschön ihren Kandidaten wegen eines einzigen schlechten Auftritts absägen?
Sollte Biden von der Kandidatur zurücktreten, läge es beim Demokratischen Parteitag Mitte August in Chicago, jemand anderen zu krönen. Von den 4.000 Delegierten hatte Biden bei den Vorwahlen 95 Prozent gewonnen, etliche von ihnen sind von der Biden-Kampagne persönlich ausgesucht. Joe Biden selbst könnte durch die Unterstützung eines bestimmten Namens großen Einfluss auf den Auswahlprozess haben.
Wer sind die Alternativen?
Bleibt das Problem Kamala Harris. Die in dreieinhalb Jahren überraschend farblos gebliebene Vizepräsidentin steht derzeit wiederum als Nummer zwei auf dem Ticket – aber ihre Popularitätswerte sind sogar noch schlechter als Bidens. Das Gefühl, angesichts des rasant alternden Bidens ohnehin eher über eine Präsidentin Harris abzustimmen – die ihn sofort ersetzen würde, sollte ihm etwas zustoßen –, ist auf demokratischer Seite bislang eher als Handicap diskutiert worden. Sie jetzt auf Nummer eins zu setzen, löst das Problem nicht.
Auch andere Namen werden ventiliert, neben Gavin Newsom auch Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan, oder J.B. Pritzker, Gouverneur von Illinois. Alle drei haben allerdings das Problem mangelnder Bekanntheit auf nationaler Ebene, und das ist in so wenigen Monaten kaum aufzuholen.
Das hätte ein anderer Name, der immer und immer wieder in sozialen Medien auftaucht, nicht: Michelle Obama, die noch immer populäre Ehefrau des früheren Präsidenten. Sie allerdings hat sich schon mehrfach geäußert und gesagt, dass sie nicht zur Verfügung steht.
Die Demokrat*innen müssen sich entscheiden, und das schnell. Denn wollen sie Biden ersetzen, können sie damit eigentlich sogar kaum bis zu ihrem Parteitag warten. In einigen wichtigen Bundesstaaten endet die Einschreibefrist für Kandidaten schon Anfang August.
Und so ist das wahrscheinlichste Szenario, dass Joe Biden doch der Kandidat bleibt. Aber stand Biden vor der Debatte in Atlanta angesichts gleichbleibend schlechter Umfragewerte bereits vor einer großen Herausforderung, im November noch einmal gewählt zu werden, ist die Sache nun komplizierter geworden. Jetzt braucht er ein Wunder.
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