Streubombenlieferungen an die Ukraine: Zu viel Verständnis in Berlin
Die Ankündigung der USA, Streubomben in die Ukraine zu liefern, ist stark umstritten. Die Zurückhaltung der Bundesregierung ist fehl am Platz.
N icht explodierte Sprengkörper aus Streubomben, die die USA vor Jahrzehnten in Vietnam, Laos und Kambodscha und später im Irakkrieg eingesetzt hatten, fordern nach wie vor jährlich Hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder. Humanitäre Hilfsorganisationen rechnen mit bis zu weiteren 50 Jahren bis zur vollständigen Räumung dieser Munition.
Eine ähnliche Gefährdung droht der ukrainischen Zivilbevölkerung. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die Streumunition, die die russischen Angreifer bereits Hunderte Male einsetzten. In deutlich geringerem Umfang haben aber auch die ukrainischen Verteidigungsstreitkräfte bereits Gebrauch von Streumunition gemacht. Die jetzt von der US-Administration geplante Lieferung von Streubomben an Kyjiw wird die Gefährdung der ukrainischen Zivilbevölkerung noch erhöhen.
Bis zu 3,7 Millionen Streubomben mit jeweils rund 80 Sprengkörpern könnte das Pentagon der Ukraine zur Verfügung stellen. Die von US-Präsident Joe Biden demonstrierte „Zuversicht“, von diesen insgesamt rund 300 Millionen Sprengköpfen würden lediglich „unter 2,35 Prozent“ Blindgänger bleiben, ist grob verharmlosend und irreführend. Der Rechnung nach wären das noch immer knapp 7 Millionen nicht explodierte Sprengköpfe. Außerdem sind die „2,35 Prozent“ das Ergebnis von Labortests.
Blindgängerquote zwischen 20 und 40 Prozent
In realen Kriegen, in denen diese US-Streumbomben in den letzten 20 Jahren zum Einsatz kamen, wie in Irak, Libyen oder durch Saudi-Arabien im Jemen, lag die Blindgängerquote zwischen 20 und 40 Prozent. Während Spanien und Großbritannien die Lieferentscheidung der USA kritisieren, zeigt die Bundesregierung Verständnis. In der Ukraine bestehe „eine besondere Konstellation“, da „die Ukraine eine solche Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung einsetzt“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Zudem habe „Russland bereits in großem Umfang Streumunition eingesetzt“. Mit dieser Haltung missachtet die Bundesregierung das humanitäre Völkerrecht. Dessen Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung gelten unterschiedslos für den Angreifer wie für den Angegriffenen. In derselben Logik könnte die Ampelkoalition demnächst auch die bereits im Februar von der Regierung Wolodimir Selenskis geforderte Lieferung von Phosphorwaffen an die Ukraine rechtfertigen, sollte Russland derartige Waffen einsetzen.
Zudem missachtet die Bundesregierung ihre Verpflichtungen des Oslo-Abkommens zum Verbot von Streumunition. Danach müsste sie versuchen, „Staaten, die dem Abkommen nicht angehören“, vom Streumunitionsgebrauch abzuhalten.
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