Sprachgesetz in der Ukraine: Ukrainisch als Amtssprache
Ein Gesetz soll Ukrainisch als Landessprache stärken. Wer in offiziellen Statements Russisch verwendet, muss mit Geldbußen rechnen.
Die Unterrichtsstunde im Sprachkurs im westukrainischen Luzk beginnt mit „Zungenlockerungsübungen“. Die Lehrerin spricht ukrainische Wörter vor, die die Lernenden – vor allem ältere Frauen – von einem Blatt ablesen. „Paljaniza“, „Kamjanyzja“, „Ruschnyzja“, „Tschernyzja“. „Denken Sie daran, den Laut ‚tsch‘ hart auszusprechen“, bittet Oxana Primatschok, Koordinatorin des Gesprächsklubs der Staatlichen Wolhyner Lesja-Ukrainka-Universität in Luzk, ihre Kursteilnehmer.
Larissa ist aus Kiew geflohen. Sie erzählt, dass sie über Facebook von dem Gesprächsklub in Luzk erfahren hatte und hier jetzt Ukrainisch lernt, um mit Gleichaltrigen mithalten zu können. Seit Kriegsbeginn sind 68.000 Menschen nach Wolhynien gekommen, einem Bezirk im äußersten Nordwesten der Ukraine. Menschen, deren ost- bzw. südukrainische Heimat vom Krieg stärker betroffen war als der Westen des Landes. In ihren Herkunftsgebieten wird im Alltag bisher überwiegend Russisch gesprochen. „Aber ich will nicht sprechen wie Asarow“, erklärt die 61-jährige Larissa.
Die Rede ist von Mykola Asarow, dem ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten und engem Vertrauten von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch. Die Sprache, die er bei offiziellen Veranstaltungen sprach, nannten die Ukrainer „Asarowisch“, eine Mischung aus Russisch, Ukrainisch und einigen anderen, nur Asarow bekannten Dialekten. Diese Asarowsche Mischsprache ist allen Ukrainern aus dem Fernsehen bekannt.
Larissa denkt auf Russisch, deshalb ist es für sie schwer, fehlerfrei Ukrainisch zu sprechen. Um das zu ändern, ist sie in den ukrainischen Sprachklub gekommen. „Einige wollen die Feinheiten der ukrainischen Sprache lernen, weil das ihr inneres Bedürfnis ist. Aber andere haben hier in Luzk Jobangebote, bei denen Sprachfehler einfach inakzeptabel sind“, erklärt Kursleiterin Oxana Primatschok die unterschiedlichen Motivationen ihrer Teilnehmer.
Das Sprachgesetz
Das Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Staatssprache“ wurde im April 2019 angenommen und als eine der letzten Amtshandlungen des ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko unterzeichnet. Es trat am 16. Juli 2019 in Kraft, die einzelnen Bestimmungen aber nur schrittweise, um nicht jene vor den Kopf zu stoßen, die bis dahin die ukrainische Sprache noch nicht beherrschten. Seit Juli 2021 musste Ukrainisch zum Beispiel im Fernsehen und im Kino, in Buchverlagen sowie im Tourismus und bei Stadtführungen benutzt werden. Seit Januar 2022 müssen überregionale Zeitungen zur ukrainischen Sprache übergegangen sein. Dafür hatten sie eine zweieinhalbjährige Übergangsfrist. Deutlich mehr Zeit hat die Lokalpresse für den Übergang, bis Mitte 2024.
„Über die Sicherstellung der Funktion des Ukrainischen als Staatssprache“ heißt das Gesetz, das Ende April 2019 vom ukrainischen Parlament beschlossen und als „Erbe“ an Präsident Selenski weiter gegeben wurde. Das Gesetz wird stufenweise umgesetzt und soll das Ukrainische stärken. Es sieht Ukrainisch als einzige Sprache in öffentlichen Einrichtungen sowie eine höhere Ukrainisch-Quote in Filmen, Fernseh- und Radiosendungen vor.
Das Erlernen der ukrainischen Sprache soll im ganzen Land gefördert werden. Verstöße gegen das Gesetz können ab dem 16. Juli 2022 mit Geldstrafen geahndet werden. Explizit davon ausgenommen ist die private Kommunikation.
Die Ukraine ist ein bilinguales Land. Während im Westen überwiegend Ukrainisch gesprochen wird, herrscht im Osten Russisch als Verkehrssprache vor. Viele Ukrainer sprechen und verstehen beide Sprachen. Das Gesetz ist nicht unumstritten.
Ab dem 16. Juli dieses Jahres können bei Verstößen gegen das Sprachgesetz jetzt erstmals Bußgeldstrafen verhängt werden. Bis dahin wurden nur Verwarnungen ausgesprochen. Taras Kremin, Ombudsmann für den Schutz der Staatssprache, ein Amt, das in der Ukraine extra wegen des Sprachgesetzes eingeführt wurde, betont, dass die Bußgeldstrafen nicht den Alltagsgebrauch der russischen Sprache beträfen. Es geht dabei nur um den offiziellen Gebrauch der Sprache, bei öffentlichen Veranstaltungen zum Beispiel, oder bei offiziellen Informationen, die Staatsdiener über die Lage an der Front oder die aktuelle Situation in einzelnen Gebieten der Ukraine weitergeben.
„Bis heute gibt es Bürgermeister oder Leiter von Militärverwaltungen, die Informationen über Beschuss, Folgen von Raketeneinschlägen und anderen Kriegsereignissen nur auf Russisch weitergeben“, schrieb Kremin auf seiner Facebook-Seite. Jetzt sieht das Ordnungswidrigkeitengesetz hierfür eine Geldbuße vor. Die kann zum Beispiel von einem Schuldirektor gefordert werden, einem Beamten, einem Journalisten oder einem Angehörigen des Dienstleistungssektors, sobald sie gegen das Gesetz verstoßen. Verhängt werden diese Geldbußen vom Ombudsmann für Sprache und seinen drei Stellvertretern. Das Geld wird von regionalen Behörden eingezogen und fließt in die lokalen Haushalte. Ein relativ einfaches Verfahren, ähnlich dem bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung: Der Verstoß wird protokolliert, ein Bericht erstellt, dann ist die Zahlung des Bußgeldes fällig.
In der Westukraine gibt es viele Vorurteile gegen Landsleute
Provozieren diese Bußgelder den „sprachlichen Genozid“ (des Russischen in der Ukraine; Anm. der Übersetzerin), wie die russische Propaganda es verbreitet? Die Kursteilnehmer in den Ukrainischkursen widersprechen diesem Mythos. Im Westen des Landes sind durch die – häufig erstmaligen – Kontakte zu den ostukrainischen Neuankömmlingen viele Vorurteile im Umlauf: Es geht um deren Sprachgebrauch und die Art, wie sie Auto fahren, darum, dass sie angeblich arbeitsscheu seien oder sich vor dem Militärdienst drücken wollen, man wirft ihnen Verschwendungssucht und „Kollaborantentum“ vor.
Gerade die Sprachfrage wirkt hier besonders als Trigger, weil Wolhynien eine der Regionen ist, in denen die ukrainische Sprache im Landesvergleich am weitesten verbreitet ist, während man Russisch so gut wie gar nicht hört. „Wenn Sie jemanden davon überzeugen wollen, sich auf Ukrainisch zu unterhalten oder irgendwelche anderen ‚lokalen‘ Sitten oder Regeln anzunehmen, dann sollten Sie das nicht aggressiv oder herablassend tun, denn das kann eine Abwehrreaktion auslösen. Man sollte diese Menschen nicht als solche betrachten, die absichtlich Regeln nicht einhalten oder aus reiner Boshaftigkeit nur Russisch sprechen“, rät die Psychologin Marina Islam.
Sie kümmert sich in einer westukrainischen Hilfsorganisation um die Unterstützung für Flüchtlinge. Es seien einfach Menschen mit einer eigenen Geschichte, sagt Marina Islam. Menschen, die in einem anderen Umfeld aufgewachsen sind und gelebt haben. „Wenn Sie sie bitten wollen, sich anders zu verhalten oder ihnen einen Rat geben wollen, können Sie das tun. Wichtig ist, dies höflich und angemessen zu tun. Denn es ist klar, dass niemand scharfe Kritik oder Befehle mag. Man kann auch adäquat reagieren, dem anderen helfen, sich einzuleben und sich in der neuen Umgebung besser zurechtzufinden.“
Die Psychologin glaubt auch, dass die Kurse für Alltagsukrainisch das beste Mittel seien, damit sich Flüchtlinge an ihre neuen Lebensumstände gewöhnen können. In Luzk hat man nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge Dutzende von kostenlosen Ukrainisch-Kursen eingerichtet – an der Uni und in Bibliotheken.
Volksmärchen, Dialekte, Alltagsszenen
Galina Tur, Lehrerin an einer Luzker Schule, ist eine der Freiwilligen, die Ukrainisch unterrichten. Sie erzählt, dass zu ihr nicht nur Binnenflüchtlinge mit Kindern kommen, sondern auch Einheimische, die sich in ihrer Muttersprache verbessern wollen. Daneben hören die Kursteilnehmer ukrainische Volksmärchen und -musik und sprechen darüber. Manchmal werden kleine Alltagsszenen gespielt, wie im Theater, man spricht über Dialekte.
„Das ist hier mehr so etwas wie ein Kommunikationsklub. Die Themen, über die wir hier sprechen und die ich unterrichte, richten sich nach den Wünschen und Bedürfnissen der Kursbesucher“, sagt Galina Tur: „Wir wiederholen Rechtschreibregeln und machen Übungsaufgaben zur Grammatik.“ Die Menschen wollten sich zu Wort melden, an der Diskussion teilnehmen, einfach reden. Galina Tur sagt: „Sie möchten wissen, was das eine oder andere Wort bedeutet, in welchem Zusammenhang man es benutzt und wie man es richtig ausspricht.“
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen