Scholz im Wahlkampf: Emotional niedertourig

Der Kanzler wirbt in Delitzsch in Nordsachsen für Geduld und Pragmatismus in der Asylpolitik. Wie kommt das an?

Scholz lobt in Delitzsch kühl das eigene Wirken, das er komplex und immer etwas abstrakt darlegt Foto: Jan Woitas/dpa

DELITZSCH taz | Dienstagabend, fünf Tage vor der Wahl. Die SPD in Sachsen hat Blickkontakt mit der Fünf-Prozent-Hürde. Verändert das Attentat von Solingen die Stimmung? Mathias Teuber, SPD-Mitglied, sitzt in einem Veranstaltungsraum am Markt von Deltizsch, einer Kleinstadt in Nordsachsen, „Solingen kostet uns Prozente“, sagt er. „Egal, was die SPD jetzt macht.“ Dabei brauche man Migration, Nordsachsen und Delitzsch seien doch seit Jahren eine Abwanderungsregion.

Teuber wartet auf den Kanzler Olaf Scholz und die SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping. Der Saal ist voll, mehr als 100 sind gekommen. Scholz, sagt Teuber, müsse jetzt klarmachen, dass Deutschland ein Einwanderungsland bleibt.

Die Erwartung wird nicht enttäuscht. Scholz gibt in Sachen Migration den maßvollen Macher, einerseits und andererseits. Er appelliert, man dürfe nicht zulassen, dass islamistische Terroristen den Zusammenhalt in Deutschland kaputtmachen. Man werde auch das Asylrecht nicht aus dem Grundgesetz streichen oder völkerrechtliche Verträge brechen, wie es der CDU-Chef Friedrich Merz nahegelegt hatte. Einerseits.

Andererseits müssen man „illegale Migration zurückdrängen“. Scholz zählt auf, was man alles schon getan habe. Den Abschiebegewahrsam von 10 auf 28 Tage verlängert. Er habe gedrängt, dass die Asylverfahren vier Monate dauern und nicht 40. Der Kanzler hat am Morgen Friedrich Merz getroffen. Merz funkt seitdem auf allen Kanälen. „Ich habe das Prinzip, aus vertraulichen Gesprächen nicht zu berichten“, sagt der Kanzler mit diesem leichten, doch unübersehbaren Scholz-Lächeln. Man hat den Eindruck, dass er Friedrich Merz wirklich gut leiden kann.

Die Lage für die SPD ist mies, die Debatte hysterisch. Gerade deshalb ist dies Scholz' Lieblingsrolle. Der Besonnene, Abwägende gegen den Brausekopf Merz, dem heute dies und morgen das einfällt. „Egal, mit wie viel Schaum vor dem Mund jemand spricht – ich gehe auf jeden konstruktiven Vorschlag ein“, sagt er. Scholz hält Merz für seine Chance. Weil die Leute am Ende lieber einen Langweiler wählen als einen Unberechenbaren, der Affekte pusht, anstatt sie zu dämpfen. Aber vielleicht ist das beim Thema illegale Migration anders.

Den kenn ich von Tiktok

Warum gehen Menschen an einem Sommerabend in dieser sozialdemokratischen Diaspora zu einer SPD-Veranstaltung? Levi, 16 Jahre, Schüler, ist mit seinem Kumpel gekommen. Er wohnt um die Ecke, in Delitzsch ist echt nichts los, sagt er. Deswegen ist er hier. Und er findet den Tiktok-Kanal von Scholz „unterhaltsam“. Man könne sehen, wo der Kanzler wohnt.

Bei den meisten Fragen geht es um Schule, Bildung, Unterfinanzierung. Kitas, die wegen Kindermangel geschlossen werden sollen, um Gymnasien, die gut, Oberschulen, die mies ausgestattet sind. Petra Köpping sagt: „Wir sind eine 7,7-Prozent Partei. Wir können nur einzelne Sachen durchsetzen.“ Die SPD sei eine Partei für Bildung und Soziales.

Es sind auch ein paar da, denen die SPD bei der Migration zu weich ist. Viel zu weich. Ein Rentner, der seit 70 Jahren in Delitzsch wohnt, wettert, dass Deutsche Opfer von kriminellen Ausländern und Terroristen werden, wie in Solingen. 70.000 Abgelehnte müssten ausreisen, aber es gebe nur 8.000 Rückführungen. Scholz rede nur und tue nichts.

Der Kanzler verzieht keine Miene und weist darauf hin, dass Sprüche machen auch nicht helfe. Er doziert über Dublin und die Schwierigkeiten, eine gemeinsame Asylpolitik in der EU zu etablieren. Das dauere, aber man sei auf dem richtigen Weg. „Das hat schon etwas von Sisyphos“, sagt Scholz.

Scholz lobt kühl das eigene Wirken, das er komplex und immer etwas abstrakt darlegt. Hier emotional niedertouriger Pragmatismus, dort grummelnde Aufregung und ausgehärtetes Misstrauen. Nach der Veranstaltung steht der Delitzscher Rentner in der warmen Sommernacht und sagt: Merz habe doch recht. Man solle gar keine Syrer und Afghanen mehr nach Deutschland lassen. Und: „Ich war früher ein typischer SPD-Wähler.“

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