Regierungserklärung zum Ukrainekrieg: Scholz, der Kriegskanzler
Die pazifistische Tradition der SPD endet im Februar 2022. Aus gutem Grund. Nur: Aus einer Ausnahmesituation darf jetzt kein Militarismus werden.
D er letzte sozialdemokratische Kanzler, Gerhard Schröder, sagte im April 1999 während des Kosovokrieges: „Ich bin kein Kriegskanzler.“ Für den Sozialdemokraten im Kanzleramt 2022 wird das nicht gelten. Mit der historischen Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern, und seiner Rede im Bundestag hat sich Olaf Scholz zum Kriegskanzler gewandelt.
Am Beginn einer Kanzlerschaft kommt es oft zu einem definierenden Moment für die Amtszeit. Dieser Moment formt den Kandidaten und bestimmt darüber, wie er (oder sie) in die Geschichtsbücher eingehen wird. George W. Bush hat diesen Moment am 11. September 2001 erlebt, für Olaf Scholz könnte er am Sonntag gekommen sein.
Deutschland ist durch die Waffenlieferungen jetzt mittelbare Kriegspartei. Mit deutschen Luftabwehrraketen werden in den kommenden Tagen höchstwahrscheinlich russische Flugzeuge abgeschossen und russische Soldaten getötet. Der Satz tut weh. Man muss ihn einmal aussprechen. Aber auch dazusagen: Die Verantwortung dafür trägt Wladimir Putin.
Die hundertjährige antimilitaristische Tradition der SPD, auf die sich beim Kosovokrieg noch ausgerechnet Gerhard Schröder, heute ein trauriger Putin-Adept, bezog, endet im Februar 2022. Die pazifistische Haltung, die Deutschland nach den monströsen deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg geschlossen eingenommen hatte, endet ausgerechnet in einer Auseinandersetzung mit der Nation, die maßgeblich zur Befreiung Deutschlands beigetragen hat.
Die Ukraine nicht im Stich zu lassen, sie endlich mit Waffen auszustatten, Russland ökonomisch zu isolieren, die russischen Oligarchen und Nutznießer Putins von ihrem Vermögen abzuschneiden, die europäische Verteidigungsgemeinschaft zu stärken, all das ist richtig.
Eine historische Ausnahmesituation
Die Standing Ovations im Bundestag, die bedingungslose Zustimmung der Union, der breite Rückhalt für die Entscheidungen von diesem Wochenende in der Bevölkerung und das „Mea culpa“ aus der Friedensbewegung und dem bislang russlandfreundlichen Flügel der deutschen Linken – angesichts dessen ist aber auch Nachdenklichkeit angebracht. Die Alternative, die in diesen Tagen zugegeben nicht leicht ist, muss sein, das Verbrechen, das Putins imperiale Sturmtruppen in der Ukraine begehen, als das zu kennzeichnen, was es ist: eine historische Ausnahmesituation.
Annalena Baerbock hat aus guten Gründen versprochen, in der Außenpolitik in Alternativen zu denken, sie weiblicher zu machen. Sie wird stattdessen männlicher werden. Und je weiter die russischen Truppen in den vergangenen Tagen in die Ukraine vorgestoßen sind, desto enger wurde der gedankliche Korridor, in dem sich Deutschland bewegt. Dass der Ukraine in der aktuellen Situation nur Militär hilft, ist das eine. Doch Wachsamkeit ist geboten, dass daraus kein Militarismus wird, der sich schleichend in Politik und Gesellschaft festsetzt.
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