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Psychologe über Hamburger Messerangriff„Der Vorfall war nicht vorhersagbar“

Die Verdächtige der Messerattacke wurde kurz zuvor aus der Klinik entlassen – in die Obdachlosigkeit. Kein Einzelfall, meint Psychologe Thomas Bock.

Bei dem Messerangriff im Hamburger Hauptbahnhof wurden 18 Menschen verletzt, Mai 2025 Foto: Jonas Walzberg/getty Images
Luisa Faust
Interview von Luisa Faust

taz: Herr Bock, am vergangenen Freitag gab es am Hamburger Bahnhof einen Messerangriff. Die mutmaßliche Täterin, eine 39-jährige Frau, soll wahllos auf Wartende eingestochen haben. 18 Menschen wurden verletzt, manche lebensgefährlich. Hätte die Tat verhindert werden können?

Thomas Bock: Das kann niemand sicher beantworten. Was passiert ist, war ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Vorgang. Als Täterin passt die Frau nicht in bekannte Muster und Stereotype. Es gab kein politisches Motiv, keinen Migrationshintergrund, keine Horde alkoholisierter junger Männer und keinen Drogenkonsum. Sicher ist, für den mir vertrauten Bereich psychischer Erkrankungen: Wer so unvermittelt gefährlich wird, muss sich enorm bedroht fühlen.

taz: Was ist über die mutmaßliche Täterin bekannt?

Bock: In den Medien heißt es, sie sei „im psychischen Ausnahmezustand“ gewesen, mehrfach in psychiatrischer Behandlung, zuletzt in einer niedersächsischen Klinik. Es wird die Diagnose einer schizophrenen Psychose genannt. Erst einen Tag vor der Tat war sie entlassen worden, in die Obdachlosigkeit. Eine menschliche Tragödie, die viele Fragen aufwirft, zunächst diese: Warum wird eine offenbar Psychose-erfahrene Frau so „ins Nichts“ entlassen?

Im Interview: Thomas Bock

ist der Gründer und ehemaliger Leiter der Psychosenambulanz am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Mit Dorothea Buck entwickelte er die Idee des Trialogs zwischen Betroffenen, Angehörigen und Behandlern.

taz: Ja, warum?

Bock: Laut Klinik habe es keine medizinischen Gründe gegeben, sie zu behalten. Aber was ist mit sozialen Gründen? Was ist mit der Fürsorgepflicht? Wir sollten uns fragen, ob Obdachlosigkeit im psychischen Ausnahmezustand wirklich freie Wahl sein kann.

taz: Wer wäre denn verantwortlich?

Bock: Das Problem ist jedenfalls nicht allein den Kliniken anzulasten. Die dramatische Zunahme obdachloser, psychisch erkrankter Menschen spiegelt ein gesellschaftliches Problem und ein politisches Versagen. In manchen Berliner Kliniken werden bis zu 50 Prozent der Pa­ti­en­t*in­nen in die Obdachlosigkeit entlassen. Oft fehlt die verbindliche Übernahme gemeinsamer Verantwortung. Betreute Wohneinrichtungen veranlassen Einweisungen in die Psychiatrie, nehmen ihre Be­woh­ne­r*in­nen aber nicht zuverlässig zurück. Psychiatrische Akutstationen quellen über, finden keinen Ort, wohin die Entlassenen gehen können. Vor allem aber fehlt Wohnraum.

taz: Was bedeutet die Diagnose „Psychose“ überhaupt?

Bock: Das heißt, sozusagen durchlässig zu werden, zumindest vorübergehend. Das ist, als würde die eigene Haut nicht mehr schützen. Innen und außen lassen sich nicht mehr richtig trennen, innere Dialoge können zu fremden Stimmen werden, äußere Ereignisse filterlos eindringen.

taz: Was heißt das, in so einem Zustand wohnungslos zu sein?

Bock: Die eigene Wohnung, das eigene Zimmer, unser Zuhause, das ist unsere zweite Haut, unser Schutzraum. Obdachlos zu sein, heißt, all das nicht mehr zu haben. Den Blicken aller ausgesetzt zu sein, sich nicht mehr abgrenzen zu können. Die Angst wird zum ständigen Begleiter, die Paranoia zu Realität.

Obdachlosigkeit stellt eine Gefährdung dar, allerdings zunächst für die Betroffenen selbst

taz: Sind psychisch erkrankte Wohnungslose eine Gefahr?

Bock: Obdachlosigkeit stellt immer eine Gefährdung dar, allerdings zunächst einmal für die Betroffenen selbst. Menschen mit psychischer Erkrankung und erst recht obdachlose Frauen werden sehr viel häufiger Opfer, als Täter – was nicht relativiert, dass diese Frau in ihrer Not schrecklich handelte. Das seltene, aber statistisch etwas erhöhte Risiko, im psychotischen Zustand gewalttätig zu werden, betrifft weniger Fremde und eher das persönliche Umfeld. Denn ohne das Gefühl eigener Grenzen kann Nähe wie Eindringen wirken.

taz: Was würde helfen?

Bock: Wir brauchen Kliniken, die auch nachgehend und aufsuchend tätig werden, Wohneinrichtungen mit regionaler Verpflichtung. Dazu eine enge Kooperation mit der Wohnungslosenhilfe mit einem großzügigen Housing-First-Programm, also schützender Wohnraum als erste Priorität.

taz: Ist das mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt möglich?

Bock: Wir leisten uns in Deutschland ein Hilfesystem, das auf der einen Seite zu niedrigschwellig ist. Wenn jede seelische Not gleich zur Erkrankung erklärt wird, um überhaupt Hilfe zu bekommen, gerät es unter Druck. Gleichzeitig ist es für diejenigen, die am dringendsten Hilfe benötigen, zu hochschwellig: Wir schaffen es nicht, mit einer kontinuierlichen Beziehungskultur Menschen in größter Not Halt zu geben – und schon gar nicht, Grundrechte wie Wohnen zu sichern.

taz: Im Januar, nachdem ein psychisch Kranker in Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Erwachsenen getötet hatte, forderte die Innenministerkonferenz, den Schutz von Pa­ti­en­t*in­nen­da­ten bei psychischer Erkrankung aufzuweichen. Die Sicherheitsbehörden sollten leichter Zugang zu solchen Informationen bekommen. Hätte das hier geholfen?

Bock: Der Vorfall in Hamburg war so ungewöhnlich, dass ihn keine Statistik hätte vorhersagen können. Würden wir alle psychisch Erkrankten registrieren, wäre fast ein Drittel aller Einwohner in Deutschland betroffen und stigmatisiert. Diejenigen, die Hilfe am dringendsten brauchen, könnte das noch mehr abschrecken, sie aufzusuchen. Informationsaustausch muss aber möglich sein – im Notfall auch mit den Sicherheitskräften. Aber nicht mit dem Ziel der Ausgrenzung und der Verschiebung von Verantwortung, sondern dem der gemeinsamen Zuständigkeit.

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41 Kommentare

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  • Ja, wir sollten mehr über das Thema Obdachlosigkeit und verwässerten Mieterschutz -Stichwort Eigenbedarfskündigung auch für die Drittwohnung-, denn "gefährliche" Migrantinnen und Migrantinnen sprechen. Die Entscheidungspraxis der Gerichte in dieser Sache, aber auch die äußerste Zurückhaltung in Sachen sozialer Wohnungsbau (Baugenehmigung nur bei einem Fünftel Sozialwohnung Minimum) sind die eigentlichen Bedrohungen des gegenwärtigen sozialen Friedens.

  • In fast jeder größeren Stadt gibt es einen Sozialpsychiatrischen Dienst. Die Fürsorgepflicht oder schon der normale Menschenverstand des behandelnen Arztes der Patientin, des zuständigen Krankenhauses, hätte diesen bei absehbarer Entlassung der Patienten informieren und einen Gesprächstermin zwischen dem Sozialpsychatrischen Dienst und den Patienten in die Wege leiten können. Der Sozialpsychatrische Dienst kann, falls als erforderlich erachtet, eine gesetzliche Betreuung für die Patienten anregen, wenn keine Familienangehörigen vorhanden sind, eine sinnvolle Maßnahme.

  • Gibt es überhaupt Obdachlose die psychisch gesund sind?



    Gibt es überhaupt Obdachlose die physisch gesund sind?



    Und wieviel Prozent der von Obdachlosigkeit Betroffenen sind tatsächlich physisch und psychisch gesund? Vielleicht 2%?



    Die Parteien vernachlässigen, genauso wie jede andere Behörde die Bevölkerung und verwalten Elend, anstatt die persönliche Misere des Einzelnen zu lösen und damit die Gesellschaft



    als Ganzes Gesunden zu lassen. Obdachlosigkeit allein, ohne Drogen, Alkohol und Gewalt macht in einer vermüllten Zivilisation krank. Es ist etwas anderes, als Normadenvolk in einer intakten Natur ein bäuerliches Leben als Viehhirte zu leben, als als Verachteter im Dreck, Gestank, Elend ohne Wärme und Sanitär, guter Nahrung und sinnstiftender Arbeit zu leben umgeben von



    Alkoholikern, Junkies, Missbrauchten, Gewalttätern und Menschen mit diversen Krankheitsbildern und Betteln vor Ämtern zu müssen, die ihrerseits immer latent schließungsbedroht sind, weil die Parteien



    der Christlichen und die Partei der Sozialen ausgerechnet hier denken sparen zu müssen, weil diese Lobby nicht rebellieren kann, da sie zu kapputt und gebrochen ist.

  • Wenn Wohnraum feht, muss dringend für Leerstandswohnungen eine hohe Steuer erhoben werden, um Spekulationskäufe von Immobilien für die Investitioren unattraktiv zumachen.



    Wann begreifen unsere Regierenden endlich - Wohnraumfragen bezüglich der tatsächlichen Nutzung von Wohnungen gehören nicht ausschließlich in private, beziehungsweise Spekulanten Hand. Entsprechende Gesetze müssen schon noch vom Staat kommen.



    AN DIE ARBEIT - die Damen & Herren in den zuständigen Ministerien.



    Die Parlamentarier warten sicher schon auf ausgearbeitete Konzepte

  • Menschen in die Obdachlosigkeit zu entlassen ist leider eine gängige Praxis. Manche haben "Glück", sind in einem umfassenderen Hilfesystem wie z. B. der Eingliederungshilfe, und können als Nichtbehandlungsfall in der Klinik bleiben, bis eine Anschlusslösung gefunden ist.



    Zwei Faktoren die allerdings auch relevant sind: erstens, Compliance, also die Entscheidung, an einer möglichen Behandlung- im Idealfall aus Krankheitseinsicht- mitzuwirken; zweitens, der Freiheitsgedanke in der modernen Psychiatrie: Menschen haben ein Recht auf Ihre Erkrankung, mindestens solange keine Fremd- oder Eigengefährdung vorliegt. Die muss jedoch erstmal erkannt werden und dann auch in einen Beschluss des zuständigen Betreuungsgerichts münden. Hieraus die entsprechenden Synthese zu bilden wäre schon in einem funktionierenden Sozialsystem eine Herausforderung.

  • "Es gab kein politisches Motiv, keinen Migrationshintergrund, keine Horde alkoholisierter junger Männer und keinen Drogenkonsum. "

    Bitte? In der TAZ ist "Migrationshintergrund" jetzt auch schon unwidersprochen ein Motiv für Straftaten? Ich fass es echt nicht mehr, in was für einem Land ich lebe.

    • @Jalella:

      Gerade wollte ich genau dieselbe Stelle zitieren! Ich glaub, mein Schwein pfeift.

    • @Jalella:

      Ich bin darüber auch gestolpert. Aber im Satz davor ist von Stereotypen die Rede, ich würde das jetzt mal als „unglückliche“ Formulierung betrachten

    • @Jalella:

      Bitte nochmals den Satz vor dem von dir zitierten nachlesen. Es wurden "Muster und Stereotype" aufgeführt. Der Migrationshintergrund gehört definitiv zum zweiten.

  • Nun, gut geschrieben, aber ich/wir bleiben hier höchst skeptisch.

    Wir hatten zweimal an, je eine psychisch auffällige Person eine unsere Wohnungen vermietet.



    In beiden Fällen gab es jedes mal Schwierigkeiten mit den Nachbarn bzw. anderen Mietern.



    Im einen Fall kam es zu einem schweren Gewaltübergriff, der nur dank dem entschlossenen eingreifen der Ordnungskräfte noch glimpflich ausgegangen ist.



    Bei der anderen Person kam die Mietzahlung nicht mehr, welche durch das Amt an die MieterIn gezahlt wurde.



    Es dauterte 18 Monate bis endlich die Wohnung geräumt werden konnte.



    Anschließend musste diese für einen mittleren 4 stelligen Betrag renoviert werden.



    Im Ergebnis werden wir niemals mehr an eine psychisch erkrankte bzw. obdachlose Person vermieten.

    • @AuchNeMeinung:

      Man kann doch Obdachlose und psychisch Erkrankte nicht einfach alle über einen Kamm scheren. Im Artikel wird ja gesagt, dass es ca. ein Drittel psychisch Erkrankte in Deutschland gibt und das sind womöglich nur die, die auch deswegen zum Arzt gehen. Aber wenn es schlimm ist und man "sehr weit unten" angekommen ist, sind normale Mietwohnungen wahrscheinlich auch gar nicht die geeignete Unterbringung, da müsste man wohl schon betreute Spezialunterkünfte für anlegen. Davon gibt es aber zu wenig und politisch und gesellschaftlich wird so etwas wahrscheinlich lieber verdrängt und als lästig und kostenverursachend angesehen. Womöglich ist die Heilungsprognose noch nicht einmal besonders gut, dann ist solche Barmherzigkeit in der üblichen Betrachtung des menschlichen Lebens als Wirtschaftseinheit erst recht nicht vorgesehen. Dann lieber nach Vorfällen ein Ausrede finden, Aufwischen und so weiter machen wie bisher...

    • @AuchNeMeinung:

      Ich empfehle aus Erfahrung bei psychisch erkrankten Mietern, auf einen gerichtlich bestellten Betreuer bei der Vermietung zu achten. So hat man immer einen zuverlässigen Ansprechpartner und Verantwortlichen.

    • @AuchNeMeinung:

      Ihre Erfahrung soll in keinster Weise in Frage gestellt werden, allerdings habe ich mehrere Psychiatrie-Erfahrene im Freundes- und Bekanntenkreis. Diese haben Erkrankungen aus dem Formenkreis der Depressionen, sowie auch aus dem schizoaffektiven Formenkreis und leben seit Jahrzehnten in verschiedenen Städten in Miet- wie auch Eigentumswohnungen ohne Auffälligkeiten. Weder meine, noch Ihre Erfahrung erhellt die eigentliche Problematik, dass wir als Gesellschaft und Staat es unterlassen die schwachen und verletzlichen Teile unserer Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum zu versorgen.



      Wenn es nicht im privaten Sektor gelingt wegen Erfahrungen, wie Ihrer, dann muss schon die Gesellschaft als Ganzes tätig werden. Obdachlosigkeit ist bei psychisch Kranken und bei Suchterkrankungen ein riesiges Problem.

  • "Aber was ist mit sozialen Gründen? Was ist mit der Fürsorgepflicht? Wir sollten uns fragen, ob Obdachlosigkeit im psychischen Ausnahmezustand wirklich freie Wahl sein kann."

    - ein Klinikplatz ist zu teuer und zu wichtig, wenn es keine medizinischen Gründe gibt, ihn mit Menschen zu belegen, die ihn nicht brauchen, weil sie sonst obdachlos wären. Wenn aber der "Ausnahmezustand" noch aktuell war, sehe ich nicht, warum medizinische Gründe nicht vorgelegen haben sollen.



    - bei JVAs gibt es für so etwas ein Übergangsmanegement, so dass Leute nicht aus dem Gefängenis auf die Straße gesetzt werden, sondern ein Platz gefunden wird, so sie erstmal unterkommen.

  • "Als Täterin passt die Frau nicht in bekannte Muster und Stereotype. Es gab kein politisches Motiv, keinen *Migrationshintergrund*, keine Horde alkoholisierter junger Männer und keinen Drogenkonsum."

    Dies ist für mich ein weiterer Tiefpunkt der sowiso schon Unterirdischen Messer/Migrationsdebatte.



    Herr Bock sagt in einem Interview mit Ihnen unwiedersprochen das Migrationshintergrund ein Bekanntes Muster für Messerangriffe ist.

    Keinem der Foristen fällt dies auf oder keiner sagt zumindest was...ist Rassismuss nun schon so Normal das er nicht mal in der Taz noch aneckt...

    Dann kann ich auch Bild Lesen... :-(

    • @Björn Eichholz:

      anderen Foristen ist vielleicht bewusst, dass das Wort "Stereotype" sogar eine Bedeutung besitzt. Vielleicht hat dich das Wort Migrationshintergrund so getriggert, dass der Satz davor in Bedeutungslosigkeit versunken ist . Ganz unwidersprochen :-)

    • @Björn Eichholz:

      Herr Bock erwähnt im unmittelbar vorherigen Satz " bekannte Muster und Stereotype" und führt dann Beispiele auf. Der "Zusammenhang" Migration/Messergewalt ist eines der am meisten verbreiteten Stereotype. Die meisten TAZ-Leser können, vermutlich im Gegensatz zu BILD-Lesern, auch wirklich lesen und den Faden über zwei Sätze hinweg halten.

  • Die Frau soll laut Hamburger Morgenpost schon vor der Tat am Hamburger Hauptbahnhof gegenüber einem Kind gewalttätig geworden sein wie die Zeitung kurz nach der Tat berichtet hat.



    Also so ganz "unerwartet" ist das m.E. dann nicht mehr.

  • Was eine Psychose ist steht z.B. hier:



    www.gesundheitsinf...schizophrenie.html



    Personen mit einer paranoiden Schizophrenie sind latent fremdgefährdend, das ist im Artikel gut beschrieben, das sind aber nicht ein Drittel sondern , leider ziemlich konstant 1 bis 2% der Bevölkerung , in allen Kulturen der Welt. Bekannte Fälle aus letzter Zeit sind nicht nur Aschaffenburg , sondern auch Würzburg , Hanau , etwas früher der Attentäter von Wolfgang Schäuble , ganz früher der Klassiker "Woyzeck" von Georg Büchner.



    Für obdachlose Personen mit psychischen Erkrankungen gibt es in jeder Kommune einen sozialpsychiatrischen Dienst. Dass ein subakut fremdgefährlicher Patient am Tag vor der Entlassung nicht als gefährlich erkannt werden kann ist nicht meine Meinung. Das ist ein Fehler im Entlassmanagement. Ob dieser Fehler vorwerfbar war ist etwas anderes. Die Öffnung von Patientendateien für die Sicherheitsbehörden wird nicht viel helfen. Umweltfaktoren spielen eine nennenswerte Rolle in der Dämpfung oder Anregung psychotischer Symptome, da bestehen in allen Bundesländern Lücken. Das kann man sicherer machen, das geht schon on der Schule an.

  • Obdachlosigkeit ist kein Zufall – sondern ein Systemversagen

    Wer psychisch krank und obdachlos ist, hat meist eine lange Leidensgeschichte hinter sich: Vernachlässigung, unbehandelte Krisen, fehlende Unterstützung. Obdachlosigkeit ist fast nie der Anfang – sondern das Ende einer Kette verpasster Hilfen.

    Gleichzeitig sehen wir, dass es möglich ist, Menschen in Not strukturiert aufzufangen – z. B. Geflüchtete, die zurecht Unterkunft, medizinische Hilfe und Versorgung erhalten.

    Warum gelingt das nicht auch bei denen, die hier leben und schlicht durchs Raster gefallen sind?

    Wir brauchen Fürsorge für alle – nicht abhängig von Status, sondern von echter Not.

  • Medikamente helfen, dürfen aber vermutlich nicht gegen den Willen verabreicht werden und wer mit Paranoia nimmt freiwillig Medikamente?

    • @drusus:

      Schön, dass sie mutmaßen, statt die Zeit aufzuwenden kurz zu recherchieren. Medikamente dürfen bei Fremd- und/oder Selbstgefährdung selbstverständlich zwangsverabreicht werden. Das nächste Mal recherchieren Sie bitte selbst.

      • @Sav:

        Es wäre schön, wenn Sie recht hätten...

        Leider ist die Schwelle zur Zwangstherapie wahnsinnig hoch. Bis die Fremd-/oder Selbstgefährdung amtlich festgestellt ist, dauert es relativ lange. Und dann können die Medikamente ja nicht einfach in den Briefkasten geworfen werden. Derjenige muss erst einmal begutachtet und mit richterlicher Anordnung in die Psychiatrie verbracht werden.

        Sobald er dann nach PsychKG untergebracht ist und die Medikamente anfangen zu wirken, muss er auf seinen Wunsch hin entlassen werden. Und setzt die Medikamente umgehend ab, weil er sich ja nicht krank fühlt - das ist gerade ein Symptom der Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis...

      • @Sav:

        Ich verstehe Ihren Vorwurf nicht.

        Wenn Sie Frau entlassen wurde, hat man eine Fremd- oder Eigengefährdung nicht mehr diagnostiziert, sonst wäre sie ja nicht entlassen worden.

        Dann gibt es auch keine zwangsweise Verabreichung von Medikamenten.

      • @Sav:

        Medikamente dürfen Zb. in Kliniken, Pflegeheimen und anderen Wohneinrichtungen zwangsweise verabreicht werden. Ausserhalb von Kliniken ausschliesslich bei gesetzlich Bereuten.

        Aber nicht Zb. bei Obdachlosen oder Menschen die in Mietwohnungen wohnen, ohne gestzliche Betreuung.

        Wer soll das denn auch in Mietwohnungen übernehmen. Zwei mal am drei Pfleger eines Pflegedienstes. und was ist wenn der Erkrankte zu den Terminen nicht Zuhause ist. Kommt der dann in Arrest.

        Und oft ist es leider so das Menschen die an paranoider Schizophrenie leiden ihre Medikamente absetzen. Ja, das ist auch eine Folge der Krankheit.

  • Ich fasse zusammen: Wir als Gesellschaft müssen uns um unsere Mitmenschen besser kümmern.

    • @Aurego:

      Genau erkannt.



      Was macht denn sonst eine Gesellschaft wohl aus ?

    • @Aurego:

      Kurz und prägnant und richtig.

  • Ich kann das nur bestätigen. Kranke Frauen werden entlassen. Stehen mit einer Plastiktüte voll Sachen vor der Psychiatrie. Vielleicht hat ihnen der Sozialdienst des Krankenhauses noch eine Liste mit Unterkünften für Obdachlose rausgesucht. Da darf Frau aber erst ab 19 Uhr hin. In Berlin Kreuzberg wurden dem Tagestreff "Unterschlupf" für obdachlose Frauen die Räume gekündigt. Aber es ist sehr wichtig diese zu erhalten. Auch braucht es dringend mehr 24/7 Angebote für Frauen.

  • Auch wenn es leider sarkastisch ist: Zu ihrem Glück ist die Frau nicht auch noch geflüchtet. Sonst würde wieder nur über Migration ("alle Zugewanderten sind gefährlich") debattiert und nach Abschiebungen gerufen, deren verstärkte Durchsetzung derzeit meist gut integrierte Leute aus ihrer Ausbildung reißt.



    Ich fürchte, bei der Behandlung psychischer Krankheiten werden die schon lange notwendigen Verbesserungen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Betroffenen, weiter auf sich warten lassen. Das Geld wird lieber für Grenzkontrollen im Schengenraum ausgegeben.

    • @Joba:

      Nein, konnte sie ja nicht, da sie von mutigen Mitmenschen mit Migrationshintergrund (einem Syrer und einem Tschetschenen) an der Flucht gehindert wurde.

  • Da fehlt mir jetzt ein wichtiger Aspekt: Die Frau wurde einen (!) Tag vor der Tat entlassen. Vor einer Entlassung aus einer psychiatrischen Einrichtung muss aber eine Einschätzung darüber erfolgen, ob die Patientin zu diesem Zeitpunkt akut eigen- oder fremdgefährdend ist - ist sie dies, darf sie nicht entlassen werden, ob in die Obdachlosigkeit oder nicht. Diese Einschätzung an dieser Stelle ist mit einiger Wahrscheinlichkeit falsch gewesen, da es sehr naheliegend ist, dass die Frau zum Zeitpunkt bereits ein Fremdgefährdungspotenzial hat, denn solche Extremsituationen entstehen auch bei Psychotikern selten völlig abrupt.

  • "Wir schaffen es nicht, mit einer kontinuierlichen Beziehungskultur Menschen in größter Not Halt zu geben – und schon gar nicht, Grundrechte wie Wohnen zu sichern."

    Vergleiche hierzu Artikel 20 (1) GG:

    "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat."

    www.gesetze-im-int....de/gg/art_20.html

    Offenbar nicht. Weil Deutschland ja so schrecklich arm ist, wahrscheinlich.

    Na ja, abgesehen vom Doppelwumms (TM Scholz) usw.

    Aus der Pschiatrie in die Obdachlosigkeit - wow, was für ein sagenhaftes Hilfesystem, wo ein Zahnrad quasi ins andere greift.

    • @Uns Uwe:

      Wieso Art. 20 einfordern, wenn schon Art. 1 teilweise mit Füssen getreten wird? Es reicht ja schon, als normales Kleinlicht seinen Arbeitsplatz zu verlieren und nicht rechtzeitig etwas Neues zu finden.

  • Vor einigen Jahren in einer psychisch-somatischen Klinik: Regulär in Therapie, Notfall-Zustand, der eine Unterbringung in einer geschlossenen Klinik verlangt. Der zuvor belegte Therapieplatz wurde für max. 2 Tage freigehalten. Sollte der Notzustand länger anhalten, ist der Therapieplatz weg . Und die Person im Anschluss zurück im Alltag-ohne weitere Unterstützung.

    • @Kirsten Tomsen:

      Ich hoffe, es geht Ihnen inzwischen besser, und wünsche Ihnen alles Gute.

  • Es ist ein Elend mit diesem Staat.



    Wir sollten öffentlich das "System" der sozialen Marktwirtschaft als Vergangenheit anerkennen.



    Dieser Staat hat versagt.

    • @So,so:

      Ich fürchte der Staat macht genau das was er machen soll, wir haben versagen weil wir ihn gewähren lassen...😵‍💫

    • @So,so:

      In dieser Demokratie sind SIE der Staat bzw der Souverän.

    • @So,so:

      Alles immer relativ im globalen Vergleich sind wir immer noch Oberklasse. Das Hauptproblem ist das man Leute so schnell wie möglich aus den Psychatrien raushauen will anstatt zu sagen men behält Menschen da sie Hilfe brauchen.

      • @Machiavelli:

        Die Hauptprobleme sind fehlender Platz in den Kliniken und fehlender Wohnrau.



        .



        Das eine sorgt fuer zu fruehe Entlassungen und das andere fuer die anschliesende obdachlosigkeit.



        .



        Das es laut globalen Vergleich noch schlimmer sein koennte ist ein schwacher Trost, denn es war mal besser.



        Der Wohnraum wir nicht nur in De immer teurer.