Proteste in Iran: Aus für die Islamische Revolution
Die Hidschab-Proteste richten sich auch gegen die klerikale, korrupte Führung. Es geht um die Abschaffung der Islamischen Republik.
W ann wird eine Revolte zur Revolution? Der erzkonservative iranische Präsident Ebrahim Raisi hat dazu aufgerufen, „entschiedener“ – also brutaler – gegen die Demonstrant*innen vorzugehen. Doch auch der letzte Schah in Iran, Mohammed Reza Pahlavi, hatte einen ausgeklügelten und gefürchteten Unterdrückungsapparat aufgebaut. Dennoch wurde er letztlich aus dem Land gejagt.
Wird ein bestimmter Kipppunkt erst einmal erreicht, ist es wie beim Klima: Es gibt kein Zurück mehr. Natürlich kann niemand voraussehen, ob die aktuellen Proteste diesen einen entscheidenden Funken haben werden, der für eine Revolution nötig ist. Der „Grünen Revolution“ von 2009 fehlte trotz der Massendemonstrationen dieser Funke. Das könnte dieses Mal anders sein.
Schon jetzt verändert der Hidschab-Aufstand den Iran ebenso wie den Nahen und Mittleren Osten. 1979 hat die Islamische Revolution ein internationales Beben ausgelöst. Erstmals übernahmen Geistliche ein großes und wegen seines Ölreichtums bedeutendes Land. Die Ölkonzerne wurden verstaatlicht, die Amerikaner rausgeworfen. Man fürchtete zudem eine „Ansteckungsgefahr“, und die Ajatollahs selbst nährten diese Ängste.
Spätestens jetzt ist klar: Diese Islamische Revolution ist längst gescheitert. Sie hat lediglich erreicht, dass die iranische Bevölkerung säkularer und antiklerikaler ist als die aller Nachbarn zusammen. Iran könnte das erste islamisch geprägte Land der Region werden, das eine Trennung von Staat und Religion erzwingt. Die Bilder von brennenden Kopftüchern sind jedenfalls in der Welt. Sie schocken das Regime, aber auch die Menschen im Libanon, Irak, in Ägypten und Saudi-Arabien.
Korruption ist verbreiteter denn je
Die Iraner*innen bekommen genauso wenig vom Rohstoffreichtum ihres Landes ab wie unter dem Schah, sie sind genauso arm geblieben. Über die deutsche Inflationsrate von 7 bis 8 Prozent können die Iraner*innen nur lachen. Sie kämpfen mit über 50 Prozent Inflation. Die Korruption ist verbreiteter denn je und die internationalen Sanktionen machen vor allem jenen zu schaffen, die keinen Zugang zu den Fleischtöpfen der Macht haben.
Bei früheren Protestwellen ging es darum, die Islamische Republik zu reformieren. Jetzt geht es um ihre Abschaffung. Die brennenden Kopftücher in Iran sind deshalb nicht allein Sinnbild für einen Aufstand der Frauen. Sie sind das Symbol für den Hass auf die Ajatollah-Diktatur. Aus diesem Grund können sich so viele Menschen dahinter sammeln.
Tot ist das Regime aber noch nicht. Auch wurden die Revolutionsgarden nicht auf die Demonstrant*innen losgelassen. Wenn das geschieht, wird noch viel Blut fließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich