Politologe über Lisa Paus: „Da fehlt ein Steuerungszentrum“
Schon wieder Regierungskrach: Politologe Wolfgang Schroeder sieht es kritisch, dass Familienministerin Paus das Wachstumschancengesetz blockiert.
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wochentaz: Herr Schroeder, die grüne Familienministerin Lisa Paus blockiert das Wachstumschancengesetz von FDP-Finanzminister Christian Lindner, der Paus bei der Kindergrundsicherung ausbremst. War das jetzt ein kluger Konter?
Wolfgang Schroeder: Man kann sich nicht wirklich darüber wundern, dass die Grünen nach dem Motto: „Was ihr könnt, können wir schon lange“, zurückschießen. Die FDP hat ja letztens das vor allem von den Grünen verantwortete Heizungsgesetz lange blockiert. Und man kann auch Verständnis für Lisa Paus haben, sie kämpft seit Langem für eine gute finanzielle Ausgestaltung der Kindergrundsicherung, da ist politischer Druck existenziell. Dieses Gesetzesprojekt ist ja auch das Flaggschiff der grünen Regierungspolitik im sozialpolitischen Bereich. Aber man muss auch die andere Seite sehen.
Und die wäre?
Die deutsche Wirtschaft läuft möglicherweise in eine veritable ökonomische Krise hinein. Andere Staaten verbessern die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen und Investitionen enorm. Dafür steht gegenwärtig der US-amerikanische Inflation Reduction Act. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass eine Blockade der deutschen Antwort darauf als sehr problematisch betrachtet wird. So stehen die sozialpolitische Sachlogik und die Regierungslogik in einem offenen Konflikt.
Also finden Sie die Aktion von Lisa Paus insgesamt doch eher unklug?
Die Ampel wollte nach der Sommerpause mit einem Neustart rauskommen, also die Differenzen, die ja bestehen, intern klären und nicht weiter öffentlich austragen. Das ist nicht gelungen – und das ist nicht gut. Denn man muss ja sehen, dass die Zustimmungswerte und die Akzeptanz der Ampel so bescheiden sind wie kaum bei einer anderen Bundesregierung vor ihr. Aber natürlich ist das aus Sicht der Familienministerin eine Gratwanderung. Sie muss Druck ausüben.
Das versucht Paus doch. Was würden Sie vorschlagen?
Kommunikativ hat sie bislang keine gute Figur gemacht. Öffentlich ist nicht wirklich deutlich geworden, wie sie unter den veränderten wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen die Kindergrundsicherung einführen will. Aber an diesem Streit zeigt sich auch ein wichtiger Missstand bei den Grünen.
Der alte Flügelstreit? Dass den linken Grünen die Kindergrundsicherung wichtiger ist als dem Rest, ist ja durchaus bekannt.
Klar, der kommt hier auch zum Tragen. Paus Unterstützer kommen derzeit fast ausnahmslos aus dem linken grünen Lager. Aus der Spitze der Partei selbst aber hat sie bisher fast keine Unterstützung erhalten.
Selbst Ricarda Lang, die Linke in der Parteispitze, hat sich bislang nicht geäußert.
Hinzu kommt, dass das Wachstumschancengesetz in enger Kooperation zwischen dem Finanzministerium und dem grün geführten Wirtschaftsministerium entwickelt worden ist. Die Grünen und ihr Vizekanzler sind also selbst stark in dieses Projekt involviert, das jetzt von einer grünen Ministerin in einer ersten Runde ausgebremst worden ist. Den Grünen fehlt derzeit ein handlungsfähiges Steuerungszentrum, das in der Lage ist, diese Interessenskonflikte auszugleichen.
Ein Machtzentrum also. Sind das nicht Robert Habeck und Annalena Baerbock?
Sie sind sicherlich die beiden zentralen grünen Figuren in der Regierung. Aber Habeck und Baerbock scheinen nicht mehr in der Lage zu sein, die vorhandenen Interessenkonflikte auszugleichen. Und die beiden Parteivorsitzenden, Ricarda Lang und Omid Nouripour, schaffen es gegenwärtig noch nicht, diese Lücke zu füllen. Das ist ein Problem.
Einerseits ist der Versuch, durch Druck die Bedingungen für die Kindergrundsicherung zu verbessern, richtig. Andererseits braucht man dafür die entsprechende Macht oder muss Wege aufzeigen, wie man die eigene Position mehrheitsfähig machen kann. Aber so, wie die Dinge gerade laufen, werden solche Konflikte am Ende weder den Grünen noch der Ampel nutzen.
Was bedeutet es gesamtgesellschaftlich, wenn die Ampel weiterstreitet?
Dann kann die Regierung wenig leisten, um die gesellschaftliche Nervosität abzubauen. Das ist aber eine zentrale Voraussetzung, um eine gute Wirtschafts-, Klima- und Sozialpolitik zu verankern. Eine zerstrittene Regierung steigert die gesellschaftliche Nervosität. Und das ist Futter für die populistischen Kräfte in der Gesellschaft.
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