Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt: Die Vision fehlt
Für Grün-Rot-Rot im Bund sieht es nach der Wahl in Sachsen-Anhalt trübe aus. Mitte-Links kann derzeit keine Mehrheiten mobilisieren.
D ie Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war mehr als ein Dämpfer für die Parteien links der Union. SPD, Linke und Grüne kommen zusammen auf gerade mal 25 Prozent. Das ist bitter für alle, die hoffen, da könnte was gehen. Der letzte große Stimmungstest vor der Bundestagswahl zeigt, dass Mitte-Links derzeit keine Mehrheiten mobilisiert.
Dabei sind linke Themen doch mehrheitsfähig. Die meisten Menschen sehen die Wohnungspolitik in Deutschland kritisch, sieben von zehn befürworteten im Herbst 2020 einen Mietendeckel. Die Mehrheit der Bürger:innen ist für einen höheren Mindestlohn. Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht die Notwendigkeit einer Verkehrswende. Und die Menschen sind auch mehrheitlich dafür, dass Reiche über eine Vermögenssteuer stärker in die Pflicht genommen werden.
Bei diesen Themen gibt es große Schnittmengen zwischen Grünen, SPD und Linken. Die Chancen, dass sie eine ökologische und soziale Politik machten, wenn sie zusammen regierten, sind ausgesprochen gut. Nicht aber die Chance, dass sie zusammen regieren. Das Feuerwerk an guten Konzepten zündet nicht, es ist eher so, als wäre Grün-Rot-Rot schon verglüht. Das ist doppelt bitter.
Die Situationen der drei Parteien unterscheiden sich. Die Grünen dürfte 5,9 Prozent am wenigsten schmerzen. Sie haben es im Osten generell nicht leicht und in Sachsen-Anhalt etwas dazugewonnen. Den größten Fehler, den die Grünen jetzt machen können, ist zu vermitteln, dass ihnen der Osten eigentlich schnurzegal ist und der (Saitan)-Braten eh im Westen fett wird.
Besonders schmerzhaft
Das würde vermutlich nur die AfD stärken, die sich als genuine Vertreterin von Ostinteressen inszeniert. Auch wenn sich für die Grünen aus dieser Wahl kein Trend für den Bundestagswahlkampf ableiten lässt – im Zweikampf Schwarz gegen Grün ist die Union nun in der besseren Ausgangsposition.
Für die SPD zeigen die 8,4 Prozent in Sachsen-Anhalt, dass sie in Ländern nur Erfolg hat, wo sie die Ministerpräsident:in stellt. Als Koalitionspartnerin oder in der Opposition wird sie kaum in der Rolle des sozialen Korrektivs wahrgenommen. In Sachsen-Anhalt ist der Absturz besonders schmerzhaft. Vor 20 Jahren holte sie 36 Prozent. Es gibt nicht den Hauch einer Idee, wie sie jemals wieder so stark werden kann. Kein Wunder, dass Spitzenkandidatin Katja Pähle weinen musste, als sie am Wahlabend vor die Mikrofone trat.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht seine Partei in Sachsen-Anhalt im Windschatten der CDU. Dass die SPD Gegenwind hat, trifft es eher. Für den Bund ist Sachsen-Anhalt jedenfalls kein Rückenwind.
Für die Linke ist das Ergebnis besonders schmerzhaft. Sie musste von allen Parteien die größten Verluste verkraften – minus fünf Prozentpunkte. Dass sie dennoch zweistellig und drittstärkste Kraft blieb, ist nur eine schwacher Trost. Der jahrelange Sinkflug im Osten droht zum Sturzflug zu werden. Die Mitgliederzahlen sinken in den östlichen Ländern, das Image als Ostpartei ist perdu.
Das Ende der Kümmererpartei
Hinzu kommen jahrelange Auseinandersetzungen in der Bundespartei, die weniger inhaltlich als machtpolitisch geprägt waren. Obwohl die Linke gute Konzepte für armutsfeste Löhne und Renten hat, die auch fein durchgerechnet sind, gelingt es ihr nicht damit zu glänzen.
Die einstige Kümmererpartei kümmert sich heutzutage lieber um sich selbst. Für die Linke im Bund, für die der Osten im Bundestagswahlkampf immer die Rückversicherung war, hat jetzt der Kampf gegen die Fünfprozenthürde begonnen. Die Devise lautet nun #obenbleiben und nicht mehr #cdurausausderregierung.
Grüne, SPD und Linke werden aus dieser Wahl unterschiedliche Lehren ziehen. Parteiübergreifend gilt: Es fehlt eine Erzählung von Grün-Rot-Rot. Wie sähe ein Deutschland aus, in dem Grüne, Linke und SPD regieren würden? Das können sich viele Menschen zurzeit nicht vorstellen. Es fehlt an dem Willen, diese Vision zu entwickeln. Bei allen drei Parteien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr