Kommentar Wagenknecht und Aufstehen: Von Anfang an ein Egoprojekt
Sahra Wagenknecht hat „Aufstehen“ genutzt, solange es Aufmerksamkeit generierte. Jetzt entsorgt sie die Bewegung auf schäbige Weise.
S ahra Wagenknecht will nicht mehr. Nun, da sich mit der Bewegung „Aufstehen“ keine Publicity mehr generieren lässt, kein großes Interview, kein Talkshow-Auftritt, nun, da also die Mühen der Ebene drohen, zieht sich die prominente Linke aus den Führungsgremien zurück. Das was von Anfang an auch ein Egoprojekt war, um Wagenknechts Macht in der Linkspartei auszubauen, taugt als solches nicht mehr – also darf die Basis übernehmen. Wie durchschaubar, wie aussagekräftig und wie traurig.
Die angebliche Sammlungsbewegung krankte ja an mehreren Konstruktionsfehlern. Sie wurde im Kopf von Sahra Wagenknecht geboren – und von ihrem Ehemann Oskar Lafontaine nach Kräften unterstützt. Schon die Idee, eine Graswurzelinitiative ließe sich von oben anordnen, von einer klar verorteten Spitzenpolitikerin, hat ja etwas Absurdes. Eine echte Bewegung entsteht unten, durch das Engagement und das gemeinsame Interesse vieler – siehe Fridays for Future – und nicht durch gezielte Planung wichtiger Leute.
Wagenknechts Rolle schadete von Anfang an den berechtigten Anliegen der „Aufstehen“-Leute. Die Spekulationen, welches wahre Motiv hinter der Gründung steckte, rissen nicht ab. Ging es Wagenknecht um Hilfe von der Straße für innerparteiliche Machtkämpfe? Hoffte sie auf Rückenwind für ihren auf den Nationalstaat fokussierten Ansatz, der Migration stark einschränken will? Bereitete sie die Gründung einer eigenen Partei vor? Denkbar war alles, und Wagenknecht waren die Mutmaßungen nicht unrecht. So bleibt man im Gespräch.
Auch der Gedanke, ausgerechnet Wagenknecht könne eine Sammlungsbewegung gründen, die von Sozialdemokraten und Grünen begeistert unterstützt wird, ist einigermaßen absurd. Wagenknecht hat viele Stärken. Sie ist das prominenteste Gesicht ihrer Partei, sie argumentiert in Talkshows Konservative in Grund und Boden und begeistert viele Menschen. Aber sie nutzte ihre Stärken in der Vergangenheit eben nicht, um eine Perspektive links der Mitte zu schaffen. Im Gegenteil: Sie tat mit hämischen Angriffen auf SPD und Grüne viel dafür, dass Rot-Rot-Grün im Bund bis heute keine echte Perspektive ist.
So schürt man Politikverdrossenheit
Wenn Wagenknecht heute klagt, „die Parteien, die wir ansprechen wollten, haben sich eingemauert“, ist das eine hübsche Ironie. Ja, viele SPDler und Grüne taten „Aufstehen“ achselzuckend ab, ohne das Potential zu erkennen. Das war strategisch unklug. Aber es war ja vor allem Wagenknechts Name, der für Distanz bei möglichen Bündnispartnern sorgte. Da jammert eine Großmeisterin des Betons über die Mauern in den Köpfen anderer.
Solche Fehleinschätzungen sind das eine. Doch die Nonchalance, mit der sich Wagenknecht jetzt vom Acker macht, ist schlimmer. Wagenknecht hat sich als Ideengeberin und Frontfrau von Aufstehen präsentiert. Aus einer solchen Rolle erwächst Verantwortung. Leider enttäuscht die mächtige Linke all diejenigen, die wegen ihr auf die Straße gegangen sind. Denn eines zeigt Aufstehen eindrucksvoll: Es gibt ein großes Bedürfnis, sich jenseits der Parteien für linke Politik zu engagieren, glücklicherweise. Was sollen die 170.000 Menschen, die Aufstehen unterstützen, jetzt denken? Dass Bewegung leider nur befristet möglich ist, jedenfalls wenn man wichtig ist?
Was dazu passt, ist Wagenknechts groteske Informationspolitik. Der Arbeitsausschuss der Bewegung habe von Wagenknechts Rückzug erst aus der Presse erfahren, hieß es am Sonntag bei Aufstehen. Wagenknecht spricht also mit einer konservativen Sonntagszeitung über ihre Motive – ohne es für nötig zu halten, ihre MitstreiterInnen vorab zu informieren. Die Aufstehen-Strategen, die sich ehrenamtlich engagieren, müssen sich fühlen wie Hanswürste.
So, liebe Frau Wagenknecht, schürt man Politikverdrossenheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Lektionen der Woche
Deutschland ist derweil komplett im Wahn