Klimabewegung und Grüne: Lützerath als Zerreißprobe

In Lützerath hat der Klimaprotest seine Entschlossenheit bewiesen. Doch der politische Druck auf die Grünen war nicht stark genug.

Zwei vermummte Personen in einem Tunnel

Pinky & Brain im Tunnel unter Lützerath Screenshot: luetzbleibt/youtube

Für einen kurzen Moment waren sie die Helden der Klimabewegung: Als letzte Besetzer Lützeraths verließen Pinky und Brain am Montag das von der Polizei doppelt umzäunte Gelände im rheinischen Braunkohlerevier. Fünf Tage lang hatten sie in einem Tunnel ausgeharrt, vier Meter unter der Erde.

Während sie dort saßen, machten über ihren Köpfen Po­li­zis­t*in­nen aus dem ganzen Bundesgebiet in hoher Geschwindigkeit zunichte, was Ak­ti­vis­t*in­nen anderthalb Jahre lang aufgebaut hatten: Baumhäuser, Barrikaden und den Traum, das Dorf und das Klima vor dem Kohlehunger der fossilen Industrie zu retten. Nachdem 35.000 De­mons­tran­t*in­nen die Zerstörung nicht aufhalten konnten, war der Tunnel das Ass im Ärmel. Er sollte die Räumung verzögern, bis der politische Druck auf die Grünen so hoch wäre, dass sie ein Moratorium für die Räumung durchsetzen würden.

„Pinky und Brain haben mehr fürs Klima getan und mehr Rückgrat bewiesen, als alle Bundestagsabgeordneten der Grünen zusammen“, twitterte die Hamburger Aktivistin Emily Laquer. Die Aussage trifft ins Schwarze: Obwohl sie das Dorf nicht retten konnten, hat Lütze­rath der Klimabewegung Auftrieb verschafft.

Den Spalt, der zwischen den Grünen und der Bewegung verläuft, hat es jedoch zu einem Graben gemacht. Und es hat die Bundesregierung, vor allem die grüne Beteiligung daran, international bloßgestellt. „Deutschland plant, dieses Dorf für eine Kohlemine zu zerstören“, titelte CNN. „Greta Thunberg von Spezialeinheit der Polizei abgeführt“, schrieb The Guardian. „Deutschland blamiert sich selbst“, fasste Thunberg zusammen.

Es geht um das 1,5-Grad-Ziel

Ist das Fiasko der einen gleich dem Erfolg der anderen? Der Kli­ma­bewegung geht es nicht darum, die Grünen als Heuch­le­r*in­nen dastehen zu lassen. Trotzdem bemisst sich der Erfolg von Lützerath in erster Linie an der Wirkung in der Öffentlichkeit. Kein deutschsprachiges Medium erschien in der vergangenen Woche ohne Berichte über die Besetzer*innen, und viele übernahmen deren Framing: Es ging nicht um ein Dorf, sondern um die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.

Wenn Anne Will am Sonntagabend vor 3,5 Millionen Zu­schaue­r*in­nen die Frage stellt, ob es nicht klüger wäre, die Kohle unter Lützerath im Boden zu lassen, hat sich etwas bewegt. Für die Deutschen ist Klimaschutz wieder etwas, für das Junge und Alte zu kämpfen bereit sind, und nicht nur etwas, das auf dem Weg zur Arbeit die Kreuzung mit Sekundenkleber blockiert.

Dass es den Ak­ti­vis­t*in­nen dieses Mal gelungen ist, ein Stück weit die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu behalten, liegt auch daran, dass sie nicht in eine Falle getappt sind: Sie haben sich nicht in „gute“ und „schlechte“ De­mons­tran­t*in­nen spalten lassen. Flaschen, Steine und ein Molotowcocktail, die Vermummte zu Beginn der Räumung in Richtung der Po­li­zis­t*in­nen warfen, brachten die Umweltverbänden und Bürgerinitiativen nicht dazu, sich von gewalttätigen De­mons­tran­t*in­nen zu distanzieren.

Die nächsten Schritte entscheiden

Natürlich lehnen die Verbände und wohl auch die allermeisten De­mons­tran­t*in­nen solche Gewalt ab. Doch Distanzierungen von Mitstreiter*innen, auch wenn diese daneben liegen, schwächen soziale Bewegungen. In Lützerath standen von der moderatesten NGO über die militantesten Ak­ti­vis­t*in­nen alle zusammen. Das gab es sehr lange nicht mehr.

Für eine Suchende, die die Klima­bewegung derzeit ist, kam Lützerath gerade noch rechtzeitig. Sind die von Fridays for Future mobilisierten Massen bereit, einen Schritt weiterzugehen, angemeldete Demonstrationen zu verlassen und zivilen Ungehorsam zu leisten? Greta Thunberg ließ sich, Füße voran, von der Polizei aus einer Blockade tragen. Ebenso Luisa Neubauer. Greenpeace-Chef Martin Kaiser blockierte eine Zufahrtsstraße. Zwar waren die Bedingungen in Lützerath günstig: Der Widerstand gegen Kohle ist anschlussfähiger als der Widerstand gegen Autos, außerdem ist er im Rheinland tief in der Zivilgesellschaft verankert.

Gleichzeitig bleiben aber auch Bilder von Polizeigewalt und Narben von Knochenbrüchen. Und natürlich die Enttäuschung, dass Lützerath in Trümmern liegt. Versuche, aus der Großdemonstration heraus den Zaun zu stürmen und das geräumte Dorf wieder zu besetzen, sind gescheitert. Wohl auch, weil die Masse nicht bereit für diesen, den übernächsten Schritt ist.

Pinky und Brain haben sich kurz nachdem sie den Tunnel verließen, aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Sie wollen keine Helden sein, stellen sie klar: „Der Tunnel an sich hat keine Bedeutung.“ Wichtiger sei die Notwendigkeit, aus der er besetzt wurde. Über die immerhin ist sich die Bewegung einig. Damit geht sie gestärkt in kommende Auseinandersetzungen. Vielleicht klappt es dann beim nächsten Mal auch mit dem Zaun.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

Wie lebt es sich im besetzten Weiler? Die taz-Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß waren für die Kolumne Countdown Lützerath vor Ort. Zwischen Plenum, Lagerfeuer und Polizei

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.