Kleinparteien vor der Bundestagswahl: Volt setzt auf die U30
Volt will in den Bundestag einziehen, als unverbrauchte Alternative. Ein Politikwissenschaftler ist da skeptisch – der Partei fehle es an Themen.
Das müssen beide natürlich sagen. Aber kann das klappen? Auf sieben Prozent zielt Volt. Das ist hoch gegriffen für eine Partei, die bei der letzten bundesweiten Wahl, der Europawahl 2,6 Prozent geholt hat. Zumal die Europawahl vorteilhaft ist für kleine Parteien: Wegen der fehlenden Fünf-Prozent-Hürde trauen sich die Menschen eher, sie zu wählen. Und Europa ist für die Partei, die sich als paneuropäisch bewirbt, so etwas wie ein Heimspiel. Wer zur Europawahl geht, interessiert sich wohl auch eher für Volt.
„Bei der Europawahl haben wir 9 Prozent bei den unter 30-Jährigen bekommen“, bekräftigt Spitzenkandidatin Koohestanian. „Das ist für uns ein klarer Auftrag, in den Bundestag einzuziehen.“ Bayern-Chefin König sieht in der Partei eine passende Antwort zur richtigen Zeit. „Die Großen machen es uns gerade nicht sonderlich schwer“, sagt sie. Von der Ampel enttäuschte Progressive seien potenzielle Volt-Wähler*innen. Zudem brauche es im Angesicht von Trump ein starkes Europa und damit auch eine europäisch denkende Partei.
Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann von der Universität Mannheim forscht zu Wahlverhalten und politischen Einstellungen. „Wenn wir uns anschauen, welchen Themen die Wähler*innen Relevanz zuschreiben, dann fällt ihnen nicht Europapolitik ein – auch nicht als Reaktion auf Trump“, sagt Wurthmann. Er ist skeptisch, was Volts Chancen angeht: „Ich befürchte, dass den meisten Bürger*innen gar nicht bewusst ist, dass es eine Partei wie Volt gibt“, sagt er im Gespräch. „Die sind weitestgehend unsichtbar und laufen eher unterm Radar.“
Kleine Schwester der Grünen?
Ein Problem für Volt sieht Wurthmann auch in der politischen Verortung der Partei. Volt sei eher linksliberal und konkurriere um ähnliche Milieus wie etabliertere Parteien. „Von außen wirken sie oftmals wie das kleine Geschwisterkind der Grünen“, sagt er. Es fehle ein eigenes Thema.
Gemeinsam mit Kollegen hat Wurthmann vor der Europawahl Experten befragt zu den Positionen der deutschen Parteien und sie dann auf zwei Achsen von konservativ bis progressiv und von wirtschaftlich links bis rechts eingeordnet. Volt landet dabei im links-liberalen Lager, nah an den Grünen. Ähnlich nah wie etwa die CSU bei der CDU im rechts-konservativen Lager liegt. Lediglich beim Thema Handelspolitik setzt Volt auf deutlich mehr Freihandel als die Grünen.
Volt selbst bezeichnet sich als sozialliberal und progressiv. Das links-rechts Spektrum gilt in der Partei als überholt. „Uns geht es nicht primär um die Einordnung, sondern um einen pragmatischen Ansatz“, sagt Koohestanian. Soziales, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und liberal-demokratische Werte seien der Partei wichtig.
Für eine progressive Partei ist Volt dabei überraschend männlich geprägt. Zwar achtet die Partei auf paritätische Listen, doch unter den Mitgliedern identifiziert sich gerade mal ein Viertel als weiblich und ein halbes Prozent als divers. Damit liegt Volt beim Frauenanteil hinter der CDU. Warum das so ist, dafür habe sie keine eindeutige Erklärung, sagt Koohestanian. Sie hoffe aber, dass sich das bald ändert. „Es braucht mehr Repräsentation für Frauen und auch für Menschen mit Migrationsgeschichte im Bundestag.“
Die 3-Prozent-Hürde nehmen
Damit Koohestanian für diese Anliegen im Parlament eintreten kann, muss Volt jedoch die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Und zuvor am besten noch die Drei-Prozent-Hürde nehmen. Denn drei Prozent muss eine Partei in den Umfragen erreichen, um sich aus dem grauen „Sonstiges“-Balken zu befreien und einen eigenen – in Volts Fall wohl lilafarbenen – Balken zu bekommen. Werde man sichtbar in den Umfragen, so hoffen viele bei Volt, dann schaffe man es auch in den Bundestag.
Eine Sprecherin des Umfrageinstituts Infratest dimap schreibt dazu auf Anfrage: Es gebe keine eindeutigen Muster, dass Kleinparteien ihre Werte halten oder steigern könnten, nachdem sie in den Umfragen erscheinen. „Sehen kann man das beispielsweise an den Freien Wählern, die immer wieder vereinzelt die drei Prozent erreichen und dann wieder darunter fallen.“
Spitzenkandidatin Koohestanian bleibt optimistisch. Der verkürzte Wahlkampf sei kein Problem, es laufe gut. „Für uns heißt das nur, wir ziehen früher in den Bundestag ein“, sagt sie, „aber wir sind darauf vorbereitet und freuen uns schon.“
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